# taz.de -- Rechte Ideologien in Brasiliens Schulen: Bolsonaros Feldzug gegen L… | |
> Mit seinen rassistischen und homophoben Sprüchen weckt Brasiliens | |
> Präsident Widerspruch bei Lehrkräften. Die werden öffentlich denunziert. | |
Bild: Der „brasilianische Trump“, Jair Bolsonaro | |
BELO HORZIONTE taz | An einem Tag im Mai 2017 behandelte Lehrerin Valerie | |
Borges im Geschichtsunterricht den Aufstieg der Hitlerjugend, als es einer | |
Schülerin entfuhr: „Aber das ist genau, was Jair Bolsonaro macht.“ | |
Für die Schülerin war der Zusammenhang zwischen der Minderheitenverfolgung | |
im Deutschland der 1930er Jahre und dem Diskurs des brasilianischen | |
Abgeordneten – der kurz darauf zum Präsidenten Brasiliens gewählt werden | |
sollte – klar. Borges antwortete: „Ein Typ, der für Bolsonaro ist, der ist | |
so, weil er homophob ist, weil er ein Frauenhasser ist. Das ist unabhängig | |
davon, was Bolsonaro ist.“ Damit war für Borges, die an der renommierten | |
staatlichen Schule von Niterói, im Staat Rio de Janeiro, unterrichtet, das | |
Thema abgehakt. | |
Was die 54-Jährige nicht wusste: Eine andere Schülerin hat Borges’ | |
Äußerungen über Bolsonaro auf dem Handy aufgenommen. Und noch weniger ahnte | |
die Lehrerin, dass der Mitschnitt kurz darauf bei Stadtrat Carlos Jordy | |
landen sollte. Der wiederum veröffentlichte das Audio auf seiner Webseite | |
und in den sozialen Netzwerken. Heute ist Jordy Parlamentabgeordneter für | |
die Partido Social Liberdade (PSL) – die Partei Bolsonaros. | |
Die Veröffentlichung des Mitschnitts durch den Stadtrat hatte Folgen für | |
die Geschichtslehrerin: Am darauf folgenden Tag brach ein Shitstorm über | |
Valeria Borges herein, auf ihrer Facebook-Seite erhielt sie sogar | |
Morddrohungen. „Am Anfang war es schrecklich, aber dann habe ich | |
Unterstützung von Freunden, Schülern, Kollegen und der Gemeinde von Niterói | |
bekommen. Alle kennen mich sehr gut, ich unterrichte seit 20 Jahren an | |
dieser Schule“, sagt sie der taz. | |
## Kritik an Rassismus und Militärdiktatur macht verdächtig | |
Dennoch fiel es Borges schwer, die Attacke zu überwinden. Über ein Jahr | |
lang nahm sie Medikamente gegen Depression. „Was mich am meisten beleidigt | |
hat, war, von einem Idioten zu hören, dass ich nicht als Lehrerin arbeiten | |
sollte. Lehrerin zu sein ist das, worauf ich am meisten stolz bin.“ | |
Hinter der Attacke auf Valeria Borges steckt die Bewegung „[1][Escola Sem | |
Partido]“ (deutsch: Schule ohne Partei). Ihr erklärtes Ziel ist es, gegen | |
eine „Indoktrination“ der Schüler vorzugehen. Erstaunlich dabei ist, was | |
für die Anhänger dieser Bewegung alles verdächtig ist. Nämlich alles, was | |
in irgendeiner Weise gegen die „traditionelle Familie“ gerichtet sein | |
könnte: Marxismus, Sozialismus, Gender, Sexualität, Feminismus, | |
afrikanische Geschichte und Religion, aber auch der kritische Umgang mit | |
Rassismus und der Militärdiktatur in Brasilien. | |
Allein in Borges’ Schule wurden noch weitere vier Lehrer im Unterricht | |
gefilmt und im Netz angefeindet. Die Escola Sem Partido geht auf den | |
brasilianischen Juristen Miguel Nagib zurück. Nagib ist einer der ersten | |
Mitglieder des Instituto Millenium, ein brasilianischer Think-Thank für | |
Wirtschaftsliberalismus, den Banker, Medienunternehmer und Rechtspolitiker | |
fördern. In dem Institut treffen sich Personen wie José Piñera, der unter | |
Chiles Diktator Augusto Pinochet Arbeitsminister war. | |
Die Escola Sem Partido gründete Nagib im Jahr 2004, als er von seiner | |
Tochter mitbekam, dass einer ihrer Lehrer im Unterricht Che Guevara mit dem | |
heiligen Franz von Assisi verglichen habe. Aus Protest schrieb er der | |
Schule einen Brief. Die Schulgemeinschaft hingegen verteidigte den | |
angegriffenen Lehrer. | |
## Missliebige Begriffe sollen aus Schulen verbannt werden | |
Doch Nagib ist nicht die Person, die schnell klein beigibt. Anhand des | |
Falls entwickelte der Jurist eine Theorie einer Art Stockholm-Syndrom bei | |
Schülern. In ihnen erkennt er „Opfer intellektueller Entführung“, während | |
dessen der indoktrinierte Schüler fast immer eine „starke affektive | |
Verbindung zu seinem Lehrer/Indoktrinator entwickelt“, heißt es auf der | |
offiziellen Webseite von Escola Sem Partido. | |
Deshalb, steht dort weiter, würden Schüler nicht zugeben, dass sie | |
manipuliert worden seien. Im Gegenteil verteidigten die Schüler ihre Lehrer | |
noch. Auf der Webseite von Escola Sem Partido kann man auch Vorlagen | |
