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# taz.de -- SPD fordert Kindergrundsicherung: Gegen das Hartz-IV-Stigma
> Die SPD wirbt für eine „Kindergrundsicherung“. Wichtiger als neue
> Begriffe sind aber rasche Verbesserungen für Hartz-IV-Haushalte.
Bild: Bunte Farben sind schön – mehr Geld ist schöner
Es entstehen merkwürdige Bilder im Kopf, wenn man die aktuelle Debatte über
Kinderarmut verfolgt. [1][Beim Wort Kinderarmut] drängen sich Bilder von
Straßenkindern in armen Ländern auf, die elternlos durch die Straßen
ziehen. Solche Bilder rühren an. Die Kinderarmut hierzulande ist aber
etwas anderes.
Nach Berechnungen des Deutschen Kinderschutzbundes leben etwa drei
Millionen Kinder und Jugendliche in Hartz-IV-Haushalten oder in Haushalten
mit sehr geringem Einkommen. Jede Diskussion über Kinderarmut müsste daher
immer auch eine über Haushaltsarmut, über Einkommensarmut der Eltern sein.
Trotzdem wird in der Politik lieber von Kinderarmut geredet und neuerdings
auch von der SPD das [2][Konzept einer Kindergrundsicherung ins Gespräch
gebracht]. Grüne und Linke sind auch für eine Kindergrundsicherung, wenn
auch in etwas anderem Gewand. Mehrere Sozialverbände haben sich
zusammengetan zu einem „Bündnis Kindergrundsicherung“.
Die Beschränkung auf Kinder als Leistungsempfänger hat gewisse Vorteile.
Man vermeidet die moralischen Debatten über vermeintlich arbeitswillige
oder arbeitsunwillige Hartz-IV-EmpfängerInnen, über Lohnabstände zwischen
ArbeitnehmerInnen und SozialleistungsbezieherInnen: die ganze
unerfreuliche Hartz-IV-Streiterei. Kinder sind unschuldig, und wenn sie arm
sind, gebührt ihnen jede Hilfe, so die Botschaft. Am Ende aber geht es
immer um die Verteilung von Steuergeldern an einkommensarme Haushalte und
um die Frage, wer denn nun Anspruch auf wie viel Sozialleistungen hat.
Die Schwierigkeiten zeigen sich, wenn man die Konzepte genauer betrachtet.
Unter Kindergrundsicherung verstehen die Parteien im Kern ein Konzept, mit
dem Sozialleistungen gebündelt werden sollen. Zu den Leistungen zählen
bislang [3][der Hartz-IV-Bezug] für Kinder (das sogenannte Sozialgeld), der
Kinderzuschlag (eine Sozialleistung für arme Familien) und das Kindergeld
(bekommen die meisten Familien). Hochverdiener können den Steuerfreibetrag
für Kinder in Anspruch nehmen.
## 620 Euro pro Monat
SPD-Chefin Andrea Nahles kündigte am Donnerstag auf einer [4][SPD-Klausur]
an, noch in diesem Jahr ein Konzept zur Kindergrundsicherung vorzulegen. Im
Gespräch ist ein rechnerischer Grundbedarf von 620 Euro für jedes Kind. Wie
hoch dann aber die staatliche Leistung einer Kindergrundsicherung ist und
wie sie mit anderen Sozialleistungen und dem Einkommen der Eltern
verrechnet wird, ist noch völlig unklar. Nach Vorschlägen des Deutschen
Kinderschutzbundes soll die Kindergrundsicherung von 620 Euro je nach
Einkommen der Eltern abgeschmolzen werden bis auf einen Mindestbeitrag von
300 Euro pro Kind und Monat. Zum Vergleich: Bisher liegt der
Hartz-IV-Regelsatz für ein Schulkind bei 302 Euro, das Kindergeld beträgt
194 Euro pro Kind und Monat und wird ab Juli um zehn Euro erhöht.
Das Vereinfachungsversprechen einer Kindergrundsicherung wirft also
schwierige Fragen auf: Wer bekommt dann mit welchem Einkommen welche
Leistung? Die Frage stellt sich auch, wie diese finanziert werden soll. Das
Konzept einer Kindergrundsicherung könnte laut Kinderschutzbund rund 20
Milliarden Euro an Steuergeldern kosten. Die Befürworter wollen das Modell
unter anderem durch die Abschaffung des Ehegattensplittings
gegenfinanzieren. Aber das dürfte nicht reichen und außerdem auch zu
Protesten führen.
Die SPD [5][will sich politisch positionieren] mit einer Idee, die nach
Neuanfang klingt und nicht nach Hartz IV. Das ist nachvollziehbar. Die
Gefahr aber besteht, dass im Streit um eine „Kindergrundsicherung“ eine
Maximaldebatte beginnt, die den Kampf um kleinere, machbare und schnellere
Verbesserungen für Hartz-IV-Haushalte verdrängt: eine schlichte Erhöhung
der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder etwa, eine teilweise Nichtanrechnung des
Kindergeldes auf den Hartz-IV-Bezug, die Finanzierung der Reparatur von
Haushaltsgeräten.
## Konkrete Verbesserungen zählen
Die Idee, eine Verteilungsdebatte gewissermaßen ins Stadium der
politischen Unschuld zu hieven, indem man sie auf Kinder fokussiert, könnte
im Übrigen nach hinten losgehen: dann nämlich, wenn die alten Ressentiments
geweckt würden gegen kinderreiche, aber arme Familien, vielleicht noch mit
Migrationshintergrund, die angeblich zu viel Nachwuchs haben und auf
Staatskosten leben. Alles schon mal dagewesen.
Maximalkonzepte und neue Namen sind vielleicht wichtig als Symbol. Am Ende
aber sollten konkrete Verbesserungen zählen. Kann sich jedes Kind leisten,
Nachhilfeunterricht zu bekommen, in einen Sportverein zu gehen, ein
Musikinstrument zu lernen?
Und überhaupt: Was stimmt eigentlich nicht mit den Arbeitseinkommen in
Deutschland, wenn Hunderttausende ArbeitnehmerInnen mit Vollzeitjob
ergänzendes Hartz IV beziehen müssen, weil es sonst nicht reicht für die
Familie? Eine Neubenennung von Hartz-IV-Leistungen kann das Lohnproblem
nicht lösen.
11 Jan 2019
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## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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