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# taz.de -- Debatte Gelbwesten und Klimaziele: Öko korrekt, sozial ungerecht
> Wenn Klimapolitik die soziale Spaltung vertieft, richtet sie sich gegen
> sich selbst. Das zeigen die Proteste in Paris. Der Klimagipfel könnte
> daraus lernen.
Bild: Diese Wasserstrahlen sind nicht gegen Dürre im Einsatz, sondern gegen Ge…
Brennende Autos auf den Champs-Elysées, der Arc de Triomphe mit Graffitti
bemalt, mehrere Tote und Dutzende Schwerverletzte – im Vergleich mit
[1][den französischen Ereignissen] wirkt der Hamburger G20-Protest wie ein
Kindergeburtstag. Gewiss, in den Aktionen der Gelbwesten entlädt sich eine
lang aufgestaute Wut, es werden viele politische Süppchen auf ihren Feuern
gekocht, und auch die schlichte Freude an Gewalt ist nicht zu übersehen.
Trotzdem sollte man auch den klimapolitischen Anlass der Eskalation näher
betrachten.
Während sich ExpertInnen und Regierende aller Länder [2][in Kattowitz
(Katowice) zur Weltklimakonferenz] versammelt haben, verweist sie der Blick
nach Paris auf die Risiken und Nebenwirkungen ihres Tuns. Schließlich sind
auch die Gegner jeglicher Klimapolitik längst in der Offensive: Donald
Trump etwa begründet seine Unterstützung für den mörderischen saudischen
Prinzen ungeniert mit dem Interesse an niedrigen Benzinpreisen in den USA.
Die Klimafrage ist im Zentrum der globalen Politik angekommen.
„Benzinwut“. Der 5-Mark-Beschluss der Grünen hat vor nunmehr 20 Jahren die
WählerInnen in Rage versetzt, und die meisten deutschen KlimaschützerInnen
lassen seither die Finger von den Spritpreisen. Dabei scheint die Sache
längst geklärt: Wenn es keine Benzinsteuer gibt, nutzen die Autofahrer die
Erdatmosphäre als kostenlose Abgasdeponie. Umweltnutzung und
Ressourcen-verbrauch müssen deshalb teurer werden, damit die Menschheit
weiterexistieren kann. Und muss im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft
nicht jede und jeder auf manche Dinge verzichten?
Die Umweltökonomie will also den Ressourcenverbrauch anstelle der Arbeit
besteuern. Umweltbelastung soll in die Preise eingerechnet werden, damit
diese dann „die Wahrheit“ sagen. Nur hat diese „Wahrheit“ nicht für al…
den gleichen Klang. PendlerInnen in ländlichen Regionen sind auf das Auto
angewiesen, während Pariser Büroangestellte mit der U-Bahn kommen. Die
Angehörigen der „oberen Mittelschicht“ kostet eine Spritsteuer nicht einmal
ein Promille ihres Haushaltsbudgets, während die Pflegekraft mit zwei
Kindern im Prozentbereich dabei ist. Die mobile Freiheit der „kleinen
Leute“ wird eingeschränkt, während die Besserverdienenden unbesorgt so viel
fahren, wie sie wollen. Die Ungerechtigkeit ist inzwischen auch der
französische Regierung aufgefallen. Nur gelingt es nicht mehr, die
Situation mit sozialen Maßnahmen zu beruhigen – es fehlt inzwischen an
sozialer Glaubwürdigkeit.
## Steuererhöhung bedient klassisches Narrativ
Zur politischen Wirkung der Gilets jaunes in Frankreich trägt bei, dass
die Steuererhöhung ein klassisches Narrativ der extremen Rechten (und von
Teilen der populistischen Linken, die brav in der zweiten Reihe mitlaufen)
bedient: Die Regierung will von „uns“, den einfachen Franzosen (oder
Deutschen …), mehr Geld. Also reden die Eliten von der Rettung des
Weltklimas und der Zukunft der Menschheit, während sie tatsächlich nur den
Staatssäckel füllen und die kleinen Leute abzocken. „Wer ‚Menschheit‘ s…
will betrügen“, schrieb vor mehr als 80 Jahren ein Lieblingsautor der
extremen Rechten, der deutsche Jurist Carl Schmitt. Gewiss, man kann ihm
entgegenhalten: Betrügen will, wer aus Machtversessenheit die gemeinsame
Verantwortung der Menschheit für die Begrenzung des Klimawandels leugnet.
Nur helfen rationale Argumente wenig, wenn der Staat den BürgerInnen ans
Portemonnaie will und dabei einmal mehr den Reichen nicht wehtut.
Dabei geht es auch anders – etwa in der Schweiz. Auch dort wurde vor
einigen Jahren der Strompreis durch eine Abgabe erhöht. Je mehr
Kilowattstunden jemand verbraucht, desto mehr muss er oder sie bezahlen.
Allerdings landet das Geld nicht im Staatshaushalt, sondern es wird in
einem eigenen Topf gesammelt und am Ende des Jahres an die BürgerInnen
zurückverteilt. Dabei bekommt dann jeder Mensch gleich viel. Wer viel
verbraucht und viel eingezahlt hat – das sind in aller Regel die
Bessergestellten – macht Verlust. Die kinderreiche Familie mit niedrigem
Pro-Kopf-Verbrauch hingegen macht Gewinn. Ein Ökobonus für alle zum
Jahresende und eine (moderate) Umverteilung von oben nach unten – auch so
kann die klimapolitisch erwünschte Verteuerung des Ressourcenverbrauchs
aussehen.
Lenkungsabgaben wie der schweizerische „Umweltbonus“ oder Pfandsysteme wie
das deutsche Dosenpfand, das eine ähnliche Wirkung entfaltet, gelten in der
Mainstreamökonomie als nicht „elegant“. Sie sind neu und aufwendig, bringen
dem Staat kein Geld, und die Rückverteilung kann kompliziert sein. Steuern
hingegen sind einfach, es gibt sie seit Tausenden von Jahren. Wie es mit
derartiger finanzpolitischer Grobmotorik gelingen soll, die
unterschiedlichen Ressourcenverbräuche im eigentlich notwendigen Umfang
sozial verträglich zu begrenzen, verraten die Anhänger der
(umwelt-)ökonomischen Korrektheit allerdings nicht. Eine Debatte wäre
überfällig – und es gäbe viele Gründe, die staatliche Finanzverwaltungen
für das Zeitalter der digitalen Wirtschaft und des Klimawandels fit zu
machen.
Wenn Klimapolitik die soziale Spaltung vertieft, richtet sie sich gegen
sich selbst, am Ende also auch gegen den Klimaschutz. Sage niemand, es gebe
keine Alternativen: Die CO2-Emissionen des Verkehrs lassen sich auf
unterschiedlichste Weise vermindern, von der Förderung der Elektromobilität
über Verbrauchsnormen für die Hersteller, eine stärkere Progression gemäß
Verbrauch bei der Kfz-Steuer bis hin zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs
und einer Infrastrukturpolitik, die den Namen verdient. Benzinsteuern zu
erhöhen ist natürlich einfacher. Nur zeigt der Blick nach Paris, dass es
für die KlimapolitikerInnen an der Zeit ist, sich von einfachen Ideen zu
verabschieden. Klimapolitik ist ein globales Problem, an dem alle beteiligt
sind. Deshalb wird man auch alle einbeziehen müssen. Denn am Ende geht es
um die politische Macht.
3 Dec 2018
## LINKS
[1] /Proteste-in-Frankreich/!5555039
[2] /UN-Klimakonferenz-in-Kattowitz/!5552070
## AUTOREN
Roland Schaeffer
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