# taz.de -- Wiedersehen in Tunix: Einst radikal, heute zu angepasst | |
> Selbst machen, Kollektive gründen: Die kritische Aufarbeitung des | |
> Tunix-Treffens von 1978 im Berliner HAU fragte auch, was heute noch geht. | |
Bild: Zwischen den Diskussionsrunden rockten das Helmi und SMS_Kaputt die Bühn… | |
Berlin taz | Nach dem Deutschen Herbst 1977, der Schleyer-Ermordung und den | |
RAF-Toten in Stammheim war die deutsche Linke vor vier Dekaden wie gelähmt. | |
Das verhasste System der BRD wurde von den Hardlinern herausgefordert, aber | |
es wurde nicht bezwungen. Kurz darauf, vom 27. bis 29. Januar 1978, fand an | |
der TU Berlin der inzwischen legendäre Tunix-Kongress statt. Aus der ganzen | |
Republik reisten die Studenten, Linken und Spontis zum Treffen der | |
undogmatischen Szene an. | |
Die Idee, eine linke, ökologische Partei gründen zu wollen, wurde hier | |
vorgestellt. Später nannte sich diese Partei „Die Grünen“. Nicht zuletzt | |
gab man hier bekannt, dass gerade eine neue linke Tageszeitung im Entstehen | |
sei – die taz, die kurz nach dem Kongress gegründet wurde. Selber machen, | |
Kollektive gründen, Projekte anstoßen, alles neu denken, diesen Geist | |
verströmte Tunix. „Danach“, sagt Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele | |
40 Jahre später, „konnte man wieder atmen.“ | |
Ströbele war damals dabei, als rund 20.000 Teilnehmer bei Tunix | |
zusammenkamen, um zu diskutieren. Nicht mehr dogmatisch, wie in den | |
K-Gruppen, sondern ohne Denkverbote. Über Psychiatrie, Presse, | |
Alternativkultur, Hausbesetzungen, bewaffneten Kampf, über alles, was die | |
Linke so umtrieb. Und Ströbele ist am vergangenen Wochenende auch wieder | |
dabei, als im Theater HAU 1 in Kreuzberg ein zweitägiges „Wiedersehen in | |
Tunix!“ stattfindet. | |
Die Veranstaltung ist eine Mischung aus Reenactment und kritischer | |
Aufarbeitung und gleichzeitig der Versuch, den Geist des Aufbruchs von | |
damals mit der Gegenwart abzugleichen. Allein die zig Flyer, die ausliegen | |
und auf denen unterschiedliche Gruppierungen zu Demos und Besetzungen | |
aufrufen, zeigen, dass Tunix 40 Jahre später immer noch nachwirkt. Freilich | |
sind die Bedingungen heute ganz andere als damals: Das Tunix-Revival wurde | |
ermöglicht mit freundlicher Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds. So | |
etwas hätten sich die Linken damals wahrscheinlich gar nicht vorstellen | |
können. | |
## Die Freaks sind anti-intellektuell | |
Das Wiedersehen wurde mit sehr viel Liebe und Sorgfalt organisiert. Zwei | |
Tage lang gibt es ein dichtes Programm an Panels und Diskussionsrunden. Es | |
werden Filme aus der damaligen Zeit gezeigt, etwa Reportagen des | |
öffentlich-rechtlichen Fernsehens über den Kongress, in denen recht | |
entgeistert über das Treiben langhaariger Spontis in der TU berichtet | |
wurde. Dazwischen und in den Pausen tritt immer wieder das | |
Helmi-Puppentheater mit seinen durchgeknallten Performances auf. | |
Schließlich ging es auch beim Tunix-Kongress vor 40 Jahren nicht nur um | |
harte Theorie, sondern auch um Spaß. Und ein ganzes Buch zu „Wiedersehen in | |
Tunix!“ wurde anlässlich des Wiedersehens gedruckt. | |
Neben Texten, die den Kongress von damals neu beleuchten, findet sich in | |
dem Buch zum Wiedersehens-Treffen auch ein Faksimile des damaligen | |
Veranstaltungsheftes. Felix Guattari, neben Gilles Deleuze und Michel | |
Foucault einer der Theoriestars aus Frankreich, die am Kongress teilnahmen, | |
hatte darin einen kleinen Text untergebracht, ein Thesenpapier. | |
Welcher Geist damals herrschte, zeigt sich auch hier ganz gut. Als | |
„Anmerkung der Herausgeber“ wurde unter den Text des großen Guattari | |
geschrieben: „Wir finden den Text schwer verständlich und teilweise unnötig | |
hochgestochen.“ | |
## Wie geht das, wenn die Mieten steigen | |
Die Veranstaltung im HAU 1 ist auch ein Happening verschiedener | |
Generationen. Alte 68er, die Generation Tunix und Vertreter junger | |
Stadtinitiativen wie Stadt von Unten oder Kotti & Co kommen zusammen, und | |
in gewisser Weise schließt sich so ein Kreis. Die Alten berichten davon, | |
dass Tunix zumindest für die neue Alternativszene einen Abschied vom | |
orthodoxen Marxismus einläutete. Und dass man, wie es einmal auf dem Podium | |
formuliert wird, Adorno vom Kopf auf die Füße stellen wollte, um fortan | |
„ein richtiges Leben im falschen“ zu suchen. | |
Die Jungen von den Stadtinitiativen fragen sich eher, wie man all die | |
selbstverwalteten Projekte und Initiativen, die auch dank des Spirits von | |
Tunix in den Achtzigern entstanden sind, bei den steigenden Mieten in der | |
Stadt noch retten kann. | |
## Gut, dass es die Grünen und die taz gibt | |
Am Schluss dann die große Erschöpfung. Wahnsinnig gut besucht ist das | |
Tunix-Revival sowieso nicht, doch am Ende des zweiten Tages wirkt das | |
Auditorium im Theatersaal ziemlich leer gespielt. Auf einem Panel geht es | |
dort noch einmal um die taz. Die firmiert während der zwei Tage sowieso als | |
paradigmatisches Tunix-Erbe. Genauso wie Die Grünen. Einst radikal, heute | |
zu angepasst, hört man immer wieder. | |
Dennoch sei es gut, dass es sie gebe. Hans-Christian Ströbele etwa sagt, er | |
„möchte die taz und die Grünen heute eigentlich nicht missen“. | |
„Wiedersehen in TUNIX! Ein Handbuch zur Berliner Projektekultur“. Anina | |
Falasca, Annette Maechtel, Heimo Lattner. Berliner Hefte zu Geschichte und | |
Gegenwart der Stadt #7. 7 Euro, ePub und PDF 3,99 Euro | |
4 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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