# taz.de -- Nach Nein zu Brexit-Deal: Anarchy in the UK | |
> Das britische Parlament hat den Deal von Premier May abgelehnt. Das | |
> eröffnet neue Möglichkeiten, den Brexit-Komplex neu zu gestalten. | |
Bild: Umgeben von EU-Fahnen: Demonstrantin in London | |
BERLIN taz | Theresa Mays [1][Brexit-Deal ist tot], aber Theresa May selbst | |
ist nicht totzukriegen. Unmittelbar nachdem das britische Unterhaus am | |
Dienstagabend mit großer Mehrheit den von Großbritannien und der EU | |
ausgehandelten Austrittsvertrag ablehnte, rief die konservative | |
Premierministerin dazu auf, ihr die Vertrauensfrage zu stellen. Sie kam | |
damit Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn zuvor. Dem blieb nur übrig, | |
diesen Schritt zu bestätigen. Niemand glaubte danach noch, dass May am | |
Mittwochabend das Misstrauensvotum verlieren könnte – eine Niederlage wäre | |
der erste Schritt zu Neuwahlen gewesen, wobei diese erst kämen, wenn | |
innerhalb eines Monats weder May noch Corbyn eine Mehrheit finden. Und | |
tatsächlich: [2][May hat das Misstrauensvotum überstanden.] | |
Das Brexit-Votum war die schwerste parlamentarische Niederlage einer | |
Regierung in der britischen Geschichte. 432 zu 202 Stimmen – das entsprach, | |
je nach Sichtweise, den schlechtesten oder kühnsten Prognosen. Nur drei | |
Labour-Abgeordnete stimmten für den Deal, 118 konservative Parlamentarier | |
stimmten dagegen. Von manchen Politikern hieß es, sie waren hinterher so | |
geschockt wie seit dem Brexit-Referendum von 2016 nicht mehr. | |
Aber Theresa May wirkt wie befreit: Befreit von ihrem 585-Seiten-Konvolut, | |
das den Brexit auf unabsehbare Zeit unvorstellbar kompliziert gestaltet | |
hätte. Seit November hatte sich die Premierministerin erfolglos um | |
Zustimmung für das ungeliebte Vertragswerk bemüht. Jetzt muss sie das nicht | |
mehr. Sie muss stattdessen auf die Suche nach etwas Neuem gehen, mit dem | |
sie in Brüssel vorstellig werden kann. Und wenn das nicht klappt, oder sich | |
in Brüssel dafür niemand interessiert, kann sie sagen, sie habe zumindest | |
alles versucht. | |
Mays Gegner haben ihr unfreiwillig Brücken gebaut. Vergangene Woche | |
erzwangen Brexit-Gegner in den eigenen Reihen, dass Theresa May nach einem | |
Scheitern ihres Deals nicht mehr 21 Tage Zeit hat, um eine Erklärung über | |
das weitere Vorgehen abzugeben, sondern drei Sitzungstage; über ihre | |
Erklärung stimmt das Parlament dann ab. Von irgendwann im Februar | |
schrumpfte die Frist damit auf den 21. Januar – viel zu wenig Zeit, um | |
etwas Neues zu erarbeiten. Und genau in dieser kurzen Frist eint die | |
Vertrauensfrage die tief zerstrittenen Tories wieder hinter ihrer Chefin, | |
die dadurch noch weniger Grund hat, von ihrer Linie abzuweichen. | |
## Diverse Blaupausen | |
Die Premierministerin bot am Dienstagabend – den Sieg bei der | |
Vertrauensfrage vorausgesetzt – Gespräche mit Vertretern aller Parteien an, | |
um „Ideen, die wirklich eine Verhandlungsgrundlage darstellen und | |
ausreichende Unterstützung im Parlament genießen“, zu sondieren. Solche | |
Ideen sind Mangelware, erst recht vor dem 21. Januar. So gelten zunächst | |
weiter ihre eigenen Vorgaben: Ein pünktlicher Austritt aus der EU, | |
