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# taz.de -- Mehr Frauen in die Parlamente: Nach 100 Jahren wird’s mal Zeit
> Der Frauenrat startet am Donnerstag eine neue Kampagne. Frauen sollen
> nicht länger in deutschen Parlamenten unterrepräsentiert sein.
Bild: Das erste Mal: Am 19. Januar 1919 standen Frauen Schlange vor den Wahllok…
Es ist nur ein kleines Wort, das den Unterschied zwischen der historischen
Forderung der Frauen im 19. Jahrhundert und der Forderung der heutigen
Frauen markiert. „Frauen in die Parlamente!“ war der alte Slogan, der
schließlich dazu führte, dass Frauen in Deutschland am 19. Januar 1919 zum
ersten Mal wählen und gewählt werden durften. Genau 100 Jahre später
fordert der Deutsche Frauenrat angesichts der ernüchternd ungleichen
Verhältnisse in der deutschen Politik: „Mehr Frauen in die Parlamente!“
Im Bundestag sind derzeit mit knapp 31 Prozent [1][so wenig Frauen
vertreten] wie seit 20 Jahren nicht, im Landesparlament von
Baden-Württemberg liegt der Frauenanteil bei gerade mal einem Viertel.
Nicht einmal 10 Prozent aller deutschen BürgermeisterInnen sind Frauen.
„Wir fordern die in den Parlamenten vertretenen Parteien auf, im Rahmen von
Wahlrechtsreformen sicherzustellen, dass Männer und Frauen je zur Hälfte
die Mandate in den Parlamenten innehaben“, heißt es in dem [2][Aufruf des
Frauenrats], der am Mittwochabend in Berlin veröffentlicht wurde. Zudem
müssten die Rahmenbedingungen, die Frauen zu einer politischen Karriere
ermutigen könnten, verbessert werden.
„Die Hälfte der Bevölkerung besteht aus Frauen, aber ihre Perspektiven sind
in der Politik eklatant unterrepräsentiert“, sagte Elke Ferner,
Vorstandsmitglied und Leiterin des Fachausschusses Parität in Parlamenten
und Politik im Deutschen Frauenrat, der taz. „Aber wir wollen nicht nur die
Sichtweisen der älteren biodeutschen Männer.“
## Eine neue Kampagne
Um das zu ändern, startet [3][der Frauenrat], mit rund 60
Mitgliedsorganisationen die größte frauen- und gleichstellungspolitische
Interessenvertretung Deutschlands, nun eine Kampagne. Geeinigt auf das
Thema hat sich die Mitgliederversammlung des Frauenrats nur mit Jastimmen
und einer Enthaltung – bemerkenswert einhellig für einen Dachverband, der
fast 12 Millionen Frauen repräsentiert und in dem Organisationen fast aller
Parteien, religiöse Verbände, Verbände von Landfrauen, Ärztinnen, Müttern,
Sportlerinnen oder Ingenieurinnen vertreten sind.
An diesem Donnerstag wird eine Website freigeschaltet, über die
Unterschriften für ein Paritätswahlgesetz gesammelt werden sollen. Rund 220
Frauen haben bereits unterschrieben, darunter frühere Bundesministerinnen
wie Herta Däubler-Gmelin oder Brigitte Zypries, die Präsidentin der
Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer, und derzeitige frauenpolitische
SprecherInnen der Bundestagsfraktionen. „Nur die AfD haben wir gar nicht
erst gefragt“, sagte die Sozialdemokratin Elke Ferner.
Der Zeitpunkt der Kampagne ist gut gewählt: Das historische Jubiläum gibt
Rückenwind, Politikerinnen wie die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock
oder die SPD-Ministerinnen Katarina Barley und Franziska Giffey haben eine
Erhöhung des Frauenanteils in den Parlamenten erst kürzlich gefordert.
Selbst die christdemokratische Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte bei
einem Festakt zur Einführung des Frauenwahlrechts im November: [4][„Das
Ziel muss Parität sein.“]
Auch auf Ebene der Bundesländer bewegt sich etwas. Seit Mittwoch gebe es in
Brandenburg eine Mehrheit für den Paritätsgesetzentwurf der grünen
Landtagsfraktion inklusive Änderungsantrag, sagte die
Landesgleichstellungsbeauftragte Monika von der Lippe. Das Gesetz sieht ein
Reißverschlussverfahren für die Landeslisten vor, in den kommenden Wochen
soll es im Landtag verabschiedet werden.
