# taz.de -- Vor dem CDU-Parteitag: Merz’sche Steuerversprechen | |
> Merz skizzierte einst auf einem Bierdeckel sein einfaches Steuerkonzept. | |
> Viele Reiche würden mehr haben, Arbeitnehmer und der Staat weniger. | |
Bild: Auf diesem Bierdeckel soll Merz persönlich die Steuer einer vierköpfige… | |
Es war ein Heilsversprechen – einleuchtend, leicht zu verstehen, mit großer | |
Wirkung. Friedrich Merz, der Ende dieser Woche CDU-Vorsitzender und später | |
vielleicht Kanzlerkandidat werden will, feierte vor 15 Jahren mit wenigen | |
Worten große Erfolge: Steuererklärung auf dem Bierdeckel. Alle zahlen | |
weniger Abgaben an den Staat. Alle wissen genau, was sie zahlen müssen. | |
Ein Konzept, das in seine Zeit passte. 2002 hatten SPD-Kanzler Gerhard | |
Schröder und Grünen-Matador Joschka Fischer noch mal die Bundestagswahl | |
gewonnen. Hartz IV entstand. Auch Rot-Grün wollte die Steuern für | |
Unternehmen und Privatleute senken. „Neoliberalismus“ war Zeitgeist. Die | |
CDU brauchte ein konkurrierendes, schärferes Modell, um sich von der | |
Regierung abzuheben. | |
Ein toller Hecht war Friedrich Merz, weil es ihm gelang, aus dieser Lage | |
einen kampagnenfähigen Vorschlag zu entwickeln. Auch weil man sich daran | |
erinnert, bekommt er jetzt überhaupt noch mal eine Chance auf ein | |
Spitzenamt. Und sein Konzept von damals – hat das heute auch wieder | |
Aussichten? | |
Der Parteitag der CDU am 2. Dezember 2003 in Leipzig beschloss es | |
einstimmig, mit großem Applaus. In seiner Rede versprach Merz, dass die | |
Bürger*innen „sehr einfach, etwa auf einem Bierdeckel, ausrechnen können, | |
wie hoch ihre Steuerschuld ist“. Der taz liegt nun ein Pappdeckel vor, den | |
Merz während einer CDU-Veranstaltung im Gespräch mit einer Journalistin | |
persönlich beschriftet haben soll. Dazu äußern wollte sich der | |
CDU-Politiker auf Anfrage nicht. Die Zahlen auf dem Deckel sind so zu | |
lesen: Eine Familie mit vier Personen hat beispielsweise ein Einkommen von | |
60.000 Euro jährlich. Nach wenigen Rechenschritten weiß sie, dass sie 5.280 | |
Euro Abgaben entrichten muss – fertig. | |
## Eine soziale Unwucht | |
Merz’ grundsätzliche Idee bestand darin, die meisten Steuervergünstigungen, | |
Ausnahmen, Freibeträge abzuschaffen und den allmählich ansteigenden | |
Steuertarif durch drei klare Stufen zu ersetzen: 12 Prozent Einkommensteuer | |
bis 16.000 Euro, 24 Prozent bis 40.000 Euro, darüber 36 Prozent. | |
Ökonom Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in | |
Berlin rechnete damals aus, was das bedeutete. Etwa zwei Drittel der | |
bundesdeutschen Steuerzahler*innen, 20 Millionen Bürger*innen, hätten | |
weniger Abgaben entrichtet als vorher. Leute mit kleinen Einkommen sparten | |
ein paar hundert Euro pro Jahr, Haushalte mit mittleren und höheren | |
Gehältern (bis 250.000) dagegen einige tausend Euro – eine soziale Unwucht. | |
Zusätzliche Belastungen wären auch auf Arbeitnehmer*innen zugekommen, weil | |
beispielsweise die Freibeträge für Feiertags- und Nachtzuschläge | |
weggefallen wären. Reiche Haushalte ab 500.000 Euro hätten allerdings mehr | |
Steuern zahlen müssen. | |
Eine andere Schlagseite des Modells: massive Einnahmeausfällen zu Lasten | |
des Staates. Auf bis zu 28 Milliarden Euro jährlich hätten die | |
Finanzminister verzichten müssen. Die potenzielle Einbuße im Bundeshaushalt | |
betrug etwa fünf Prozent aller Ausgaben. Öffentliche Aufwendungen für | |
Bildung, Polizei oder Straßenbau standen zur Disposition. Auf ein solides | |
Konzept der Gegenfinanzierung hatte Merz verzichtet. | |
Der CDU-Finanzpolitiker kam jedoch niemals in die Gefahr, sein Modell | |
umsetzen zu müssen. Ein Jahr nach dem Leipziger Parteitag trat er vom Amt | |
des Fraktionsvize im Bundestag zurück. Könnte sein Konzept trotzdem wieder | |
verfangen? | |
## Heute nicht mehr so attraktiv | |
Auf dem politischen Markt ist eine radikale Steuerreformen derzeit | |
jedenfalls nicht. Eher in der Diskussion sind kleine Änderungen wie die | |
Abschaffung des Solidaritätsbeitrages. Auch unterscheidet sich die | |
öffentliche Stimmung von 2003. Wegen der guten Wirtschaftslage profitiert | |
der größte Teil der Bürger*innen jetzt von steigenden Verdiensten. | |
Steuersenkungen sind nicht so relevant. Außerdem begrüßen viele, dass der | |
Staat endlich mal wieder Geld ausgeben kann, um Schulen zu renovieren, | |
Lehrer*innen und Polizist*innen einzustellen. Und die CDU erinnert sich | |
daran, dass sie im Bundestagswahlkampf 2005 mit einem Merz-mäßigen | |
Steuerkonzept – der Urheber hieß Paul Kirchhof – ziemlich baden ging. | |
Ob Merz selbst von seinem Heilsversprechen geheilt ist, weiß man nicht. | |
Einerseits sagte er in einem Interview: „Ich glaube immer noch, dass wir | |
eine Vereinfachung im Steuerrecht brauchen. Sie ist möglich. Aber der ganz | |
radikale Umbau ist heute nicht realistisch. Wir leben in einer | |
hochkomplexen Welt.“ Dann wieder betonte er, man müsse „auf einem modernen | |
Bierdeckel seine Steuerschuld ausrechnen“ können. „Der neue Bierdeckel ist | |
eine Steuer-App für das Smartphone.“ | |
6 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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