| # taz.de -- Altsponti über Szene in Berlin: „Zu wenige Mollis geschmissen“ | |
| > Die Freundin ist gerade von einem Lastwagen getötet worden. Trotzdem will | |
| > Altsponti Hansi Scharbach nun sein Buch vorstellen. | |
| Bild: Alt-Sponti Hansi Scharbach in seiner Stammkneipe Clash im Mehringhof. Fr�… | |
| taz: Hansi, die 68-jährige Radfahrerin, die vor einer Woche am Kottbusser | |
| Tor von einem Lkw überfahren worden ist, war deine Freundin. Wie geht es | |
| dir? | |
| Hansi Scharbach: Voll Scheiße. Vor allem die Nächte sind furchtbar. Ich | |
| nehme Beruhigungsmittel, um wenigstens ein bisschen schlafen zu können. | |
| Trotzdem hast du dich entschlossen, am Samstag im „Clash“ im Mehringhof | |
| dein soeben erschienenes Buch vorzustellen. | |
| Ich habe über sieben Jahre an dem Buch gebastelt. Die Veranstaltung im | |
| Clash war seit Monaten geplant, eine Band war organisiert. Die Nachricht | |
| vom Tod meiner Freundin hat mich voll umgehauen. Nach reiflicher Überlegung | |
| habe ich entschieden, dass es in ihrem Sinne wäre, dass ich die | |
| Veranstaltung trotzdem mache. Mir liegt viel daran, mir das alles auch ein | |
| bisschen vom Herzen zu quatschen. Es ist Realität, man muss sich damit | |
| auseinandersetzen. Musik wird es am Samstag aber nicht geben. | |
| Dein Buch ist eher eine Sammlung von Texten. | |
| Nenne es ein Bilderlesebuch. Es ist so, dass ich über viele Jahre eine | |
| Kneipe am Chamisso-Platz hatte … | |
| … das Matto. | |
| Genau. Als Wirt habe ich immer viele Geschichten erzählt. Ich quatsche ganz | |
| gern. Die Leute haben immer gesagt: Hansi – manche haben mich auch Matto | |
| genannt –, das musst du alles mal aufschreiben. Das habe ich nun getan, | |
| obwohl Schreiben nicht meine Stärke ist. Ich habe acht Jahre Volksschule | |
| und bin ganz knapp an der Legasthenie vorbeigeschrammt. Und ich finde fast | |
| sogar, dass es mir gelungen ist. | |
| Es sind nicht nur eigene Texte. | |
| Bestimmte Episoden habe ich selbst erlebt, andere stammen von anderen | |
| Leuten. Im Anhang des Buchs sind Texte von meiner Band. In einer | |
| Ethno-Punkband – „Knapp daneben“, hieß die – habe ich die Rampensau | |
| gemacht. | |
| Im Buch heißt es, du warst in der Band der Sänger und Saxofonist. | |
| Ich kann nicht singen (lacht). Ich habe da voll showmäßig rumgefetzt. | |
| „Knapp daneben“, das war eben unser Programm. Es gibt eine CD davon, | |
| längerfristig kann man sich das nicht anhören. Den ersten Auftritt hatten | |
| wir 1984, an dem Abend, als wir das Spectrum verkauft hatten. | |
| Spectrum, kurz Speci, hieß die Sponti-Kneipe, die du mitbegründet hast. | |
| Euer Kollektiv hat den Laden im Mehringhof 1984 verkauft. Dann hieß die | |
| Kneipe Ex, heute heißt sie Clash. Was habt ihr danach gemacht? | |
| Wir sind in Nicaragua gewesen, als Baubrigade. Wir haben Schulhäuser gebaut | |
| und einen Radio-Sendemast vergrößert. | |
| Ein bisschen Revolutionsromantik war auch dabei, oder? | |
| Es war sicher auch sehr romantisch in der Hängematte zu liegen und den | |
| Vollmond in Mittelamerika anzugucken. Aber mir ging es primär darum, den | |
| Leuten, die da leben, zu helfen. | |
| Habt ihr auch mit den Sandinistas gegen die Contras gekämpft? | |
| Ich hätte mitgekämpft, wenn es nötig gewesen wäre. Nachts an der | |
| Stadtteilgrenze haben wir manchmal Wache geschoben. Es war damals nicht | |
| sicher, ob irgendwelche Contra-Arschlöcher einsickern. | |
| Hattest du Angst? | |
| Manchmal kriegte man Muffe, man hat ja auch Schüsse gehört. Oder du hast | |
