# taz.de -- Debatte Brexit und Zölle: Eine Realität namens Grenze | |
> Die Brexiteers erregen sich ständig über „Zölle“ – die längst abges… | |
> sind. Ihre Fixierung auf den Freihandel ist historisch begründet. | |
Bild: Bisher sind es nur Kleinigkeiten, die bei einem Grenzübertritt in Nordir… | |
Der Brexit erinnert an dichten Küstennebel: Alles ist verschwommen, aber | |
zum Glück gibt es noch einen Leuchtturm, dessen Licht ein bisschen Halt | |
verspricht. Für die Brexit-Befürworter heißt dieses Leuchtturmthema | |
„Zölle“. Sie träumen davon, die Europäische Zollunion zu verlassen, um | |
endlich eine „eigenständige Handelspolitik“ zu betreiben und ganz viele | |
neue Freihandelsabkommen abzuschließen. | |
Die Briten sind vom Thema Zoll besessen, was nicht leicht zu erklären ist, | |
denn es gibt fast keine Zölle mehr. Innerhalb der EU wurden sie sowieso | |
abgeschafft, aber auch an den Außengrenzen wird kaum noch Zoll erhoben. Im | |
Durchschnitt fällt nur noch ein Zoll von vier Prozent an, wenn die EU mit | |
Drittstaaten handelt. Es ist also völlig überflüssig, weitere | |
Freihandelsabkommen abzuschließen – Freihandel ist weltweit die Norm. | |
Die Zolleinnahmen sind entsprechend gering. Deutschland kassiert etwa fünf | |
Milliarden Euro im Jahr, die Briten kommen auf 3,4 Milliarden Pfund. Nur | |
zum Vergleich: Insgesamt rechnet die britische Regierung für das Jahr 2019 | |
mit öffentlichen Einnahmen von 776 Milliarden Pfund. Die Zölle machen also | |
nur ganze 0,4 Prozent aus. Und dafür riskiert man einen ungeordneten | |
Brexit? | |
Dieses bizarre Phänomen lässt sich wahrscheinlich nur historisch erklären: | |
Großbritannien war weltweit das erste Land, das zum Freihandel übergegangen | |
ist. 1846 wurden die sogenannten Corn Laws aufgehoben. Bis dahin hatten | |
diese „Korngesetze“ hohe Importzölle für Getreide vorgesehen, um die | |
Landwirtschaft in England abzuschirmen. Das nutzte vor allem dem Adel, dem | |
die Ackerflächen gehörten, während die Bürger überhöhte Preise für ihre | |
Lebensmittel zahlen mussten. Die Abschaffung der Corn Laws war also ein | |
Sieg der Demokratie. | |
## Es war einmal | |
Wenig später wurden dann auch die Importzölle für alle anderen Waren | |
gesenkt oder gestrichen – was die Briten mühelos wagen konnten, weil sie im | |
19. Jahrhundert die führende Industrienation der Welt waren. Ihre Produkte | |
mussten die ausländische Konkurrenz nicht fürchten; Protektionismus war | |
daher überflüssig und schädlich. | |
Seither ist „Freihandel“ für die Briten weit mehr als nur ein ökonomischer | |
Fachbegriff: Das Wort erinnert an die eigene historische Einzigartigkeit, | |
an die Zeit, als man das reichste Land der Welt war. Dieses nationale | |
Wohlgefühl lässt sich aber nur erzeugen, solange man hartnäckig ignoriert, | |
dass inzwischen fast überall Freihandel herrscht. Die Brexiteers haben sich | |
in einem Paralleluniversum eingerichtet, in dem noch immer Zollmauern | |
geschliffen werden müssen. | |
Diese Fixierung auf die Zölle macht blind für den Alltag an den Grenzen. | |
Denn das Berufsbild der Zöllner hat sich stark gewandelt: Statt Zoll | |
einzutreiben, sind sie jetzt eine Art ökonomische Grenzpolizei. Zudem | |
treiben sie die Einfuhrumsatzsteuer ein, bei der es um gigantische Summen | |
