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# taz.de -- Klimaleugner bei der Klimakonferenz: Karsten Hilse glaubt kein Wort
> Kaum einer poltert so laut gegen den „Irrsinn der Klimapolitik“ wie der
> AfDler Karsten Hilse. Jetzt war er auf der UN-Konferenz in Kattowitz.
Bild: Hier ist klar, dass es den Klimawandel gibt: Eisberg auf Grönland
Kattowitz taz | Karsten Hilse hat es kalt erwischt. Ein Schnupfen. Gestern
war er noch beim medizinischen Dienst der Konferenz. Jetzt sitzt er in Raum
„Wisla“, den sandfarbenen Schal eng um den Hals geschlungen. Vorn auf dem
Podium präsentiert sich die Elite der Klimawissenschaft: der Vorsitzende
des UN-Klimarats (IPCC), Hoesung Lee, und der Chef der UN-Behörde für
Meteorologie, Petteri Taalas. Der projiziert in schneller Folge Diagramme
an die Wand: steiler Anstieg der CO2-Emissionen, Schmelzen der Eisflächen,
steigende Meeresspiegel. Das Publikum gruselt sich.
Karsten Hilse glaubt kein Wort. Der AfD-Bundestagsabgeordnete aus Sachsen
ist zur Klimakonferenz gekommen, um sich einmal anzusehen, was er bekämpft.
Seit einem Jahr hat er sich im Bundestag als radikalster Leugner des
menschengemachten Klimawandels profiliert, in seinen Reden poltert er gegen
den „Irrsinn“ des Klimaschutzes, für ihn eine „Doktrin, für die Hunderte
von Milliarden Euro nutzlos ausgegeben werden“. Jetzt hört er den
Wissenschaftlern zu. Aber wer mit ihm spricht, bekommt den Eindruck: Hilses
Immunabwehr arbeitet auf höchster Stufe. Bloß nicht anstecken lassen.
„Es gibt keinen Beweis dafür, dass die menschengemachten CO2-Emissionen den
Klimawandel messbar beeinflussen“, sagt er, obwohl praktisch alle seriösen
Wissenschaftler darin übereinstimmen. Aber auch das bestreitet Hilse: „Es
gibt diesen Konsens von 97 Prozent der Forscher nicht.“
Bei der Veranstaltung mit WMO-Chef Taalas beugt er sich zur Seite und sagt:
„Den höre ich jetzt zum dritten Mal.“ Glauben will er ihm trotzdem nicht.
Und das ist auch schon das Problem, das Karsten Hilse und die
Klimawissenschaft miteinander haben. Hilse will nur glauben, wem er
vertraut. Taalas und all die anderen liefern Fakten. Sie wollen keinen
Glauben, sondern Akzeptanz der Wissenschaft. Sie öffnen ihre
Datensammlungen, geben Einblick in ihre Quellen, stellen sich rigorosen
Checks durch andere Forscher.
## Klassische Vorbehalte der Klimawandelleugner
Kurz zuvor sitzt Hilse im deutschen Pavillon. Ein durchtrainierter
Polizist, der heute 54. Geburtstag hat; kräftiger Händedruck, die Haare
gescheitelt, die Augen wach. Um ihn herum ein wackliger Bau aus
Sperrholzplatten, voll mit Klimaschutz, Energiewende, Entwicklungshilfe,
Wissenschaft. Hier sind alle vom Klimaschutzvirus infiziert. Hilse nicht.
Er spult die klassischen Vorbehalte der Klimawandelleugner ab: „Das IPCC
sagt selbst, dass es nicht sicher ist, ob CO2 zur Erwärmung beiträgt.“
Prüft man seine Fakten, stößt man auf Widersprüche. Diese Aussage etwa
machte das IPCC 2001. Vor 17 Jahren, einer Ewigkeit in der Klimaforschung.
Aber schon damals sagte der Rat auch: „Es gibt neue und klarere Belege,
dass der Großteil der Erwärmung in den letzten 50 Jahren menschlichen
Aktivitäten zuzuschreiben ist.“
Hilse kommt geich mit dem nächsten Vorwurf: Der Klimarat selbst gebe zu,
„dass das System Atmosphäre, Klima und Wetter nicht linear ist, sondern
chaotisch, sodass genaue Vorhersagen nicht möglich sind“. Aber auch dazu
sagte der Rat schon 2007: „Chaostheorie bedeutet aber kein völliges Fehlen
von Ordnung. Klimaänderungen aufgrund der Änderung von Treibhausgasen in 50
Jahren zu projektieren, stellt ein viel leichter zu lösendes Problem dar,
als das Wetter für nur einige Wochen vorherzusagen.“
Zwei Wochen zuvor im Deutschen Bundestag, Sitzungsraum E 700. Zur Anhörung
hat die AfD-Fraktion Nir Shaviv eingeladen, Physikprofessor der
Hebrew-Universität Jerusalem. Ein echter Klassiker unter den Leugnern des
Klimawandels: Für Shaviv ist die Erderwärmung nicht menschengemacht, und
die Sonne ist schuld am Anstieg des Meeresspiegels. Seine Arbeiten zum
Thema werden unter Wissenschaftlern höchstens mit Achselzucken quittiert.
