# taz.de -- Indigener über Brasiliens Präsident: „Wir haben große Angst“ | |
> Brasiliens rechter Präsident Jair Bolsonaro wird vereidigt – und sagt | |
> Indigenen den Kampf an. Stammesführersohn Txana Bane setzt sich zur Wehr. | |
Bild: Txana Bane von den Huni Kuin in seiner traditionellen Kleidung. Sonst tr�… | |
taz: Txana Bane, ihr Volk, die Huni Kuin, leben im brasilianischen Wald, an | |
der Grenze zu Peru. Wie kann man sich das Leben dort vorstellen? | |
Huni Kuin: Wir sind immer draußen, in der Natur, es gibt kein drinnen. Wir | |
haben traditionell keine geschlossenen Häuser, keine Badezimmer. Es gibt | |
keinen elektrischen Strom, kein fließendes Wasser und kein Internet. Es | |
führt keine Straße zu uns, jeder, der zu uns kommt, muss viele Stunden mit | |
dem Boot fahren. Internet gibt es im Städchen Jordao, aber stabil ist es | |
nicht. Ich bin im Wald aufgewachsen, komplett ohne Einflüsse aus der | |
Zivilisation. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen, weil in den | |
letzten 30 Jahren alles so schnell gegangen ist. | |
Was hat sich seitdem verändert? | |
Die kleinen Boote mit Benzinmotoren haben viel verändert. Früher war die | |
Fahrt in die nächste Stadt eine Reise von mehreren Tagen, heute geht das in | |
wenigen Stunden! Damals waren wir sehr isoliert. Wie haben alle Dinge des | |
täglichen Lebens aus dem Wald gewonnen und selbst hergestellt. Die | |
Kleidung, die Nahrung, das Geschirr. Heutzutage nutzen wir natürlich auch | |
Dinge, die aus der Stadt kommen. Nicht mehr alle Huni Kuin sind immer | |
traditionell gekleidet. | |
Wo findet man die traditionelle Kultur noch im täglichen Leben? | |
Unsere Kultur ist sehr präsent im Alltag, in unseren Liedern, unseren | |
traditionellen Gewändern, die wir gern mit westlicher Kleidung mischen, in | |
den Festen, die wir feiern, in den Gerichten, die wir kochen. In unserer | |
traditionellen Heilkunst. In der Art und Weise, wie wir mit der Natur in | |
Kontakt treten. Wir haben ein großes Bewusstsein für den Wert unserer | |
Traditionen, wir schätzen und pflegen sie. Das zeigt sich auch in unserer | |
eigenen Sprache, die wir pflegen, die wir hauptsächlich sprechen. | |
Welche Rolle spielt Geld für die Huni Kuin? | |
Traditionell kennt unsere Kultur kein Geld. Wir verschenken unsere Sachen | |
gern. Deswegen war es für uns sehr dramatisch, als wir Kontakt mit Menschen | |
von außen hatten, denn wir haben viel verschenkt und wenig zurückbekommen. | |
Wir wussten nicht, wie das System funktioniert. Es ist immer noch nicht | |
einfach für uns zu verstehen, dass Sachen einen bestimmten Preis haben. Wir | |
fahren einmal im Monat nach Jordao um einen Großeinkauf zu machen. Manchmal | |
ist der Einkauf teurer, als das Geld, das wir haben. Dann müssen wir | |
anschreiben bei den großen Läden. So sind wir oft abhängig von den | |
Shopbesitzern. Unser Eindruck ist, dass die Art, wie außen gewirtschaftet | |
wird, die Menschen separiert. | |
Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um? | |
Wir haben eine Kooperative gegründet, die uns ein gemeinsames Wirtschaften | |
ermöglicht. Das ist die erste Unternehmensorganisation der Huni Kuin. Es | |
ist wichtig, dass wir Huni Kuin unsere Ökonomie selber in die Hand nehmen. | |
Die Kooperative verkauft die Waren, die wir im Wald produzieren, Schmuck | |
und Kleidung etwa, und gleichzeitig werden dort Waren, die unser Volk | |
braucht, zu einem günstigeren Preis angeboten, als in den großen Shops. | |
Bolsonaro sagte: „Wenn es nach mir geht, wird Indios in Zukunft keinerlei | |
Land mehr zugesprochen“. Die indigenen Schutzgebiete seien „völlig | |
überdimensioniert“. Er will Straßen in den Wald und Abholzung fördern. In | |
mehreren Reservaten kam es zu Überfällen. Das Land ihres Stammes wird | |
bedroht. Wie erleben Sie das? | |
Seit der Wahl von Bolsonaro fühlen wir alle eine Bedrohung. Wir sind in | |
einer Art Schockstarre. Wir haben große Angst, dass unseren Menschen und | |
