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# taz.de -- Oppositionskandidat über Jair Bolsonaro: „Er versucht, Trumps St…
> Erfolglos war Guilherme Boulos gegen Brasiliens neuen Präsidenten
> Bolsonaro angetreten. Dessen Feldzug gegen die sozialen Bewegungen zeige
> sich jetzt, sagt er.
Bild: Bolonaros Fans kommen nach Brasília: Zu der Amtseinführungszeremonie we…
taz: Sie hatten bei der [1][Präsidentenwahl] für Ihre Partei, die linke
PSOL, das schlechteste Ergebnis in der Parteigeschichte eingefahren. Nur
etwas mehr als 600.000 Wähler*innen gaben Ihnen ihre Stimmen. Woran lag es?
Guilherme Boulos: Diese Wahl war von Hass und Angst geprägt. Das hat keinen
Raum für eine inhaltliche Debatte gelassen. Das Phänomen der wachsenden
Zustimmung von Bolsonaro hat alle demokratischen und progressiven Kräfte
erschreckt und zum voto útil, der nützlichen Stimme, geführt. Das heißt,
viele, die sich von unserem Projekt repräsentiert fühlten, haben im ersten
Wahldurchgang dennoch Fernando Haddad von der Partido dos Trabalhadores
(PT) gewählt, aus Angst vor Bolsonaro. Die Stimmen, die ich bekommen habe,
sagen gleichwohl nichts über die Zustimmungswerte meiner Partei aus. Die
PSOL hat ihre Abgeordnetenzahl von sechs auf zehn fast verdoppelt. Zum
Vergleich: Die PT hat mit 56 Sitzen die Mehrheit. Wir haben uns
Glaubwürdigkeit erarbeitet und Millionen Menschen für den zweiten Durchgang
mobilisiert. Die haben uns zwar nicht gewählt, aber sie stehen hinter uns.
Sie sind der Vorsitzende der mächtigen Obdachlosenbewegung MTST. Viele
behaupten, darunter Präsident Jair Bolsonaro selbst, dass es sich dabei um
eine Terrororganisation handelt. Der MTST begehe Landfriedensbruch,
Vandalismus und andere Verbrechen. Können Sie das erklären?
Der MTST wurde gegründet, um die Landreform, die vor über 30 Jahren in der
Verfassung beschlossen, aber nie ausgeführt wurde, zu erzwingen. Brasilien
ist ein riesiges Land mit enormen brachliegenden Flächen. Es gibt hier 7,7
Millionen Familien ohne Obdach und 7,9 Millionen verlassene Immobilien. Das
sind also mehr Häuser ohne Familien, als Familien ohne Häuser. Aber diese
Familien können kein würdiges Leben führen, viele müssen sich am Ende des
Monats zwischen Miete und Mittagessen entscheiden. Deshalb besetzt der MTST
verlassenes Land, um die Regierung zu zwingen, darauf Wohnungen zu
errichten. In der Verfassung steht zudem, dass Eigentum eine soziale
Funktion erfüllen muss. Dieses Gesetz wird aber nicht ernst genommen. Und
Bolsonaro, der den MTST wie auch andere soziale Bewegungen immer wieder
bedroht und sie ausschalten will, möchte gegen uns das neue Terrorgesetz
anwenden.
Das Terrorgesetz existierte bereits bevor Jair Bolsonaro im Amt war.
Das Gesetz wurde von [2][Dilma Roussef] kurz vor den Olympischen Spielen
2016 implementiert. Damals sollte es die sozialen Proteste bekämpfen. Jetzt
aber soll es mit einer Zusatzklausel verschärft werden. Bolsonaro will jede
Art von Opposition kriminalisieren. Eine Woche vor seiner Wahl, sagte er in
einem Interview, die „Roten“ sollten sich entscheiden zwischen Gefängnis
und Exil. Und dabei hat er auch meinen Namen, den seines direkten Gegners
bei den Wahlen, genannt. Der Chef seiner Partei hat den
Generalsbundesstaatsanwalt aufgefordert, mich zu verhaften.
Inwieweit macht sich Bolsonaros Feldzug gegen die sozialen Bewegungen schon
jetzt bemerkbar?
Bolsonaro sendet eine sehr agressive und gewaltätige Botschaft aus. Und das
zeitigt bereits Wirkung: Zwei Funktionäre unserer Partnerorganisation, der
Landlosenbewegung MST, wurden im Bundesstaat Paraíba erschossen. Ein
Polizist war dort tot aufgefunden worden. Man hat seinen Mörder nicht
gefunden, aber es wurde behauptet, dass es jemand vom MST war. Daraufhin
haben Polizisten eine Gemeinde des MST in Brand gesetzt, 300 Häuser mit
Kindern und Alten. Es kam zu Folter und Schüssen. Das sind starke Hinweise
darauf, was noch alles passieren kann. Etwa die Entstehung von
Quasi-Milizen, die politische Morde begehen.
Ist Bolsonaro der Trump der Tropen?
Er versucht Trumps Stil zu imitieren, mit den sozialen Medien zu regieren,
er operiert mit Fake News-Vorwürfen gegen die traditionellen Medien, selbst
gegen die konservativen und er hat bizarre Persönlichkeiten in seinem Team,
wie zum Beispiel den künftigen Außenminister, Ernesto Araújo, der
behauptet, der Klimawandel sei eine Erfindung der Marxisten. Darüber hinaus
ordnet er sich komplett der US-Außenpolitik unter. Ansonsten ist er viel
gefährlicher als Trump. Er ist ein autoritärer Mensch, er hat einen
bekannten Folterer aus der Militärdiktatur als seinen persönlichen Helden
bezeichnet.