Oder als „Blödsinn“ bezeichnet, wie es Anders Levermann vom Potsdam
Institut für Klimafolgenforschung (PIK) an diesem 28. November tut. Am Ende
einer erhitzten Debatte ruft Karsten Hilse zu den Grünen herüber: „Sie
halten es nur nicht aus, dass hier andere Meinungen zur Sprache kommen!“
## „Ich fühle mich wie ein Ketzer“
Für Hilse ist der Klimawandel eine Meinung. Für den Rest ist er eine
Tatsache. Drei Tage lang streift der AfD-Abgeordnete durch die Konferenz in
Kattowitz. Mit seiner Ledertasche über der Schulter und dem Schal um den
Hals lässt er sich durch die Hallen treiben, in denen Länder und
Unternehmen ihre Ausstellungen präsentierten. Bei den Veranstaltungen der
deutschen Delegation sei er kaum aufgetaucht, sagen die anderen
Abgeordneten. Oft fehlt ihm das Wissen. Er staunt über das Objekt seiner
vernichtenden Kritik: „Wussten Sie, dass das IPCC nicht selbst forscht? Sie
sichten nur die Berichte.“ Das ist allgemein bekannt. In der Fachwelt gilt
die Arbeit des IPCC als so erfolgreich, dass sich 2010 ein ähnliches
Gremium zur Artenvielfalt gegründet hat – das IPBES.
„Ich fühle mich wie ein Ketzer“, sagt der Abgeordnete, „hier sind ja alle
einer Meinung.“ Hat er hier was gelernt? „Dass sehr viele Leute
hierherkommen, um Geschäfte zu machen.“ Wie er darauf komme? Beim Empfang
des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) habe ihm gleich beim
ersten Bier jemand erzählt: „Hier kann man große Profite machen.“ Seitdem
ist für Hilse klar: alles Geschäftemacher. Er habe nichts dagegen, wenn
jemand Geld macht, „aber nicht, indem er sich wie beim deutschen EEG seine
Solaranlage vom Hartz-IV-Empfänger bezahlen lässt“.
Hilse blickt auf diese internationale Konferenz nur durch seine deutsche
Brille. Aber diese Treffen sind Multikulti in Reinform. Deutsch ist nur
eine marginale Sprache. Nationale Interessen ordnen sich den Interessen der
Europäischen Union unter. Und dann wird noch überall vegan gegessen. Hilse
sagt: „Mit Ausländern habe ich kein Problem, einige meiner besten Freunde
sind Türken.“ Sein Englisch, ohne das man hier aufgeschmissen ist, sei
„ganz in Ordnung“.
Hilses Gegenmittel gegen die Zumutungen der globalen Klimakrise heißt EIKE.
Seine Argumente hat er von diesem „Europäischen Institut für Klima und
Energie“, das in Deutschland seit Jahren die kleine Szene der
Klimawandelleugner organisiert. Dessen Vizepräsident Michael Limburg
„arbeitet auf einer Viertelstelle in meinem Bundestagsbüro“, gibt Hilse
nach mehrmaligem Nachfragen zu. „Ich vertraue ihm.“
## Karsten Hilse ist kein Wissenschaftler
Hans-Joachim Schellnhuber verdreht die Augen, wenn man ihn auf EIKE
anspricht: „Ich habe lange versucht, mit denen zu reden“, sagt der
emeritierte Direktor des Klimainstituts PIK. „Es hat einfach keinen Sinn.
Sie wollen es nicht verstehen.“
Karsten Hilse ist kein Wissenschaftler. Er ist Polizist, war in der DDR bei
der Armee und sagt „Waffenmeister“, wenn man ihn nach seiner Ausbildung
fragt. Dann hat er alles zu Physik und Chemie gelesen, was ihm in die
Finger kam, sagt er. Was er denn gelesen hat, um sich mit der gesamten
internationalen Wissenschaftselite anzulegen? „Fachbücher“, sagt Hilse.
Er beharrt darauf, dass da irgendwas schiefläuft bei all den anderen. Da
ist die Sache mit der Berechnung der Erwärmung. Der Klimarat IPCC sagt:
Bisher hat sich die Erde im Schnitt um etwa 1 Grad „gegenüber
vorindustriellen Werten“ erwärmt. Aber „niemand will mir sagen, von welchem
konkreten Temperaturausgangswert sie rechnen“, beschwert sich der
Abgeordnete. In praktisch jeder Rede im Bundestag, in jedem Gespräch taucht
dieser Vorwurf auf.
Hans-Otto Poertner, Meereswissenschaftler am Alfred-Wegner-Institut und
Leitautor des IPCC, wundert sich: „Das steht gleich auf Seite 6 im
1,5-Grad-Bericht: Wir nehmen einen Schnitt aus den Werten von 1850 bis 1900
an.“ Der Bericht nennt den Wert noch zweimal und erklärt sogar seine
Vorgehensweise dazu. Auch die WMO, deren Chef Hilse in Kattowitz lauscht,
geht in ihrem Klimabericht 2016 von diesem Zeitraum aus und erklärt ihn
extra in einer Fußnote.
## Er will es nicht verstehen
Auch in Kattowitz stellt Hilse diese Frage, als Schellnhuber die deutschen
Abgeordneten besucht. Schellnhuber antwortet lang und breit, berichten die
Teilnehmer. „Habe Pörtner und Schellnhuber die Frage nach dem konkreten
Temperaturausgangswert gestellt“, schreibt Hilse hinterher per SMS. „Sie
haben ihn aber nicht genannt.“ SPD-Politiker Klaus Mindrup, der dabei war,
sagt: „Hilse hat es einfach nicht verstanden, obwohl sich Schellnhuber alle
Mühe gegeben hat“.
Konfrontiert man Hilse mit den Widersprüchen zu seinen Widersprüchen, dann
sagt er: „Nie wird konkret benannt, welche durchschnittliche Temperatur in
dieser Zeit herrschte.“ Er kann oder will nicht verstehen, dass die
Wissenschaft anders vorgeht. Aber für Hilse liegt der Fehler nicht bei
Hilse: „Vielleicht fragen Sie sich ja selbst irgendwann, warum das IPCC
partout den Temperaturausgangswert nicht nennen will. Es muss ja einen
Grund geben.“
14 Dec 2018
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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