einschließlich Binnenmarkt und Zollunion; das Ende der Freizügigkeit; die | |
Wiedererlangung der Kontrolle über die Außenhandelspolitik; und natürlich | |
keine zweite Volksabstimmung, Verzögerung oder gar Absage des Brexit. Damit | |
steht May den Brexit-Hardlinern in der eigenen Fraktion, die notfalls einen | |
No Deal befürworten, näher als den Brexit-Gegnern auf den | |
Oppositionsbänken, die notfalls den Brexit absagen wollen. | |
Es kursieren diverse Blaupausen, [3][um nach dem Scheitern des Deals neue | |
Vorschläge an die EU zu machen], ohne diese Vorgaben aufzugeben. Steve | |
Baker, 2018 zurückgetretener Staatssekretär im Brexit-Ministerium, | |
skizziert in seinem am Dienstag veröffentlichten Papier „A Better Deal and | |
A Better Future“ ein vorläufiges Freihandelsabkommens mit der EU im | |
Warenverkehr, mit besonderen Erleichterungen in Nordirland, um Kontrollen | |
an der zukünftigen EU-Außengrenze auf der Insel Irland auszuschließen. Dies | |
würde an die Stelle des ungeliebten „Backstop“ im bisherigen Brexit-Deal | |
treten, der Großbritannien auf unbestimmte Zeit in einer nicht aufkündbaren | |
Zollunion mit der EU belassen hätte. Sollte sich die EU nicht darauf | |
einlassen, käme der No Deal. | |
Ex-Entwicklungshilfsministerin Priti Patel stellte sich am Mittwoch hinter | |
den Versuch, „den Backstop mit einer besseren Alternative zu ersetzen“. | |
Barnabas Reynolds, Autor von Büchern über die Auswirkung des Brexit auf die | |
Finanzmärkte, legte Grundlagen einer möglichen Einigung mit der EU im | |
Finanzsektor in Abwesenheit eines Gesamtabkommens vor. | |
[4][Brexit]-Gegner wollen derweil der Regierung das Heft ganz aus der Hand | |
nehmen. Wenn Theresa May am Montag neu vor das Parlament tritt, wird auch | |
ein von dem Tory-Rebellen Nick Boles verfasster neuer Änderungsantrag zum | |
Brexit-Gesetz von 2018 auf dem Tisch liegen, der den Austritt aus der EU | |
neuen Bedingungen unterwirft: nämlich in Abwesenheit eines ratifizierten | |
Brexit-Deals die Erarbeitung eines neuen Brexit-Plans durch den | |
Verbindungsausschuss des Unterhauses, den die Regierung dann dem Parlament | |
zur Abstimmung vorlegen muss. Scheitert das, muss die Regierung bei der EU | |
eine Verschiebung des Brexit um zwei Jahre beantragen – diese Klausel soll | |
den Weg zu einer zweiten Volksabstimmung ebnen. | |
Da aber nur die Regierung Gesetzesvorlagen einbringen darf, deren Umsetzung | |
Geld kostet, ist fraglich, ob das sogenannte Boles Amendment überhaupt | |
zulässig ist. Selbst wenn es zulässig wäre und mit Labour-Hilfe durchkäme, | |
würde seine Umsetzung und damit ein zweites Referendum davon abhängen, dass | |
weder May noch die EU sich konstruktiv bewegen. | |
Das Grundproblem sowohl der Brexit-Hardliner als auch der Brexit-Gegner im | |
Parlament ist: Ihr Spielraum, eigene Initiativen durchzusetzen, ist äußerst | |
begrenzt. Sie sind darauf angewiesen, dass die politischen Akteure keine | |
Lösung finden. Und solange sie nur Symbolpolitik betreiben können, kann | |
Theresa May weiter als Hüterin eines goldenen Mittelweges agieren, an den | |
außer ihr kaum noch jemand glaubt. | |
16 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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