# taz.de -- Papageienkonzert in Linz: Solange Wittgenstein Lust hat | |
> Die Papageienvoliere ist das zentrale Kunstwerk beim Höhenrausch-Festival | |
> in Linz. Ihre Bewohner sind Teil des Musikprojekts Alien Productions. | |
Bild: Ein Graupapagei des Musikprojekts Alien Productions beim Linzer Höhenrau… | |
LINZ taz | Als Wittgenstein keine Lust mehr hat, ist das Konzert zu Ende. | |
Zwanzig Minuten lang hatte die junge Papageiendame zuvor genüsslich auf | |
einem Piano aus Pappe herumgehackt und jedes Mal, wenn ihr Schnabel auf den | |
darin eingebauten Sensor traf, rollte eine Welle aus Krach über die Voliere | |
hoch über den Dächern von Linz. „Graupapageien stehen auf Noise“, erzählt | |
Andrea Sobomka vom Musikprojekt Alien Productions. | |
Seit 2012 arbeitet das Trio am Musikprojekt Metamusic, in dem es versucht, | |
gemeinsam mit den Papageien Musik zu erzeugen. Dafür haben sie | |
elektronische Instrumente mit Sensoren oder einem Touchscreen gebaut, die | |
die Papageien spielen können – oder anderweitig benutzen: „Wir hatten ein | |
altes Casio-Keyboard mit nur drei Tasten gebaut“, erzählt Sobomka.“ Das | |
haben uns die Papageien zerlegt.“ | |
Ganz neu ist die Idee allerdings nicht. Der niederländische | |
Free-Jazz-Pianist Misha Mengelberg hat schon 1972 ein Konzert mit seinem | |
Papagei Eeko gespielt. Aber wo Eeko ein Gimmick für das Klavierspiel von | |
Mengelbergs blieb, gehen Alien Productions einen Schritt weiter. Der Gesang | |
der Papageien ist der Ausgangspunkt des gemeinsamen Musikmachens, nicht ein | |
traditionelles Instrumente. „Auch Zoologen interessieren sich für unser | |
Projekt“, berichtet Andrea Sobomka. „Über die Bioakustik von Papageien ist | |
noch nicht so viel bekannt.“ | |
Am letzten Sonntag haben Alien Productions ihr Projekt live aufgeführt – um | |
9 Uhr morgens, weil dann die Papageien ihre aktive Phase beginnen. Der | |
Pianist Roger Eno (ja, der Bruder!) spielte ein paar Ambient-Akkorde, die | |
Papageien singen und die Musiker nehmen die Vogelstimmen per Raummikro ab | |
und spielen sie durch Effekte zurück. | |
## Kann ein Papagei echtem Vogelgesang erkennen? | |
Man selbst steht unterdessen ein wenig verwundert vor dem Vogelgehege: Kann | |
ein Papagei zwischen einem Effekt und echtem Vogelgesang unterscheiden? | |
Singt das halbe Dutzend Vögel jetzt wegen der Effekte oder ignorieren sie | |
diese einfach? So entsteht eine Art freier Improvisation zwischen den | |
Tieren und den Musikern, bei der die Papageien letztlich die Kontrolle | |
behalten – verlieren sie das Interesse, ist das Konzert vorbei. | |
Die Papageienvoliere ist das zentrale Kunstwerk beim diesjährigen | |
Höhenrausch-Festival in Linz. Es ist in einem Stahlkubus aufgebaut, der | |
nach einem Stahlwerk heißt: der Voestalpine, gegründet als Rüstungsbetrieb | |
im NS-Österreich. Heute sponsort der Konzern Kulturevents und will so den | |
Imagewandel der ehemaligen Industriestadt Linz zum Kulturstandort | |
befördern. | |
„Das Geheimnis der Vögel“ ist das Motto des diesjährigen Höhenrauschs. D… | |
passenderweise auf dem obersten Parkdeck eines Einkaufszentrums seinen | |
Abschluss findet. Bis man dorthin gelangt, hat man bereits eine | |
Installation des Medienkünstlers Marcus Coates passiert, der Naturaufnahmen | |
von Vogelgesang von Hobbysängern in ihrem natürlichen Habitat – dem | |
Wohnzimmer – nachsingen lässt. | |
Weiter oben stehen ein paar Kinder dann staunend vor einer übergroßen | |
Legebatterie, in der der Konzeptkünstler Koen Vanmechelen eine Hühnerrasse | |
züchten will, zumindest auf dem Papier: Denn alle Schalen sind leer. | |
Vanmechelen parodiert die Optimierung von Nutzvieh. Anstatt einer möglichst | |
homogenen Hühnerart soll seine Schöpfung allerdings möglichst | |
kosmopolitisch sein – der Stammbaum präsentiert Hühner aus den | |
Niederlanden, Oberösterreich, China und Russland. | |
## Populär, aber nicht platt | |
Vanmechelens Installation ist dabei typisch für die Art, wie der | |
Höhenrausch seine Kunst präsentiert. Man nimmt ein populäres Thema – die | |
Vögel – und zeigt daran politische und theoretische Positionen. Das ist | |
populär, aber nicht platt und vor allem macht es Spaß. Auf dem obersten | |
Parkdeck ist ein Kettenkarussell aufgebaut, für das fünfzehn KomponistInnen | |
eigene elektro-akustische Stücke geschrieben haben, die jeweils eine | |
Karussellfahrt lang sind. | |
Während man also wie die Vögel an Ketten über der Linzer Altstadt fliegt, | |
hört man wie der kalifornische Komponist James Tenney ein Tonintervall so | |
präzise übereinanderschichtet, dass es wie der Soundtrack zum Auf und Ab | |
der Ketten wirkt. Die Mischung geht auf, am Wochenende ist die Ausstellung | |
voll mit jungen Familien. | |
Auch im zweiten Herzstück des Höhenrauschs findet sich eine Menge Theorie. | |
Nur hat sie der Künstler Mark Dion in Alltagsobjekten versteckt. In seiner | |
„Luftwelt“ hat er Objekte aus Oberösterreich gesammelt, die mit dem Fliegen | |
zu tun haben. Ein Bild eines fliegenden Skeletts, das die Gasangriffe im | |
Ersten Weltkrieg symbolisieren soll, hängt in der Nähe eines Plakats von | |
Hitchcocks „Die Vögel“, auf der gegenüberliegenden Wand sind | |
Modellflugzeuge aus dem Bestand des Linzer Flughafens. Die Ordnung der | |
Dinge stellen die Besucher selbst her. | |
In seiner „Bibliothek für die Vögel von Linz“ hat Dion zwanzig Zwergfinken | |
in eine Rundvoliere gesperrt und sie mit Lesestoff von Konrad Lorenz bis | |
Friedrich Nietzsche ausgestattet. Hinzu kommen reale Fallen wie Käfige oder | |
Pfeile, die die Vögel tauglich für das reale Leben über den Häuserdächern | |
von Linz machen sollen. In kleinen Gruppen werden die Besucher | |
hereingelassen und teilen sich mit den Finken den Käfig. Eine Begegnung auf | |
Augenhöhe ist das nicht: Wir Menschen haben zwar Charles Darwin und Gilles | |
Deleuze, um uns in die Tierwelt zu versetzen – gegen die regelmäßig vom | |
Baum tropfende Scheiße der Vogelfinken helfen sie aber nicht. | |
7 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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