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# taz.de -- Neues Album von Tyler, The Creator: Verschwende deine Tugend
> Dicke Hose statt soziales Gewissen: Der kalifornische Rapper Tyler, The
> Creator präsentiert sein neues Album „Cherry Bomb“.
Bild: Der Rapper beim Coachella Music and Arts Festival.
Tyler, the Creator ist ein wandelnder Widerspruch. „I’m rapping about
diamonds, cars and money“, rappt der 24-Jährige mit der tief vibrierenden
Stimme gegen Ende seines vierten Albums „Cherry Bombs“, nur um sich dann zu
fragen: „Was zum Teufel ist in mich gefahren?“
Ein paar Stücke vorher hatte er einen fast sieben Minuten langen Track lang
davon erzählt, wie er mit einem Auto aus seiner Sportwagenflotte – einem
AMG, einem BMW oder einem Benz – durch die Stadt cruist.
Solche Widersprüche sind Teil von Tylers Persona, seitdem er vor fünf
Jahren mit den ersten Stücken der Odd Future Wolf Gang aus Los Angeles
bekannt wurde. Odd Future waren eine Ansammlung von spätpubertären
Testosteronbündeln, bei denen faggot zum Standarvokabular gehörte, die aber
ihre Shows von einer lesbischen Soundmixerin abmischen ließen.
Der damals 20-jährige Tyler aß im Videoclip zu „Yonkers“ zur Schockwirkung
Kakerlaken und erhängte sich. Das Album „Goblin“ inszenierte er als Dialog
zwischen sich und seinem Psychotherapeuten. Odd Future galten als Erneuerer
des HipHop. Popkulturgetränkt, ohne allzu kuratorisch zu sein, cartoonhaft
überzeichnet, aber mit der nötigen Portion Street Credibility und einem
Rapper am Rande der Hyperaktivität: Tyler, the Creator. Ein zweistelliger
Millionendeal mit Sony war die Belohnung.
## Jazz und Stevie-Wonder-Style
Vier Jahre später besitzt Tyler Okonma eine Villa in L. A., eine
Fernsehshow auf Adult Swim, seine eigene Streetwear-Kollektion und wird auf
CNN von Larry King interviewt. Mit dem Ruhm ist der spartanische, manchmal
klaustrophobische Sound seiner frühen Alben verschwunden. An seine Stelle
ist ein Spaziergang durch das CD-Regal in seinem Kinderzimmer getreten.
Auf „Cherry Bomb“ findet man ein Rockstück, das auch von Pharrells
kurzlebigem Nebenprojekt N.E.R.D. stammen könnte, ein anderthalb minütiges
Trap-Interlude, Westküsten-HipHop mit Jazz-Anleihen und ein
sechseinhalbminütiges Stück im Stile eines Stevie Wonder, auf dem Tyler
darüber philosophiert, dass er unmöglich mit einer Minderjährigen ausgehen
kann – obwohl er gerne würde, versteht sich.
Dazu passt, dass die Odd Future Wolf Gang nicht mehr existiert. Es gibt
keine Gastauftritte der alten Rapcrew auf „Cherry Bomb“,
Ex-Odd-Future-Kollege Earl Sweatshirt hat parallel ein Soloalbum
veröffentlicht. „Wir haben uns auseinandergelebt“, hat Tyler diese
Entwicklung in einem Interview kommentiert.
Er ist jetzt sein eigener Stern und wird nur von anderen Stars umkreist. An
„Cherry Bomb“ sind nicht nur Soul-Komponist Roy Ayers und
Soundtrack-Produzent Hans Zimmer beteiligt gewesen, sondern die A-Liga des
US-HipHop hat sich mit Tyler vor dem Mikrofon versammelt.
## Am Mischpult in die zweite Reihe
Aber dort – vor dem Mikrofon – darf es nur einen König geben: Tyler selbst.
Sein Idol Pharrell vergeudet auf „Keep da O’s“ seine unterkühlte Stimme …
einer öden Prahlerei über Ecstasy-Konsum und wird in dem Track so stark
verzerrt, dass von seinem Flow nichts übrig bleibt. Kanye Wests Reim auf
„Smuckers“ ist zwar eins der Highlights, wird aber wiederum dadurch
entwertet, dass Südstaaten-Rapper Lil’ Wayne mit ein paar hingerotzten
Versen den Großteil des Songs bestreiten darf. Vermutlich ist es die
ultimative „Scheiß drauf“-Geste: die größten Rapper der Welt vor dem
Mikrofon zu haben und sie dann am Mischpult in die zweite Reihe zu
delegieren.
Denn im Mittelpunkt von „Cherry Bomb“ steht das Leben von Tyler – egal, ob
er mit Spritztouren, Cunnilingus oder dem eigenen Jugendkultur-Imperium
prahlt. Dabei versteigt er sich mal zu Versen, bei denen die halbe
HipHop-Geschichte mitschwingt, ein anderes Mal kommen die Wortspiele so
selbstverliebt daher, als würde der echte Tyler genauso viel Adderall
nehmen wie der Cartoon-Tyler aus seinen Raps.
Tyler perfektioniert seine Cartoon-Welt, die er auf allen Kanälen
kommerziell bedient: „I don’t pray to society/I’m in a field wearing pink
and blue.“ Damit steht er im Kontrast zu Kendrick Lamar, der auch aus L. A.
stammt und nur drei Jahre älter ist. Lamar entwirft auf seinem letzten
Album ein historisch informiertes Psychogramm des schwarzen Amerikas im
Angesicht der aktuellen Polizeigewalt. Tyler dagegen zeigt das Psychogramm
einer an HipHop und Zeichentrickfilme verschwendeten Jugend, die aus der
Verschwendung eine Tugend gemacht hat. Erfolgreich sind beide, aber Lamars
Geschichte ist diejenige, die Amerika gerade lieber hören möchte. Sein
Album stieg Anfang April auf Platz eins der Billboard-Charts ein – Tylers
drei Wochen später nur auf Platz 15.
11 May 2015
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
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Afrika
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