Wie geht die Linke jetzt nach vorne?
Die wichtigsten drei Herausforderungen sind: In Brasilien ein breites
Bündnis zu formen, das die Demokratie und die sozialen Rechte verteidigt.
Wir sind bereit, an einem solchen Bündnis mitzuwirken und wir glauben, dass
es Anfang des Jahres dazu kommen wird. Zweitens müssen wir den Kurs der
brasilianischen Linken neu definieren, denn auch die Linke hat viele Fehler
gemacht. Und drittens müssen wir uns international vernetzen. Die extreme
Rechte schreitet auf der ganzen Welt voran. Mit ähnlichen Methoden, mit
ähnlichen Diskursen und untereinander abgestimmt. Wir müssen unseren
Widerstand auch abstimmen, Erfahrungen austauschen und gemeinsame
Strategien entwickeln.
Wie wollen Sie für das breite Bündnis in Brasilien Vertrauen schaffen
zwischen den Gruppen?
Die Menschen in Brasilien verstehen langsam, dass es mit Bolsonaro an der
Macht keine Alternative gibt, als die Einheit. Mit der Spaltung in unserem
Land und dem mangelnden Vertrauen müssen wir uns auseinander setzen. Wenn
nicht aus freiem Willen, dann aus Notwendigkeit. Es gibt ein Sprichwort in
Brasilien, das sagt, die Linke verbündet sich im Knast. Darauf können wir
nicht warten. Alle demokratisch Gesinnten teilen eine Sorge. Wir haben uns
zum Beispiel mit dem katholischen Bischof Brasiliens getroffen, ein
sympathischer Mann, er ist sehr besorgt über die Ereignisse. Dann gibt es
auch noch einige wenige Evangelikale, mit denen wir reden. In ein solches
Bündnis passen natürlicherweise alle jenen, denen die Verteidigung der
Menschenrechte, sozialen Rechte und der Demokratie wichtig ist. Das können
Religiöse sein, Juristen, Künstler, Abgeordnete oder Indigene.
Wieso habt Ihr dieses Bündnis nicht schon früher geschlossen? Jetzt ist es
ja reichlich spät.
Wir glauben nicht, dass es zu spät ist. Nur weil Bolsonaro Präsident ist,
heißt das nicht, dass er machen kann, was er will. Genau deshalb ist das
Bündnis notwendiger denn je. Unsere Mobiliserung im Vorfeld hat nicht
genügt, weil wir alle Bolsonaro schlicht und einfach unterschätzt haben.
Die PT hat sogar darauf verzichtet, ihn vor dem ersten Wahldurchgang
überhaupt anzugreifen. Sie wollten ihn in der Endrunde haben, weil sie
dachten, dass es leichter sei, gegen ihn zu gewinnen. Das war eine falsche
Taktik, die daraus resultierte, dass Bolsonaro von allen unterschätzt
wurde.
Von sich selbst vermutlich auch, oder?
Nun, er ist sehr unqualifiziert. Die vielen Fehler und das hin und her bei
der Amtsübergabe zeigen, dass er und seine Unterstützer auf einen Wahlsieg
überhaupt nicht vorbereitet waren.
Manche seiner Unterstützer vielleicht schon, oder? Es stehen ja viele
Interessengruppen hinter ihm. Ist er vielleicht eher eine Marionette?
Wahrscheinlich, denn seine Unterstützer sind viel mächtiger als er. Zum
Einen das Militär: Fünf seiner künftigen Minister sind Militärangehörige.
Ihre Agenda ist einerseits mehr Geld und Ausrüstung für die Armee, und
politisch stehen sie für ein straffes Ordnungsprinzip. Dann gibt es die
Interessen der Banken: Der designierte Wirtschaftminister Paulo Guedes ist
ein Banker von der ultraliberalen Chicagoschule, im Justizministerium
sitzen Leute wie der Richter Sergio Moro, der Lula hinter Gitter gebracht
hat. Dann die Evangelikalen, die mit der Pastorin Damares Alves die
Ministerin für Menschenrechte stellen. Sie sagte bei ihrem ersten Auftritt,
„es ist Zeit, dass die Kirche in Brasilien regiert“. All diese Gruppen
werden versuchen, ihre Interessen in der Regierung Bolsonaro durchzusetzen
– und haben damit auch schon begonnen.
Gibt es einen Plan, für den Fall, dass das Militär eingeschaltet wird?
Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Aktionen Unterstützung und Solidarität
bekommen, indem wir zeigen, dass nicht wir gewalttätig sind, sondern die
Politik von Bolsonaro.
Aber werden die Medien das auch so abbilden?
Darüber haben wir keine Kontrolle. Die Frage, wie die brasilianischen
Medien reagieren werden, hängt mehr davon ab, wie Bolsonaro sich ihnen
gegenüber verhält, als von unseren Aktionen. Es ist sehr wahrscheinlich,
dass Bolsonaro sich die Medien zu Feinden macht. Er greift sie bereits
jetzt an und nicht nur die linke Presse. Weil er nicht mit Kritik leben
kann und die öffentliche Meinung lieber über whatsapp steuert. Er glaubt,
er braucht die großen Medien nicht.
1 Jan 2019
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## AUTOREN
Sunny Riedel
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