unserer Natur etwas angetan wird, weil es schon eine große Wunde gibt. | |
Durch ihn werden die Schreckgespenster der Vergangenheit wiederbelebt. Es | |
fühlt sich an wie eine Invasion. Unser Volk ist komplett traumatisiert, wir | |
haben Erlebnisse hinter uns, die man kaum erzählen kann. Wir haben viel | |
Gewalt erfahren, als es die ersten Kontakte mit den Weißen gab, das waren | |
Desaster. Die Weißen, die damals Kautschuk gesucht hatten, sind sehr brutal | |
gegen die Huni Kuin vorgegangen. | |
Fürchten Sie Repressionen? | |
Viele Indigene haben öffentliche Ämter, die sind direkt in Gefahr. Die | |
unmittelbare Repression wird im Moment verbal geäußert. Aber es werden in | |
Brasilien viele Aktivisten umgebracht – und das wird sicher noch schlimmer | |
werden. Es ist bedrohlich, aber was das für jeden Einzelnen bedeutet, | |
wissen wir noch nicht. | |
Wie organisieren Sie sich gegen die Bedrohungen? | |
Ein Schutz ist auf jeden Fall eigenes Land. Wir Huni Kuin sind das erste | |
indigene Volk in Acre, das selber Land gekauft hat. Mein Vater, der jetzige | |
Stammesführer der Huni Kuin, hat es in den Siebzigerjahren gekauft, um den | |
Stamm und den Wald zu schützen. Das ist außergewöhnlich, denn indigene | |
Völker haben normalerweise in Brasilien keinen privaten Landbesitz. | |
Welche Strategien haben Sie als zukünftiger Anführer für Ihr Volk? | |
Früher haben meine Leute als Krieger gegen das System gekämpft. Das hat | |
nicht funktioniert. Wir müssen einen dritten Weg finden. Wir sollten nicht | |
gegen das System kämpfen – sondern uns selbst organisieren mit so etwas wie | |
der Kooperative, und grundsätzlich bereit sein, zusammen zu arbeiten. | |
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Indigenen? | |
Wir wollen nicht isoliert im Wald leben. Wir wollen Wege finden, wie wir | |
gemeinsam mit der Außenwelt nach vorn denken können, ohne unsere Kultur | |
aufzugeben. Der Schutz unserer Kultur und der Natur, in der wir leben: Das | |
gehört in unserem Leben immer zusammen. Unsere Kultur ist verwoben mit der | |
Natur, an den Liedern kann man das gut erkennen, die alle Aspekte der Natur | |
besingen. Ich weiß nicht genau, was Sie unter Indigenen verstehen. Für mich | |
bedeutet „indigen“ in Harmonie und in der Zusammenarbeit mit der Natur zu | |
leben. Also nicht auf Kosten des Systems zu leben oder viel Müll zu | |
produzieren. Das empfinden wir als nicht indigen. Indigen bedeutet immer: | |
Im Kreislauf mit der Natur. Wir wollen nicht Teil dieses ausbeuterischen | |
Systems sein, das immer nur nimmt, und nichts zurückgibt. Das ist aber das, | |
was Bolsonaro von uns verlangt, dass wir Teil des Konsumsystems werden und | |
unsere indigene Identität aufgeben. | |
Welche konkreten Pläne haben Sie? | |
Ich möchte ein Grundstück kaufen, das zwischen der Bezirksstadt Jordao und | |
dem Huni Kuin-Gebiet liegt, am Fluss Jordao. Das gehört einem Farmer, der | |
möchte verkaufen. Wir wollen das Land aufforsten und einen Begegnungsort | |
schaffen, an dem sich die Kulturen treffen können, wo auch Schulkinder | |
lernen, was Indigene sind. Die Sprache, die Kultur, unser Wissen über | |
Pflanzen und Heilung. So könnten wir auch Kontakte zur lokalen Bevölkerung | |
herstellen und die mit einbeziehen. Wir müssen Orte kreieren, wo die | |
Kulturen ihr jeweils Bestes geben können, wo alle Seiten gewinnen. Wo es | |
nicht darum geht, dass eine Kultur von der anderen geschluckt wird. Das ist | |
meine Vision für ein sinnvolles, zukunftsorientiertes Miteinander. | |
Wie können wir Europäer helfen? | |
Europa kann viel helfen, gerade jetzt. Der Kontakt mit Europäern ist für | |
uns sehr wichtig, denn Europäer dieser Generation haben Indigenen gegenüber | |
kein Schuldgefühl. Das ist bei Brasilianern anders. Uns hilft es, wenn | |
unsere eigenen Initiativen finanziell und organisatorisch unterstützt | |
