# taz.de -- Die Wahrheit: Digitale Leiden | |
> Tagebuch einer Handy-Werferin: Erst lassen die Splitter im Bildschirm die | |
> Finger und dann die Kosten für die Reparatur das Herz bluten. | |
Vor ein paar Tagen erkundigte sich ein Freund, ob ich ihm per E-Mail eine | |
Rechnung geschickt hätte. Hatte ich nicht, worauf er erklärte, sein | |
friedliches Leben sei von Computerviren verheert worden, weshalb er Anhänge | |
nicht öffne und mir empfehle, Maßnahmen gegen Adressenklau zu treffen. Ich | |
verbrachte sinnlose Zeit mit dem Ändern von Passwörtern, und zur Belohnung | |
erschien eine Meldung auf meinem Screen, dass mein Schreibprogramm ab 2019 | |
kein Upgrade mehr zulässt und ich dem gierigen Hersteller ein neues | |
abkaufen muss, wenn ich nicht dabei zusehen will, wie das eigene Werk zu | |
Krypto-Kauderwelsch zerfällt. | |
Im Computerstore erwarb ich für 150 Euro eine schlichte Pappe mit | |
Rubbellosfeld. Ich finde, für das Geld kann man schon mal ein bisschen | |
Willen zur Schönheit erwarten, von jeder blöden Gutscheinkarte grüßen | |
Rosenblüten oder wenigstens Katzenbabys! | |
Da ich schon mal da war, nutzte ich die Gelegenheit, Ersatz für meine | |
ramponierte Handyhülle zu suchen. Ich erklärte einem geduldigen Verkäufer, | |
dass ich zu den Menschen gehöre, die ihr Handy nicht nur gelegentlich | |
fallen lassen, sondern geradezu damit um sich werfen, weshalb ich unbedingt | |
wieder dieselbe gepanzerte Superhülle haben muss, die es bisher schützte. | |
Mit lässigem Schwung aus dem Handgelenk führte ich ihm die praktische | |
Verschlussmechanik vor, wobei mir ein persönlicher Rekordwurf gelang. Ein | |
derart zerschmettertes Display habe er noch nie gesehen, äußerte er | |
bewundernd, während wir die Splitterlandschaft mit Tesa verpflasterten. | |
Ein neuer Screen mache 130 Euro bei drei Wochen Wartezeit, gab er mir | |
bedauernd auf den Weg. Von Schnittwunden beim Wischen abgesehen, war das | |
Ding immerhin noch benutzbar. | |
Ich versuchte es in der Telekomfiliale. Stoisch ließ ich mir den | |
preiswertesten Handydeal austüfteln, bei der älteren Dame nebenan lagen | |
dagegen die Nerven blank. Kein TV-Empfang. Sie wollte einen Techniker. Eine | |
Mitarbeiterin gab ihr Bestes: „Termine kann ich nur online machen, dazu | |
brauche ich Ihre Zugangsdaten.“ – „Online hab ich nicht.“ – „Wie is… | |
Ihr TV installiert?“ – „Weiß nicht, ist alles hinterm Schrank.“ – �… | |
Steckdose oder über Router?“ – „Ist auch hinterm Schrank. Ich will einen | |
Techniker!“ | |
Ich auch. Während mir Splitter ins Ohr rieselten, telefonierte ich mit dem | |
Freund für digitale Fälle, er empfahl Sofortreparatur im Elektronikmarkt. | |
Beim Warten erzählte eine Leidensgenossin von einem Mann, der kurz vor mir | |
da war und Hilfe dabei suchte, über WhatsApp den Totenschein seiner Frau | |
weiterzuleiten. | |
Zu Hause entpuppte sich die freigerubbelte Kennnummer als Niete, | |
Installation fehlgeschlagen. Die Fehlersuche hebe ich mir für die Feiertage | |
auf, man muss ja nicht ins Kino oder gemütlich abhängen. Ich hätte da | |
allerdings einen Weihnachtswunsch: Liebes Universum, gib, dass im Jenseits | |
hinterm Schrank ein analoges Leben wartet! | |
6 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Pia Frankenberg | |
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