| gesehen, dass Leute mit einem Sarg durch die Straße gelaufen sind. | |
| Wen sollen diese ganze Geschichten von damals heute interessieren? | |
| Das ist immer wieder die Frage. Wer weiß noch was vom Speci? Wer weiß noch | |
| was von kollektiver Arbeit? Das waren ja die Zusammenhänge damals vor | |
| dieser ersten Hausbesetzerbewegung, die 1980 begann. Wir gehörten sozusagen | |
| zu den Vorreitern. | |
| Du bist Jahrgang 1948. Warst du auch Teil der Studentenbewegung? | |
| Nein. 1968, als die Studentenbewegung auf dem Höhepunkt war, war ich noch | |
| zu Hause im Schwarzwald und habe mich für Autos interessiert, für Frauen | |
| und für Fußball. Und ich habe, wie es jeder gute Süddeutsche macht, mit | |
| meinen Eltern zusammen ein Haus gebaut. | |
| Du bist im Glottertal aufgewachsen. | |
| Gegenüber von dem Kurhotel, das später die Kulisse für die | |
| „Schwarzwaldklinik“ war… | |
| … die Fernsehserie in den 80er Jahren. | |
| Das ist ein riesengroßes Areal. Die reichen Leute haben sich da getroffen, | |
| Curd Jürgens habe ich mal die Hand gedrückt. Meine Mutter war in dem Hotel | |
| Kellnerin, mein Vater Heizer. Aber wenn du 22 Jahre auf dem Land gewohnt | |
| hast, kannst du so eine schöne Landschaft nicht mehr ertragen. Dann weißt | |
| du, dass du gehen musst. | |
| Warst du mal verheiratet? | |
| Um die Heirat habe ich mich sehr gut drücken können. Immer und überall | |
| (lacht). | |
| Deine Generation, die alten Spontis, waren zum Teil ganz schöne Machos. | |
| Ich würde nicht bestreiten, dass ich dazugehört habe. Man sagte, ich sehe | |
| ganz gut aus. Ich hatte einen ziemlichen Schlag bei den Mädels. Als ich im | |
| April 1970 nach Berlin gekommen bin, hatte ich allerdings Probleme. | |
| Warum das? | |
| In der Disco „Sound“ – einem von diesen Haschischläden – habe ich die | |
| Frauen zum Tanzen aufgefordert. Die haben sich über mich kaputtgelacht. | |
| Das hat sich dann geändert? | |
| Ja, ich habe dann selbst dem Gift zugesprochen und bin lockerer geworden. | |
| Du bist Handwerker. | |
| Ich habe mit 14 Jahren eine Farbverteilungstechniker-Lehre angefangen. | |
| Also bist du Maler. | |
| Ich habe auch als Gerüstbauer gearbeitet und diverse Berufe versucht. Dann | |
| bin ich am SPI gelandet, das war das Sozialpädagogische Institut. Da habe | |
| ich eine dreijährige Erzieherausbildung gemacht. | |
| Wie bist du in die Politszene geraten? | |
| Natürlich durch eine Braut. Das war Bettina, die leider auch schon | |
| verstorben ist. Dazu muss ich sagen, sie war eine Schwäbin, und ich bin | |
| Badenser. Das geht eigentlich gar nicht. Aber wir haben uns sehr geliebt. | |
| Sie hat immer gesagt, ich soll nicht jedem Kerl auf die Fresse hauen, mit | |
| dem sie geschlafen hat. Über sie bin ich mit den Intellektuellen in | |
| Verbindung gekommen, bei Partys und so weiter. Daher kommt auch diese Sache | |
| mit dem Farbverteilungstechniker. | |
| Bitte erzähle! | |
| Auf Partys wurde ich immer gefragt, was machst du denn beruflich? Und da | |
| habe ich immer gesagt, ich bin Maler. Und dann haben die geantwortet: Oh | |
| ja, blaue Phase. Irgendwann habe ich mir geschworen, das sage ich nicht | |
| mehr. Das nächste Mal, als mich einer gefragt hat, habe ich gesagt, | |
| Farbverteilungstechniker. Und dann war gut. | |
| War deine Entwicklung zum Sponti also Zufall? | |
| Dass ich diese Leute getroffen habe, da war schon viel Zufall dabei. Aber | |
| ich war nicht ansprechbar für rechte Ideologien. Die Linken, die Spontis, | |
| haben mir eindeutig besser gefallen. Ich habe auch ihre Schriften gelesen: | |
