# taz.de -- Frauen im Politikjournalismus: Unter Anzugjungs | |
> Der Politikjournalismus berichtet viel über Gleichberechtigung. Aber nur | |
> ein Drittel der Kolleginnen sind Frauen. Warum? | |
Bild: Es gibt zu wenig Frauen im deutschen Politikjournalismus | |
Quote war gestern, Parität ist der neue heiße Scheiß. In etwa diese | |
Richtung geht auch die Denke der Kanzlerin. Quoten für Frauen seien wichtig | |
gewesen, hat [1][Angela Merkel Mitte November auf einer Festveranstaltung | |
zur Einführung des Frauenwahlrechts] vor auch gerade erst hundert Jahren | |
erklärt. „Aber das Ziel muss Parität sein, Parität überall.“ Heute werde | |
kein Mädchen mehr ausgelacht, wenn es Ministerin oder Bundeskanzlerin | |
werden wolle. Allerdings „macht eine Schwalbe noch keinen Sommer“. | |
Drei Wochen später wählte sich Angela Merkels CDU eine [2][neue | |
Parteivorsitzende. Gelacht hat eher keiner, als Annegret Kramp-Karrenbauer] | |
mit 52 Prozent den Wettkampf mit Friedrich Merz verdammt knapp gewonnen | |
hatte. Die Fernsehbilder von erschüttert dreinblickenden, überwiegend | |
männlichen Delegierten wurden in den Hauptnachrichten gesendet. | |
Zur selben Zeit, am frühen Freitagabend, [3][setzte die | |
Spiegel-Journalistin Christiane Hoffmann einen Tweet ab]: „Jetzt haben wir | |
es wirklich geschafft: Eine Frau folgt auf eine Frau – zwei Schwalben | |
machen einen Sommer“, schrieb die Vizechefin des Spiegel-Hauptstadtbüros. | |
Ein schöner, ermutigender Tweet war das. Aber die Frage, die ich mir | |
augenblicklich stellte, lautete: Wer ist „wir“? Wir Politikjournalistinnen | |
jedenfalls könnten eher drei statt zwei Schwalben gebrauchen. | |
Eine Szene auf dem nämlichen CDU-Parteitag. Die Tür geht auf, dahinter: ein | |
runder Besprechungstisch, die Szenerie beleuchtet von kalten | |
Energiesparlampen. Die Kollegen, die ebenfalls zum Hintergrundgespräch mit | |
dem Spitzenpolitiker eingeladen sind, sitzen bereits mit aufgeschlagenen | |
Notizbüchern auf ihren Plätzen. Es kann losgehen. Doch dann fällt es selbst | |
dem Gastgeber auf: Seine Sprecherin und die Frau Maier von der taz sind die | |
einzigen Frauen im Raum. Der Politiker beugt sich nach vorn, schaut noch | |
mal prüfend in die Runde. Tatsächlich: nur zwei Frauen unter vierzehn | |
Männern. Na ja, kann man jetzt auch nix dran machen. Fangen wir an. | |
Auch wenn später noch zwei Frauen zu dem Termin hinzukommen werden: Dies | |
ist die Normalität im deutschen Politikjournalismus. Wo immer ich hinkomme | |
– ob Pressekonferenzen, Briefings, Reisen –, immer sind von den KollegInnen | |
zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen. Ich weiß das, weil ich vor | |
einiger Zeit zu zählen angefangen habe. Ich hatte mich irgendwann gefragt, | |
ob ich womöglich eine gestörte Wahrnehmung habe, ob ich als Mitarbeiterin | |
der schon immer und in allen Bereichen quotiert operierenden taz einfach | |
nur unnötig pingelig bin. Aber meine Beobachtung stimmte. Zuverlässig sind | |
wir Frauen in der Unterzahl. Zwei zu eins – darauf läuft es im Großen und | |
Ganzen hinaus. | |
Es sind nette Kollegen, auf die ich in meinem Job treffe. Sie sind | |
hilfsbereit und lustig und modern. Sie haben Töchter und Mütter und | |
Partnerinnen, denen sie Parität, Gleichheit selbstverständlich zugestehen. | |
Und gerade deshalb frage ich mich manchmal, ob ihnen dieses Ungleichgewicht | |
in ihrem beruflichen Alltag nicht auch auffällt. Ist das nicht peinlich? | |
Manchmal lachen wir zusammen darüber, wenn in ihrem Medium schon wieder | |
sämtliche Politik-Kommentare von Männern geschrieben wurden und sie einer | |
eben dieser Männer mit Meinung sind. Aber was, frage ich mich dann im | |
Stillen, was verdammt sollen sie denn erwidern? Sie sind nun einmal Männer. | |