geht. Allein Deutschland kassiert jedes Jahr 50 Milliarden Euro. Diese | |
Steuer soll verhindern, dass Importe begünstigt werden. | |
Das Prinzip ist simpel: Deutsche Hersteller müssen an den Fiskus | |
Mehrwertsteuer abführen; meist sind es 19 Prozent. Ein chinesischer oder | |
kanadischer Produzent zahlt diese Steuer aber nicht, weil er ja im Ausland | |
sitzt und Steuern nur an den eigenen Staat entrichtet. Damit ausländische | |
Waren keinen Steuervorteil genießen und dadurch billiger sind, wird an der | |
Grenze die Einfuhrumsatzsteuer draufgeschlagen, die der Mehrwertsteuer | |
entspricht. | |
Sollte der Vereinigte Königreich aus der Zollunion aussteigen, wäre es | |
unvermeidlich, dass alle Waren kontrolliert würden, die aus oder über das | |
Vereinigte Königreich in die EU gelangen. Eine Alternative gibt es dazu | |
nicht. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass das Vereinigte Königreich | |
als Drittstaat kontrolliert, ob ein deutscher Importeur von chinesischen | |
Waren ordnungsgemäß die deutsche Einfuhrumsatzsteuer abführt. | |
## Das Beispiel Schweiz | |
Wie es in der Praxis laufen würde, zeigt die Schweiz. Die Eidgenossen sind | |
dort, wo die Brexiteers hinwollen. Die Schweiz ist weder in der EU noch in | |
der Zollunion. Also wird an der Grenze heftig kontrolliert. Die | |
eidgenössische Zollverwaltung beschäftigt 4.500 Mitarbeiter und fertigt | |
jeden Lastwagen einzeln ab. Es ist zwar unsinnig und unpraktisch, dass die | |
Schweizer die Zollunion boykottieren – aber wie bei den Briten geht es | |
nicht um Rationalität. Das Symbol ist wichtiger: Grenzkontrollen sind das | |
sichtbare Zeichen, dass die Schweiz eine unabhängige Bastion des | |
Eidgenossentums ist. | |
Zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich besteht jedoch ein | |
zentraler Unterschied: Die Schweiz verfügt über ein geschlossenes | |
Staatsgebiet und hat keine Exklave in Frankreich oder Deutschland – während | |
zum Vereinigten Königreich bekanntlich auch Nordirland gehört. | |
Damit stehen die Brexiteers vor einem Dilemma: Wer aus der Zollunion | |
aussteigt, muss Grenzkontrollen akzeptieren. Schließlich geht es um | |
Steuereinnahmen in Milliardenhöhe und um den Schmuggel von Waffen, Drogen, | |
Plagiaten. | |
## Keine harte Grenze zu Irland | |
Aber eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland soll es | |
nicht geben, weil sie politisch zu gefährlich wäre. Der Bürgerkrieg | |
zwischen Protestanten und Katholiken wurde erst vor zwanzig Jahren | |
befriedet. Die Konsequenz ist eindeutig und wurde von Labour-Chef Corbyn | |
auch schon gezogen: Egal wie der Brexit konkret aussieht – das Vereinigte | |
Königreich muss in der Zollunion bleiben. Verlieren würden die Brexiteers | |
nichts, denn eine „eigenständige Handelspolitik“ ist überflüssig. Die Z�… | |
sind längst abgeschafft. | |
Es ist verstörend, dass die Brexit-Befürworter bereit sind, für eine | |
Fiktion namens Zölle den Frieden in Nordirland zu gefährden. Aber es passt | |
ins Bild. Die Brexiteers leben gedanklich im 19. Jahrhundert: Damals war | |
Freihandel noch ein Thema – und Irland eine britische Kolonie, deren | |
Interessen nicht zählten. | |
19 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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