# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Alleinstellungsmerkmal Empathie | |
> Was folgt aus der Entscheidung des Grünen-Vorsitzenden Habeck, Facebook | |
> und Twitter zu verlassen? Es geht darum, wie wir miteinander sprechen. | |
Bild: Robert Habeck fotografiert sich mit einem Mobiltelefon | |
„Sie sind doch von einer linken Zeitung“, sagte Jaron Lanier. Oje, dachte | |
ich. So ein Einstieg läuft selten auf eine Lobeshymne hinaus. Wir saßen | |
letzten Herbst in Saul's Delikatessen in Berkeley beim Mittagessen, und | |
tatsächlich erklärte mir der Silicon Valley-Pionier und | |
Digital-Intellektuelle heiter schmatzend den großen linken Denkfehler, das | |
Internet betreffend. Nämlich, dass alles frei, also kostenlos sein sollte. | |
Die Realität sind oligarchisch anmutende Monopole, die Milliarden armer | |
Schweine ausbeuten, die unfreiwillig (wie viele Musiker und Übersetzer) | |
oder sogar freiwillig für sie schuften. Ich zum Beispiel stelle täglich | |
hochklassige Polit-Aphorismen und bescheidene SPD-Witzchen kostenlos | |
Twitter zur Verfügung. Es macht Spaß, aber ergibt das Sinn? Auch aufwendig | |
produzierter Verlagsjournalismus wird so verlässlich kostenlos angeliefert, | |
dass die Leute immer irritierter werden, wenn Journalismus doch Geld | |
kostet. | |
In der Gegenwart des „en meme temps“ (Macron) gibt es selbstverständlich | |
positive Aspekte. Nur ein Beispiel: Junge Publizistinnen haben sich eine | |
Stimme gegeben, vernetzt und ein Geschäftsmodell aufgebaut, ohne sich bei | |
einem gatekeependen Alt-Redakteur einschleimen zu müssen. Großartig. | |
Man kann für sich selbst etwas bewegen. Aber, das ist Laniers These, man | |
kann sich oder gar die Gesellschaft nicht ermächtigen auf Plattformen | |
autoritär orientierter Silicon Valley-Unternehmen, deren Geschäftsmodell | |
die totale Manipulation und Kontrolle von Menschen im Auftrag von Dritten | |
ist. Auch wenn die positiven Bewegungen (Arabischer Frühling) sich noch so | |
schön anlassen, am Ende gewinnt das Negative. Weil es darum geht, möglichst | |
viel aus den Leuten herauszupressen und dafür gibt es zwei Trigger: Mach | |
sie wütend oder mach sie ängstlich. | |
## Strubbeljournalistische Diagnostik | |
Deshalb denke ich, dass der Grüne Bundesvorsitzende Robert Habeck mit | |
seiner Entscheidung, [1][Facebook und Twitter zu verlassen], eine tiefere | |
gesellschaftliche Diskussion auslösen muss, als wir sie bisher haben. Es | |
geht nicht um tagespolitische Kleinstrendite und strubbeljournalistische | |
Charakterdiagnostik. Es ist nicht nichts, wenn ein Spitzenpolitiker das | |
intellektuelle und emotionale Potential hat, die Sprache, den Mut und | |
inzwischen auch die Kraft, um grundsätzliche Zukunftsfragen in die | |
Mediengesellschaft hineinzulegen. | |
Nochmal: Twitter und Facebook haben Vorteile, aber im Kern zielen sie auf | |
Bestätigung oder Ablehnung, auf Unterhaltung, Übertreibung, Spaltung und | |
Eskalation. Ich verstehe das Bedürfnis, aber es wird doch wohl keiner | |
ernsthaft denken, dass ein „Nazis raus“-Tweet mehr Folgen haben könnte als | |
ein kurz erleichterndes Rülpsgefühl. | |
Der erste große Grüne Paradigmenwechsel nach 1998 ist das andere Sprechen, | |
das sich aus der veränderten Aufgabe ergibt, die aus der neuen Weltlage | |
folgt. Sprechen erfüllt sich nicht mehr im Senden und empörten | |
Kopfschütteln, wenn ein Andersdenkender antwortet. Sondern im Zuhören, im | |
Nachfragen, im Differenzieren, im Entwickeln des eigenen Sprechens und | |
Denkens durch den Austausch. | |
Es geht jetzt im wahrsten Sinne existentiell um die Frage, wie wir | |
miteinander sprechen. In der unsmartphone verseuchten Kleinfamilie, in der | |
bröckelnden Gesellschaft, in der verunsicherten Politik. Damit wir etwas | |
zusammen hinkriegen. Dazu braucht es den respektvollen Austausch von | |
Argumenten und es braucht Empathie. Es geht darum, zu verstehen oder zu | |
spüren, dass Empathie kein Nachteil gegenüber Maschinen ist, sondern unser | |
Alleinstellungsmerkmal. | |
Und letztlich vielleicht ja auch der Sinn des Ganzen. | |
12 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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