| # taz.de -- Frankreich stellt Ruanda-Verfahren ein: Ende einer Sackgasse | |
| > Endlich lässt Frankreich den Vorwurf fallen, Ruandas regierende einstige | |
| > Tutsi-Guerilla RPF habe 1994 Hutu-Präsident Habyarimana getötet. | |
| Bild: RPF-Soldat bewacht das präsidiale Wrack nach Einnahme der Absturzstelle,… | |
| Brüssel taz | Zwanzig Jahre hat es gedauert – jetzt ist eines der | |
| schwierigsten Kapitel der Aufarbeitung des Völkermordes an Ruandas Tutsi | |
| 1994 bis auf Weiteres vom Tisch. Wie zu Weihnachten bekannt wurde, hat die | |
| französische Justiz am 21. Dezember das seit 1998 laufende | |
| Ermittlungsverfahren wegen des Flugzeugabsturzes, bei dem am 6. April 1994 | |
| Ruandas damaliger Hutu-Präsident Juvénal Habyarimana umkam, aus Mangel an | |
| Beweisen eingestellt. | |
| Ruandas Regierung begrüßte die Entscheidung als „Beendigung eines zwei | |
| Jahrzehnte währenden dreisten Versuchs, Gerechtigkeit für den Genozid an | |
| den Tutsi zu behindern“. Die französischen Ermittlungen hatten sich nämlich | |
| gegen die heutigen Machthaber in Ruanda gerichtet: die RPF (Ruandisch | |
| Patriotische Front), die als Tutsi-Rebellenbewegung 1994 durch ihre | |
| Eroberung Ruandas [1][dem Völkermord] ein Ende setzte und seitdem unter | |
| Präsident Paul Kagame regiert. | |
| 2006 hatte Frankreichs Antiterror-Chefermittlungsrichter Jean-Louis | |
| Bruguière [2][Haftbefehl gegen neun hochrangige RPF-Kader] erlassen. Er | |
| folgte damit den Anschuldigungen von Habyarimanas Witwe Agathe Kanziga, die | |
| während des Völkermordes Asyl in Frankreich erhalten hatte. | |
| Die These: Die RPF habe das Flugzeug mit den Hutu-Präsidenten Ruandas und | |
| Burundis, Juvénal Habyarimana und Cyprien Ntaryamira, selbst abgeschossen, | |
| um Gewalt zu provozieren und damit einen Vorwand zur militärischen | |
| Machtergreifung zu erhalten. Noch am Abend des Abschusses hatten | |
| Regierungstruppen in Ruandas Hauptstadt Kigali begonnen, gezielt | |
| Oppositionelle und Tutsi zu töten; [3][die Massaker dehnten sich auf das | |
| ganze Land aus], bis der Vormarsch der RPF das Völkermordregime in das | |
| benachbarte Zaire (heute Kongo) vertrieb. | |
| Bruguières Vorwürfe gegen [4][Rose Kabuye], Charles Kayonva, James | |
| Kabarebe, Samuel Kanyemera, Jacob Tumwine, Jack Nziza, Faustin Kayumba, | |
| Franck Nziza und Eric Hakizimana lauteten auf Beihilfe zum Mord als | |
| terroristischer Akt im Rahmen einer kriminellen Vereinigung. Es ging dabei | |
| nicht nur um die beiden getöteten Präsidenten, sondern auch um die | |
| ebenfalls umgekommene französische Besatzung des Flugzeuges. | |
| Ein RPF-Kommando, so führte die Begründungsschrift aus, habe sich auf den | |
| von der Regierungsarmee kontrollierten Hügel Masaka nahe Kigali geschlichen | |
| und von dort aus das Flugzeug abgeschossen. | |
| ## Keine Ermittlungen vor Ort | |
| Doch Bruguière hatte sich ausschließlich auf Aussagen von Exilruandern | |
| gestützt und nie selbst vor Ort nachgesehen. Seine Belastungszeugen zogen | |
| im Laufe der Jahre entweder ihre Aussagen zurück oder verwickelten sich in | |
| Widersprüche. | |
| Ex-Oberst Abdul Ruzibiza wollte Mitglied des RPF-Abschusskommandos gewesen | |