Und vor allem sind sie schließlich gute Journalisten. | |
Aber viele von ihnen, faktisch die meisten, sind eben auch Chefs. Sie haben | |
damit Einfluss auf Stellenbesetzungen, haben Ressort- und Etathoheit und | |
damit ein gewichtiges Wort mitzureden, wenn es um die Frage „Frau oder | |
Mann?“ geht. Warum nutzen sie dann also diese Macht nicht so, dass auch die | |
andere Hälfte der Menschheit über die ganze Menschheit berichten kann? | |
Warum stockt die Entwicklung bei diesem magischen Drittel? | |
## „Die sind jetzt ausreichend vertreten“ | |
Ich rufe Elizabeth Prommer an. Die Medienforscherin an der Universität | |
Rostock hat im Auftrag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) die | |
Sichtbarkeit von Frauen in Film und Fernsehen untersucht. Im Grunde, sagt | |
Prommer, bildeten die Medien die vorgefundene Realität ab. Wenn also im | |
Deutschen Bundestag nur 30 Prozent Frauen sitzen – was, nebenbei bemerkt, | |
genauso viele sind wie im Parlament des Sudan –, dann bilden unter den | |
JournalistInnen auch nur 30 Prozent Frauen deren Wirken ab. | |
Das Bemerkenswerte: Sobald ihr Anteil in etwa ein Drittel ausmacht, haben | |
Frauen eine gewisse Sichtbarkeit erreicht. Dies aber führt seltsamerweise | |
nicht dazu, dass nun folgerichtig das Projekt Hälfte-Hälfte angegangen | |
wird. Im Gegenteil: „Ab einem Drittel stellt sich das Gefühl ein: Die sind | |
jetzt ausreichend vertreten“, hat Professorin Prommer ermittelt. Den | |
EntscheiderInnen in den Verlagen und Redaktionen fällt ab dieser kritischen | |
Masse gar nicht mehr auf, dass es noch immer ungleich zugeht. Allein das | |
Gefühl „Wir haben doch jetzt Frauen“ erscheint ihnen ausreichend. | |
An der Qualifikation der Kolleginnen liegt es jedenfalls schon mal nicht, | |
sagt Prommer. An Journalistenschulen würden gleich viele Männer und Frauen | |
ausgebildet. „Im Prinzip gibt es also ausreichend Frauen im | |
Politikjournalismus. Aber je höher es in der Redaktionshierarchie geht, | |
desto mehr brechen die dann wieder weg.“ Dabei gebe es keine Hinweise | |
darauf, dass es die Frauen am Anfang ihrer Journalistinnenkarriere weniger | |
ins News-Geschäft ziehe. Das Ganze habe eher etwas mit Stereotypen zu tun: | |
Kann die überhaupt richtig führen? Kann die ausdauernd, auch lang nach | |
Feierabend, vor Orten der Macht herumlungern, um im entscheidenden Moment | |
präsent zu sein? Kann die schweigen? Wäre die nicht glücklicher im | |
Gesundheits-Ressort? | |
## Geschlossene Gesellschaft bei den Jungs | |
Und irgendwann heißt es dann, wenn auch meist hinter vorgehaltener Hand: | |
Was macht die noch hier mit Mitte dreißig, will die keine Kinder? Und wenn | |
sie Kinder hat: Warum kümmert sie sich nicht „richtig“ um die? | |
Das Ganze ist umso unerklärlicher, als der Beruf der Journalistin nicht mit | |
dem des Eisenflechters oder Sprengmeisters zu vergleichen ist. Wir schlafen | |
mitunter schlecht, auch mal viel zu wenig. Wir müssen uns konzentrieren | |
können, geduldig und ungeduldig zugleich sein. Wir müssen quasseln und | |
schreiben können. Aber dass dieser Beruf Frauen weniger zuträglich sein | |
soll als Männern wäre wirklich neu. | |
„Der Peter sucht den Peter“, umreißt Elizabeth Prommer dieses alte und ja | |
auch schon ermüdend oft erklärte Prinzip. Und die Petra? Augenscheinlich | |
sucht sie spiegelbildlich eine Petra. | |
Beim Parteitag konnte man auch das sehr gut beobachten. Groß gewachsene | |
Redakteure, die Arme vor der Jackettbrust gekreuzt, umringten Jens Spahn, | |
während wir Frauen wenige Meter weiter Julia Klöckner belagerten. Der | |
Unterschied: Schon körpersprachlich hätte unsere locker beieinander | |
stehende Gruppe noch Mitglieder aufnehmen können. Bei den Jungs war | |