| Bakunin und Duruti, die Anarchisten. Nach kürzester Zeit habe ich mich dann | |
| als Anarchisten bezeichnet. Bei den Demos habe ich oft Steine geschmissen | |
| und mich mit Bullen geprügelt. | |
| Hattest du auch Kontakt zu der Bewegung 2. Juni oder der RAF? | |
| Persönlich? Ich war involviert, genauer gesagt: Mein Motorrad war | |
| involviert in einen Banküberfall. Ich selbst war zur Zeit des Überfalls in | |
| Griechenland, und der Schlüssel für das Motorrad hing am Tresen des Speci. | |
| Jeder konnte ihn nehmen und benutzen. Das war meine Beziehung zu den | |
| Leuten, das wollte ich damit sagen. Ich könnte jetzt auch sagen, dass ich | |
| mit einer 2.-Juni-Frau im Bett war. Das klingt zwar so, als würde ich damit | |
| kokettieren, aber es war so. | |
| Warst du auch mal selbst im Knast? | |
| Eine Nacht war ich in der Kiste, ja. In Kleingruppen haben wir morgens im | |
| Berliner Berufsverkehr alle Ampeln an den großen Kreuzungen auf Rot | |
| gestellt. Mich haben sie geschnappt. | |
| Gibt es Dinge in deinem Leben, wo du sagen würdest, das war ein Fehler? | |
| Ja, ich habe zu wenige Mollis und Steine geschmissen. | |
| Was hätte das gebracht? | |
| Es gibt den Satz: Ihr schreit, wenn Fenster klirren, ihr schweigt, wenn | |
| Menschen sterben. Das ist, ganz grob ausgedrückt, meine Haltung. Ich bereue | |
| kein Stück von dem, was ich gemacht habe. | |
| Du hattest drei Herzinfarkte und zwei Schlaganfälle. Wie hast du das | |
| überlebt? | |
| Das siehst du ja. | |
| Deine Sprache ist verwaschen, und du gehst am Stock. | |
| Je müder ich werde, umso besoffener klinge ich, obwohl ich seit fast zwei | |
| Jahren keinen Alkohol mehr trinke, geschweige denn sonstige Gifte zu mir | |
| nehme. Ich habe eine Leberzirrhose, also die klassische Berufskrankheit. | |
| Das ist mein Leben jetzt. | |
| Im Alter gehen viele Leute aufs Land. Hast du das auch mal erwogen? | |
| Ich fühle mich nicht alt (lacht). Aber ich war mal mit einer Frau zusammen, | |
| die auch die Schnauze voll hatte von der Stadt, und da haben wir gesagt, | |
| wir gehen aufs Land. Für mich hätte das immer bedeutet, ins Tal | |
| zurückzugehen. | |
| Ins Glottertal? | |
| Ja. Und dann sind wir ins Tal. Nach 14 Tagen hat sie gemerkt, das geht gar | |
| nicht, weil sie wäre ein Anhängsel von mir gewesen. Ich hätte aber auch gar | |
| nicht mehr gewusst, was ich da soll. Meine Zeit als Gigolo und toller Hecht | |
| war vorbei. Die haben nicht mehr auf mich gewartet. | |
| Seit dem plötzlichen Tod deiner Freundin – denkst du da auch über dein | |
| eigenes Ende nach? | |
| Das habe ich auch schon vorher getan. Aber jetzt ist mir aufgefallen, dass | |
| ich gar nicht weiß, was meine Freundin über ihr eigenes Ableben gedacht | |
| hat. Über meinen Kadaver haben wir uns tausendfach unterhalten, weil uns | |
| klar war, dass ich vor ihr sterbe. | |
| Wie lange wart ihr zusammen? | |
| Ungefähr 17 Jahre, wir haben aber nicht zusammengewohnt. Das habe ich nie | |
| mit einer Frau. Wir haben immer versucht, die Dinge ohne Schlüsselgewalt | |
| über den anderen zu halten. | |
| Wie wirst du damit fertig? | |
| Ich empfinde eine unsagbare Trauer. Wenn meine Veranstaltung am Samstag zu | |
| Ende ist, werde ich mich in meine Wohnung zurückziehen und mit Freunden | |
| reden. | |
| Was willst du mit der Veranstaltung erreichen? | |
| Die Leute sollen das Buch kaufen. | |
| Wie hoch ist die Auflage? | |
| Zehntausend. | |
| Quatsch. | |
| Nee, 100 (lacht). | |
| 17 Jan 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
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