| sein; auf seiner in einem 2005 veröffentlichten Buch geschilderten Version | |
| des Tathergangs stützte sich Bruguière vor allem. Doch 2008 erklärte er | |
| seine Geschichte für erfunden und sagte, er sei von Bruguière „manipuliert�… | |
| worden. Das nahm er 2010 kurz vor seinem Tod wieder zurück, aber | |
| glaubwürdig als Zeuge war er nicht mehr. | |
| Evariste Musindi wollte im RPF-Hauptquartier Mulindi an den Vorbereitungen | |
| des Abschusses beteiligt gewesen sein. Später stellte sich heraus, dass er | |
| erst im Mai 1994 zur RPF stieß. | |
| Richard Mugenzi wollte als Abhörspezialist der damaligen ruandischen | |
| Regierungsarmee Jubelsprüche der RPF nach dem Flugzeugabschuss abgefangen | |
| haben. Später stellte er klar, er habe keine direkten Abhörergebnisse | |
| protokolliert, sondern Behauptungen eines Offiziers aus den eigenen Reihen. | |
| ## Auf dem Hügel stand die Präsidialgarde | |
| Ermittlungen vor Ort stellte erst Bruguières Nachfolger Marc Trévidic an, | |
| der 2012 Ruanda besuchte und [5][aufgrund ballistischer Expertisen | |
| feststellte], dass die Rakete, die Habyarimanas Flugzeug traf, nicht vom | |
| Hügel Masaka abgeschossen worden sein konnte, sondern vom Hügel Kanombe am | |
| Flughafen. Da stand Habyarimanas Präsidialgarde. | |
| Die fünf von Trévidic beauftragten Ermittler bestätigten mit ihrem Befund | |
| eine 2009 auf Wunsch der ruandischen Regierung durchgeführte Untersuchung | |
| der britischen Militärakademie Cranfield. Diese hatte bereits Kanombe als | |
| Abschussort identifiziert. | |
| Ruandas Präsidialgarde hatte 1994 starke Vorbehalte gegen die | |
| Friedensbemühungen zwischen Habyarimana und der RPF-Guerilla. Ein | |
| Friedensvertrag, 1993 nach fast drei Jahren Bürgerkrieg unterzeichnet, sah | |
| unter anderem eine Machtteilung sowie die Eingliederung der RPF in die | |
| ruandische Armee vor, was viele damalige Hutu-Soldaten ihre Jobs gekostet | |
| hätte. | |
| Radikale Hutu-Politiker mobilisierten danach offen gegen Habyarimana und | |
| drohten, gegen die Tutsi vorzugehen, sollte das umgesetzt werden. Am 6. | |
| April 1994 befand sich Habyarimana auf dem Rückweg von einem | |
| Regionalgipfel, wo er die Umsetzung des Abkommens zugesagt hatte. | |
| „Der Anschlag auf das Flugzeug“, so Ruandas langjährige Außenministerin | |
| Louise Mushikiwabo, heute Präsidentin der internationalen | |
| Frankofonie-Organisation, „war ein Putsch von Hutu-Extremisten und ihren | |
| Beratern, die die Kasernen von Kanombe kontrollierten“. | |
| ## Seit Jahren faktisch tot | |
| Mit Trévidic' Erkenntnissen war das französische Verfahren gegen die RPF | |
| faktisch tot – aber es lief formell weiter. Erst am 10. Oktober 2018 | |
| beantragte die Staatsanwaltschaft förmlich die Einstellung. Die derzeitigen | |
| Antiterrorermittlungsrichter Jean-Marc Herbaut und Nathalie Poux hatten | |
| schon drei Jahre lang versucht, die Akte zu schließen, aber die Kläger | |
| hatten mit neuen Zeugen aufgewartet. | |
| So meldete sich im März 2017 der RPF-Deserteur und Exilaktivist James | |
| Munyandinda und stellte sich als ehemaliger Leibwächter von James Kabarebe | |
| vor, 1994 die rechte Hand Kagames und später Ruandas Verteidigungsminister. | |