hingegen geschlossene Gesellschaft. Da geht man nicht hin, tippt dem | |
Kollegen auf die Schulter und fragt, ob man mitspielen darf. Stattdessen | |
hält man Ausschau nach einer Petra, mit der man sich zusammen tun kann. Und | |
ganz ehrlich, mit Petra kann es ziemlich witzig sein. Witziger zumindest, | |
als es der Blick auf die eifrig nickenden Anzugjungs nahezulegen scheint. | |
Trotzdem bleibt da dieses Gefühl der Unterlegenheit, der | |
Ausgeschlossenheit, mithin der Minderleistung gegenüber den emsigen | |
männlichen Netzwerkern. | |
Im Verein der Bundespressekonferenz, dem sich selbst organisierenden Verein | |
der HauptstadtjournalistInnen, darf nur Mitglied werden, wer hauptberuflich | |
aus Berlin über Regierungspolitik berichtet. Ich bin nicht nur für die taz | |
Mitglied in diesem Verein, sondern seit einigen Jahren auch im ehrenamtlich | |
arbeitenden Vorstand. Aktuell sind wir 903 Mitglieder. Die 272 Frauen unter | |
uns entsprechen mit 30,1 Prozent exakt dem Anteil der weiblichen | |
Bundestagsabgeordneten, über den die Medienwissenschaftlerin Elizabeth | |
Prommer gesprochen hat: Die Medien bilden eben die vorgefundene Realität | |
ab. Und das ist sie nun mal, die Realität im Politikjournalismus. | |
„Ich glaube, dass der Frauenanteil in unseren Parlamenten eine elementare | |
Frage unserer Demokratie betrifft“, hat Angela Merkel bei jenem Festakt zum | |
[4][hundertsten Jahrestag des Frauenwahlrechts] gesagt. Ich möchte | |
ergänzen: Auch der Frauenanteil in den Medien stellt eine solch elementare | |
Frage dar. Dazu würde gehören, anzuerkennen, dass der mittlerweile | |
erreichte Anteil an Politikjournalistinnen keinesfalls schon | |
zufriedenstellend sein kann. Denn wenn die Medien die Realität abbilden, | |
muss diese Realität gestaltet werden. Auch von Frauen. | |
## Man könnte auch sagen: Es geht aufwärts | |
Die vor fünfeinhalb Jahren viel zu früh verstorbene Hauptstadt-Journalistin | |
Tissy Bruns war zwischen 1999 und 2003 nicht nur die erste Frau im Amt der | |
Vorsitzenden der Bundespressekonferenz. Sie war auch die erste Vorsitzende, | |
die die Idee hatte, die Mitgliederkartei nach Frauen und Männern zu ordnen. | |
Okay, Bruns war in den 90er Jahren eine Zeit lang Parlamentsredakteurin der | |
taz in Bonn gewesen, sie hatte selbst erfahren, dass es auch anders gehen | |
könnte. Aber es scheint heute, da es ein Sensorium dafür gibt, ob Frauen | |
als Autorinnen, Protagonistinnen, Berichterstatterinnen und Expertinnen in | |
den Medien auftauchen, fast absurd, wie lange es bis dahin gedauert hat. | |
Als die Mitglieder Bruns zu ihrer Vorsitzenden wählten, gab es die | |
Bundespressekonferenz immerhin schon fünf Jahrzehnte. | |
So gesehen könnte man also auch sagen: Es geht aufwärts. Eben noch waren | |
Frauen im bundesdeutschen Politikjournalismus gar nicht vorgesehen. Dann | |
zerrieb sich die Branche viele Jahre lang in quälenden Quotendebatten. Und | |
mittlerweile? Fordert die Kanzlerin Parität. Gleichheit. Niemand wagt es | |
mehr so recht, sich als Bedenkenträger aufzuspielen, wenn es um mehr Frauen | |
in den Redaktionen geht. Das könnte schließlich dem Produkt schaden. Um | |
noch einmal die Kanzlerin zu zitieren: „Aus der Tatsache, dass es mich | |
gibt, da darf kein Alibi draus werden.“ | |
Ich sag’s mal so: Das eine Drittel Frauen im Politikjournalismus wäre ein | |
ganz, ganz schlechtes Alibi. | |
16 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Festakt-zu-100-Jahre-Frauenwahlrecht/!5549748 | |
[2] /Neue-Parteivorsitzende-der-CDU-gewaehlt/!5557558 | |
[3] https://twitter.com/HoffmannSpiegel/status/1071078394354384896 | |
[4] /Frauenwahlrecht-in-Deutschland/!5546912 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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