## Das erste Bundesland mit Paritätsgesetz
„Brandenburg wäre damit das erste Bundesland mit einem Paritätsgesetz“,
sagte von der Lippe. Bei der kommenden Wahl am 1. September würde das
Gesetz noch nicht zum Tragen kommen, bei der darauf folgenden 2024 schon.
Auch in Thüringen und Baden-Württemberg wurde eine paritätische Besetzung
von Wahllisten in den Koalitionsverträgen verankert.
Und eine Wahlrechtsreform auf Bundesebene steht ohnehin an – allerdings
erst einmal nicht, um Parität zu erreichen, sondern um den Bundestag zu
verkleinern. Seit der Bundestagswahl 2017 gibt es 709 statt der eigentlich
vorgesehenen 598 Abgeordneten, da seit 2013 alle Überhangmandate
ausgeglichen werden. Im Mai hatte Bundestagespräsident Wolfgang Schäuble
deshalb erklärt, in der laufenden Legislatur eine Änderung des Wahlrechts
durchsetzen zu wollen. Die Kommission aus Schäuble und den
parlamentarischen GeschäftsführerInnen tagt bereits.
Ziel des Frauenrats ist es nun, mit der Wahlrechtsreform auch die Parität
im Gesetz zu verankern. Zwei konkrete Vorschläge macht der Verband dazu:
Entweder müsse zum Einstimmenwahlrecht gewechselt oder das Verhältnis von
Direkt- und Listenmandaten verändert werden, heißt es in dem Aufruf.
Beim Wechsel zum Einstimmenwahlrecht würde ein reines Verhältniswahlrecht
entstehen, das auf Bundes- und/oder Landeslisten aufbaut, die Listen würden
zwingend quotiert. Vorteil wäre, so der Frauenrat, dass Parität annähernd
erreicht würde. Nachteil wäre, dass die Direktwahlkreise entfallen, die bei
einem reinen Verhältniswahlrecht nicht mehr vorgesehen wären. Auch bei
einer Veränderung des Verhältnisses von Direkt- und Listenmandaten würden
die Listen quotiert.
## Bis zur nächsten Bundestagswahl
In den Direktwahlkreisen müssten Tandems aus jeweils einer Frau und einem
Mann vorgeschlagen werden, die nur gemeinsam zur Wahl antreten können. Ein
Nachteil, so der Frauenrat: Die Größe des Bundestags, die
Bundestagspräsident Schäuble mit der Wahlrechtsreform eigentlich verringern
will, würde wegen Überhang- und Ausgleichsmandaten weiter über der
gesetzlichen Anzahl von Abgeordneten liegen.
Vorgesehen, sagte Ferner, sei in den Vorschlägen zwar formell die Parität
von Frauen und Männern. „Menschen dritten Geschlechts könnten in den
jeweiligen Entwürfen aber selbst entscheiden, ob sie auf Frauen- oder
Männerplätzen kandidieren“, sagte sie. „Das ist eine lösbare Frage.“
Skepsis kommt von anderer Stelle: In der Vergangenheit hatte etwa der
konservative Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio bezweifelt, dass derlei
Änderungen „mit unseren Wahlrechtsgrundsätzen und mit der Freiheit der
Parteien vereinbar wären“. Solche Argumente seien „das absolute
Totschlagargument“, kritisierte Ferner. „Wir setzen dagegen, dass das in
erster Linie eine politische Entscheidung ist.“ Wenn ein Paritätsgesetz
gewollt sei, „findet man Möglichkeiten, es rechtlich abzusichern.“
Das neue Wahlrecht soll, geht es nach dem Frauenrat, schon bei der nächsten
Bundestagswahl 2021 gelten – dafür müsste es bis zum Frühsommer nächsten
Jahres gesetzlich verankert sein. 102 Jahre nach der ersten deutschen
Nationalversammlung, in der von 423 Abgeordneten schließlich 37 Frauen
waren, stünden damit die Chancen gut, dass der Bundestag die
Geschlechterverteilung der Republik repräsentiert – und von knapp 600
vorgesehenen Abgeordneten des Deutschen Bundestags 300 Frauen wären.
17 Jan 2019
## LINKS
[1] /Kommentar-Frauen-im-Bundestag/!5433942
[2] https://www.frauenrat.de/mehr-frauen-in-die-parlamente/
[3] https://www.frauenrat.de/
[4] /Festakt-zu-100-Jahre-Frauenwahlrecht/!5549748
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
Frauenwahlrecht
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Schwerpunkt Erster Weltkrieg
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