# taz.de -- „Some Rap Songs“ von Earl Sweatshirt: Reime lieber verschwurbelt | |
> Den Verwertungsmechanismen von Streaming-Plattformen entgegengestellt: | |
> Der kalifornische Rapper Earl Sweatshirt und sein neues Album. | |
Bild: Geht seinen eigenen Weg: Thebe Neruda Kgositsile alias Rapper Earl Sweats… | |
Streaming beeinflusst Künstler und ihre Musik direkt. Gerade bei | |
HipHop-Alben ist dieses ökonomische Phänomen zu beobachten. Mehr Songs | |
bedeuten mehr Klicks, bedeuten letzten Endes mehr Geld. Ein Song mit | |
schnellem Höhepunkt bedeutet mehr Erfolg. Drake und die US-Rapcrew Migos | |
haben mit ihren Alben in Überlänge voller Ausschussware 2018 gezeigt, wie | |
Musik darunter leiden kann, wenn sich Künstler zu schnell an die | |
veränderten Marktbedingungen anpassen. | |
Der kalifornische Rapper Earl Sweatshirt ist mit seinen 24 Jahren einer, | |
der schon mehr Antihaltung an den Tag legt. Earl Sweatshirt muckt auf, | |
produziert sperrige Songs, produziert und rappt verschwurbeltes Zeug. Noch | |
schöner: Ihm ist das Business völlig egal. Mit „Some Rap Songs“ | |
veröffentlicht der US-Rapper nun sein drittes und gleichzeitig sein | |
unzugänglichstes Album – es erscheint sogar im Format Kassette. | |
Genau genommen sind die 15 Songs auf „Some Rap Songs“ gar keine richtigen | |
Songs. Eher schon ist „Some Rap Songs“ eine Ansammlung roh produzierter, | |
oft nicht mal zwei minütiger Skizzen. Da ist nichts auf Hitradio-Powerplay | |
poliert, auch für den Club ausgelegte Basslines gibt es keine und | |
Mitgröhlhooklines schon gar nicht. Für die Playlisten von | |
Streaminganbietern hat er sich damit disqualifiziert. | |
Sweatshirt sorgt dafür, dass die von ihm produzierten Beats ruckeln und | |
rauschen. Drumsamples sind neben dem Takt platziert, Vocal-Loops | |
wiederholen sich immer wieder und klingen dabei immer verzweifelter. Das | |
gesamte Album wirkt wie eine Absurditätenschau der Sounds, die im Einzelnen | |
dissonant klingen, aber schaurig-schön, nachdem sie von Sweatshirt | |
miteinander kombiniert wurden. | |
Mit seinen sperrigen Rumpelbeats voller Soul steht Sweatshirt in einer | |
Tradition mit dem Sound von Flying Lotus’ Brainfeeder-Label. Und natürlich | |
steht die Musik noch immer in Verbindung mit Odd Future, jenem | |
selbstzerstörerischen Freundeskreis, der seit 2007 mit schockierenden | |
Videos und ebensolchen Reimen zuerst Los Angeles aufgeschreckt hat und dann | |
die ganze Welt. Neben Frank Ocean, The Internet und Tyler The Crestor | |
gehörte auch Earl Sweatshirt zum Kollektiv Odd Future. | |
## Geprägt von Wut, makabren Erzählungen | |
Interessant ist, dass die anderen genannten Künstler ästhetisch immer | |
zugänglicher geworden sind, während Sweatshirt sich genau umgekehrt | |
entwickelt hat. Nach seinem Debüt-Mixtape „Earl“ von 2010 wurde er von | |
seiner Mutter wegen seiner angeblichen Drogensucht für knapp eineinhalb | |
Jahre in ein Erziehungs-Bootcamp auf Samoa geschickt. In dieser Zeit hatten | |
Odd Future ihren Durchbruch. Sweatshirt musste hilflos zuschauen. | |
Vielleicht sind seine Veröffentlichungen seit seiner Rückkehr in die USA | |
auch deswegen so geprägt von Wut, makabren Erzählungen und | |
Selbstunsicherheit. | |
In seinen Reimen wirkt Sweatshirt emotionslos, weil seine Stimme | |
gleichgültig in der immer gleichen Tonlage über die Beats gleitet. Manchmal | |
klingt er dabei wie eine lethargische Version des legendären New Yorker | |
Rappers Guru. Doch das Lethargische, das mit der Zeit meditativ wirkt, ist | |
nur die Oberfläche. An Sweatshirts Lyrics ist zu hören, dass es in ihm | |
brodelt, dass er gerne schreien würde, aber nicht der Typ dafür ist. Gleich | |
in den ersten Zeilen des Auftaktsongs „Shattered Dreams“ thematisiert er | |
seine mentalen Probleme und bleibt danach introspektiv und introvertiert. | |
Mit „Some Rap Songs“ hat Sweatshirt sich einen zur Musik gewordenen | |
HipHop-Schutzraum geschaffen, in dem er wütend sein kann, ohne zu schreien. | |
Seine Gefühle überträgt er in die Sperrigkeit der Sounds und der Texte. | |
Einen solchen Schritt hat sich in diesem Jahr kein anderer US-Rapper | |
getraut, doch gerade so entsteht doch große Kunst. Interessant ist nun, | |
dass Sweatshirts Unangepasstheit auf den Streamingdiensten trotzdem | |
funktioniert. Knapp 2,2 Millionen Menschen hören seine Songs bei Spotify. | |
Das ist amtlich. „Some Rap Songs“ zeigt auch, dass es für Künstler mögli… | |
ist, Gehör zu bekommen, ohne sich anzupassen. | |
23 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Johann Voigt | |
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