| Er sagte, er habe selbst gesehen, wie Anfang Januar 1994 die beiden | |
| Boden-Luft-Raketen des Typs SAM-16, mit denen Habyarimanas Flugzeug | |
| abgeschossen wurde, an die RPF im Busch geliefert wurden. Er selbst habe | |
| die zehn Kämpfer angeführt, das diese Raketen im RPF-Hauptquartier Mulindi | |
| bewachten. Kabarebe habe die Lagerung der Raketen in zwei Kisten persönlich | |
| überwacht. | |
| Eine Vorladung Kabarebes aufgrund dieser Aussage lehnten dessen Anwälte ab. | |
| Denn es haben schon andere ehemalige RPF-Kämpfer Geschichten über diese | |
| Raketen erzählt, und sie widersprechen sich alle. | |
| So hatte ein Aloys Ruyenzi berichtet, die Raketen seien in einem | |
| Mercedes-Lastwagen unter einer Ladung Feuerholz versteckt gewesen. Emile | |
| Gafirita wiederum sagte, man habe sie mit Stoffen bedeckt. Munyandinda | |
| sagte nun, die Raketen seien in ihrer russischen Originalverpackung | |
| geblieben. Über die Daten der Lieferung und die genauen Umstände erzählt | |
| jeder der dreien etwas anderes. | |
| ## Welche Rolle spielte Frankreich selbst? | |
| Bleibt eine Frage, die nun wohl für immer ungeklärt bleiben wird: was die | |
| französischen Militärberater [6][taten und wussten], die bis zum Völkermord | |
| Ruandas Regierungsarmee ausbildeten und [7][aufrüsteten]. | |
| [8][Französische Soldaten] waren bei der Präsidialgarde in Kanombe | |
| stationiert. Einer von ihnen sagte in Trévidics Ermittlungen aus, er habe | |
| die Raketenabschüsse gehört – von ganz in der Nähe. Das stärkte die These, | |
| dass die Raketen vom gleichen Hügel kamen, wenn auch nicht aus der Kaserne | |
| selbst. | |
| Die Täter müssen gut ausgebildet und erfahren gewesen sein, meint der | |
| französische Ruanda-Veteran Guillaume Ancel, der dieses Jahr mit kritischen | |
| Memoiren über Frankreichs Ruanda-Einsatz Furore machte. Es sei unmöglich, | |
| so einen Abschuss ohne vorherige Erkundung der Raketenstellung und der | |
| benötigten Zielführung vorzunehmen, sagt Ancel, selbst Experte für | |
| Feuerleitsysteme. | |
| Für ihn ist es ausgeschlossen, dass Guerillakämpfer das schaffen. Auch dass | |
| Ruandas reguläre Soldaten dazu in der Lage waren, bezweifelt er. Die | |
| Schützen mussten zudem direkt neben der besten Truppe des Landes einen | |
| Abschussort auswählen, den Abschuss vorplanen, die Raketen aufstellen und | |
| nach dem Abschuss wieder verschwinden. | |
| Dass die Täter Franzosen waren, glaubt Ancel zwar nicht. Andererseits sei | |
| klar, dass es [9][in Frankreichs Regierung] damals Kräfte gab, die | |
| Habyarimanas Friedensschluss mit der RPF ablehnten – gemeinsam mit | |
| radikalen Kräften in Ruandas Armee, die nach Habyarimanas Tod unter Oberst | |
| Théoneste Bagosora die Macht ergriffen und noch während des Völkermordes | |
| von Frankreich Waffen erhielten. | |
| Möglicherweise seien osteuropäische Söldner angeheuert worden, die | |
| Erfahrung mit Boden-Luft-Raketen hatten. Keine drei Jahre später heuerte | |
| Frankreich ja auch im benachbarten Kongo serbische Söldner an, um das | |
| befreundete Mobutu-Regime zu retten. | |
| Vergeblich, wie schon 1994 in Ruanda. | |
| 28 Dec 2018 | |
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