herunterladen, die helfen, gegen Lehrer vorzugehen: Anträge für | |
Filmgenehmigungen an Schulen, Anklageschriften, Gesetzesvorlagen. | |
Bolsonaros Familie ist schon früh in der Bewegung aktiv. | |
Im Jahr 2014 protokollierte [2][Flavio Bolsonaro], Sohn des neuen | |
Präsidenten Jair Bolsonaro und heute Senator, die erste Gesetzesvorlage von | |
Escola Sem Partido. Damals war Bolsonaro junior noch Abgeordneter im | |
Regionalparlament von Rio de Janeiro. Der Entwurf wurde mithilfe von Miguel | |
Nagib geschrieben, aber nicht verabschiedet. Einige Monate später, reichte | |
Flavios Bruder Carlos Bolsonaro – als Stadtrat von Rio – eine ähnliche | |
Gesetzesvorlage ein. Auch dieser Vorstoß blieb ohne Erfolg. Das war jedoch | |
nicht überall so. | |
Von den rund 150 Gesetzesentwürfen gegen Indoktrination an Schulen, die | |
seither in ganz Brasilien eingereicht wurden, wurden etwa 20 angenommen. | |
Und seitdem Bolsonaro vergangenes Jahr zum Präsidenten gewählt worden ist, | |
beschäftigt sich auch das nationale Parlament mit dem Thema. Im | |
brasilianischen Unterhaus wartet auch ein entsprechender Gesetzesentwurf. | |
Er sieht vor, dass die Begriffe „Gender“ und „sexuelle Orientierung“ aus | |
den Schulen verbannt werden müssen. | |
## Bolsonaro wettert gegen Aufklärungsunterricht | |
Ende 2018 wurde der Entwurf vom Leiter der Parlamentskommission zugelassen. | |
Die Abstimmung wurde zwar wegen entschiedener Lehrerproteste verschoben. | |
Die Leiter der Kommission haben aber angedeutet, dass sie den | |
Gesetzesentwurf zu einem späteren Zeitpunkt zur Abstimmung stellen wollen. | |
Die Aussichten auf Erfolg stehen gut. | |
Denn vergangenen Freitag ist das neu gewählte brasilianische Parlament | |
zusammengetreten. Bolsonaros Partei ist dort nun mit 55 Sitzen stärkste | |
Kraft. Der neue Präsident, [3][der unter anderem für die Militärdiktatur | |
schwärmt], hat die Escola Sem Partido während des Wahlkampfs als Plattform | |
benutzt. Eines seiner Argumente, verbreitet durch WhatsApp und Interviews, | |
war, dass Aufklärungsunterricht zur Sexualisierung von Kindern beitrage. | |
Auch behauptete Bolsonaro, dass Lehrer anhand einer „Gender-Ideologie“ | |
Schüler zu Homo- und Bisexualität ermutigten. | |
Bei seinen Attacken gegen die angebliche Gender-Ideologie nahm es Bolsonaro | |
mit der Wahrheit nicht so genau. Im Wahlkampf zeigte er ein Schulbuch, das | |
Teil eines „Gay-Kit“ sein solle und in staatlichen Schulen während der | |
Regierungszeit der Arbeiterpartei verwendet werde. In Wahrheit hat das | |
Bildungsministerium dieses Anatomie-Schulbuch gar nicht zugelassen. | |
„Die Mehrheit der Fälle von sexuellem Missbrauch passieren zu Hause, von | |
Familienangehörigen oder Freunden der Eltern“, sagt Fernanda Moura von der | |
Bewegung „Lehrer gegen die Escola Sem Partido“. Moura hat ihre Masterarbeit | |
über die Escola Sem Partido geschrieben. Ihr Urteil ist eindeutig: „Wenn | |
sie sagen, dass die Lehrer Kinder sexualisieren, ist das eine riesige Lüge. | |
Kinder werden durch die Medien und die Familie sexualisiert. Die Schule ist | |
eine Hilfe für sie. Viele Schüler merken nur dann, dass sie missbraucht | |
werden, wenn sie an der Schule aufgeklärt werden.“ | |
## Niedrige Gehälter und schlechte Arbeitsbedingungen | |
Doch diese Sichtweise hat heute mächtige Gegner. So hat sich auch der neue | |
Bildungsminister, der Kolumbianer Ricardo Vélez Rodríguez, wie sein | |
Präsident offen für Escola Sem Partido ausgesprochen. „Wer erzieht, sind | |
Vater und Mutter. Die Schule muss die familiären Traditionen respektieren“, | |
sagte er der Zeitung Folha de S.Paulo. Über den sehr schlechten Zustand | |
vieler öffentlicher Schulen oder die Probleme mit Gewalt und Drogen bei | |
Kindern und Jugendlichen hat der neue Bildungsminister hingegen noch kein | |
Wort verloren. Auch nicht zu den Arbeitsbedingungen für Lehrer in | |
Brasilien. Im Vergleich mit 39 weiteren OECD-Ländern erhalten Pädagogen in | |
Brasilien das niedrigste Gehalt. | |
„Diese Politiker, die für die Escola Sem Partido sind, haben seit Jahren | |
keine Schule betreten“, sagt Fernando Penna, Professor an der Fakultät für | |
Erziehungswissenschaften an der Universität Fluminense. „Die Lehrer sind so | |
überfordert, dass es ihnen kaum gelingt, überhaupt zu unterrichten“, so | |
Penna. Zum Indoktrinieren kommen sie gar nicht. | |
6 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Fábio Corrêa | |
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