werden. Natürlich ist auch einfach Aufmerksamkeit wichtig, damit die | |
Menschen überhaupt wissen, dass wir da sind – und in Gefahr. | |
[1][Bolsonaro sagt über Indigene]: „Sie wollen sich doch auch entwickeln, | |
Internet haben.“ Wie sehen Sie das? | |
Natürlich sind wir interessiert an der Welt außerhalb des Waldes und wollen | |
lernen. Wir nutzen Technologie, um der Welt zu zeigen, dass wir da sind. | |
Wir arbeiten gern mit visuellen Medien, Foto- und Videokameras, um der Welt | |
zu zeigen, dass wir etwas zu geben haben. | |
Was haben Sie zu geben? | |
Den Zugang zu Sensibilität. Vielen geht das Feingefühl in der Kindheit | |
verloren, das Gefühl für die uns umgebende Welt, die Tiere, die Pflanzen, | |
die anderen Menschen. Da können die Huni Kuin viel geben. Wir sind ein Volk | |
der Erde und für uns ist es wichtig, dass wir die Natur pflegen und hegen, | |
denn sie pflegt und hegt uns. Wir leben in und von ihr. Wir kommen gar | |
nicht auf die Idee, dass man das anders machen können. | |
Wie gehen Sie dann mit unserer Kultur um, in der das ganz anders scheint? | |
Für uns ist etwa die industrielle Produktion von Lebensmitteln völlig | |
absurd. Es kommt uns vor, als sei sie abgeschnitten von den Menschen. | |
Massenproduktion ist ein Gegensatz zu dem organischen Miteinander, das wir | |
leben. Uns wäre es wichtig, dass die Art wie ihr eure Lebensmittel | |
produziert, gesünder wird. Das ganze System ist heftig, wenn man so | |
sensibel ist, wie wir es sind. | |
Was wollen Sie den Menschen da draußen mitteilen? | |
Ich habe eine Botschaft aus dem Wald: Wir sind nicht allein. Wir sind | |
miteinander verbunden. Die Natur ist wunderschön. Lasst uns zusammen in die | |
Zukunft gehen, dann sind wir viel stärker und sicherer. Die verschiedenen | |
Kontinente sind wie unser Herz und unsere Seele. Aber unser Körper ist die | |
Erde. | |
1 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://!5551533 | |
## AUTOREN | |
Jana Petersen | |
## TAGS | |
Lesestück Interview | |
Jair Bolsonaro | |
Präsidentschaftswahlen Brasilien 2018 | |
Brasilien | |
Indigene | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Brasilien | |
Jair Bolsonaro | |
Jair Bolsonaro | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Indigene | |
Präsidentschaftswahlen Brasilien 2018 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rechte Ideologien in Brasiliens Schulen: Bolsonaros Feldzug gegen Lehrkräfte | |
Mit seinen rassistischen und homophoben Sprüchen weckt Brasiliens Präsident | |
Widerspruch bei Lehrkräften. Die werden öffentlich denunziert. | |
Lebensraum von Indigenen in Brasilien: Begegnung gegen den Hass | |
Der rechte Präsident Jair Bolsonaro droht Reservate im Amazonas aufzulösen. | |
Das Volk der Huni Kuin will sich durch den Kauf von Land schützen. | |
Brasiliens neuer Präsident vereidigt: Bolsonaro kündigt Rechtsruck an | |
Als erste Amtshandlung will der rechtsextreme Staatschef in Brasilien per | |
Dekret das Waffenrecht liberalisieren, damit „gute Bürger“ sich verteidigen | |
könnten. | |
Oppositionskandidat über Jair Bolsonaro: „Er versucht, Trumps Stil zu imitie… | |
Erfolglos war Guilherme Boulos gegen Brasiliens neuen Präsidenten Bolsonaro | |
angetreten. Dessen Feldzug gegen die sozialen Bewegungen zeige sich jetzt, | |
sagt er. | |
Brasiliens neuer Präsident und Fußball: Über rechts außen | |
Der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro tritt sein Amt an. Dabei kann er | |
auf die Unterstützung prominenter Fußballer wie Ronaldinho zählen. | |
Indigene in Brasilien: Bolsonaro lehrt das Fürchten | |
Der designierte brasilianische Präsident hält die vorhandenen Schutzgebiete | |
für zu groß. Umwelt ist für den Rechtsextremisten kein Thema. | |
Nach Bolsonaros Wahlsieg in Brasilien: Der lange Weg zur Machtübernahme | |
Wer ist Jair Bolsonaro? Im Schatten der Krise wurde der rechtsextreme | |
Militarist, der als nicht ernst zu nehmend galt, zur Option gegen die Elite | |
der PT. |