| # taz.de -- Bremer Tanztheater-Stück „Hiatus“: Zuckungen im Menschenknäuel | |
| > Die erste Inszenierung der frisch umformierten Tanzkompanie Unusual | |
| > Symptoms am Bremer Theater erzählt vom Risiko, in der Gruppe | |
| > unterzugehen. | |
| Bild: Zittern vor Energie: Tänzer*innen im Stück „Hiatus“ | |
| Bremen taz | Es ist ja bald Sprechtheater, wie der sich da quält. „I need | |
| more space“ presst Schauspieler Michai Geyzen über die Lippen. Ein | |
| gewaltiger Kraftakt inmitten der so schönen wie fragilen Vertrautheit einer | |
| wirklich emotionalen Gruppenszene. Der Sprecher aber windet sich raus aus | |
| all den Tänzer*innen und versucht dann eben, anderswo unterzukommen – schon | |
| wieder. | |
| „Hiatus“ heißt diese erste Inszenierung der frisch umformierten | |
| Tanzkompanie Unusual Symptoms am Bremer Theater. Und es beginnt mit einer | |
| Absage an das gesprochene Wort, oder überhaupt: an einfache Antworten. Denn | |
| das bisschen Text bezeugt wirklich eine sinnlose Qual. | |
| Zum Beispiel bei dieser Verhörszene. Antworten kommen schnell, wo es um | |
| Banales geht: Augenfarbe, Größe, Gewicht. Aber, wo es kompliziert wird – | |
| „Was ist deine größte Angst?“ – da folgt einfach nur Schweigen. Sprache… | |
| hier ein Tasten nach dem richtigen Ausdruck – und ihr Scheitern das | |
| Eingeständnis, dass der Tanz noch sehr viel mehr zu erzählen hat. | |
| Nun ist die Herumdeuterei am zeitgenössischen Tanztheater eine müßige | |
| Übung, bei den Unusual Symptoms vielleicht noch etwas mehr als anderswo. | |
| Aber das zentrale Thema liegt diesmal ja nun wirklich auf der Hand: Es geht | |
| ums Zusammenfinden der Einzelnen, um das Risiko, in der Gruppe nicht auf-, | |
| sondern unterzugehen. Und umgekehrt um die Frage: Wie schmiedet man aus dem | |
| Casting wirklich bemerkenswert ausdrucksstarker Charaktere eine Formation, | |
| die ihre Mitglieder nicht sofort weginhaliert. | |
| ## Späte Verblüffung | |
| Choreograf Helder Seabra aus Portugal macht es so: Er lässt Alexandra | |
| Llorens, der schillerndsten Erscheinung unter den Neuen, allen Raum, den | |
| ihr Ausdruck verlangt. Dann trippelt sehr vorsichtig Nóra Horváth in die | |
| Lücken, verblüfft erst spät – dann aber so richtig – mit ihrem | |
| akrobatischen Ausdruck. | |
| Dass als Dritte auch noch Young-Won Song dazwischen passt, liegt an der | |
| unglaublichen Präzision ihrer Bewegungen. Harmonisch wirkt das alles nicht. | |
| Im Gegenteil: Die Choreografie lebt von ihren passgenau gesetzten | |
| Reibungspunkten auch mit den alteingesessenen Tänzer*innen der Kompanie. | |
| Gabrio Gabrielli etwa, der seit Jahren dabei ist, fügt sich nicht nur | |
| unprätentiös ein, sondern bildet mit hingeschlackerter Lockerheit auch noch | |
| einen markanten Kontrapunkt zum drahtig-präzisen Schritt des neuen | |
| Kollegen Andor Rusu. | |
| ## Zum Schneiden dicht | |
| Kurzum, die Choreografie ist zum Schneiden dicht konzipiert mit diesen acht | |
| Akteur*innen auf der von Matthieu Götz’ Bühnenbild noch weiter verengten | |
| Spielfläche des Kleinen Hauses am Goetheplatz. Die angeschrägt abgehängte | |
| Decke bildet einen Trichter, kreuz und quer daran arrangierte | |
| Leuchtstoffröhren zielen auf diverse weitere Fluchtpunkte, die alle | |
| miteinander irgendwo draußen – außerhalb des Theaters – liegen. | |
| In diesem diffus organisierten Raum schreiten die Tänzer*innen herum, | |
| studieren zunächst mechanisch die von ihnen erwarteten Bewegungsabläufe ein | |
| und probieren sie dann an- und miteinander aus. Ein erlösendes Finden aber | |
| gibt es nicht – dafür immer neue Versuche, über das ein oder andere Ventil | |
| ein bisschen Druck abzulassen. Wirklich: Die Tänzer*innen scheinen vor | |
| Energie zu zittern, kratzen hektisch durch die Luft und über den Boden. | |
| Zu Stijn Vanmarsenilles elektronischen Beats und seiner dröhnenden | |
| E-Gitarre wird sich berührt, dieses Zittern auf die anderen übertragen: ein | |
| schließlich synchron zuckendes Menschenknäuel, das sich ohne Höhepunkt | |
| wieder auflöst und seine Teile weiter wuseln lässt. | |
| Der Druck ist wohl echt, dass nach rund 70 Minuten harten Körpereinsatzes | |
| noch alle auf den Beinen sind, ist schon erstaunlich. Am deutlichsten wird | |
| das ergebnisoffene Interesse, das diese Inszenierung am gesellschaftlichen | |
| Miteinander unübersehbar hat, in einem wirklich schönen Bild: Da steht | |
| allein der Single, daneben zwei Zweierpärchen und andere, die polymäßig zu | |
| dritt versuchen, einander über die Bühne zu schleppen. Spaß macht das | |
| sichtlich alles, ein garantiertes Happy End hat aber trotzdem keine der | |
| Konstellationen im Angebot. | |
| Das Wie bleibt also offen, obwohl von dieser Premiere natürlich alle eine | |
| Botschaft erwarten: wie es jetzt weitergeht nämlich, mit dem Bremer Tanz, | |
| dessen Leitung Samir Akika nach sechs Jahren an Alexandra Morales und | |
| Gregor Runge abgegeben hat. Künstlerisch wird es mindestens interessant, | |
| für die Beteiligten sogar ziemlich aufregend: „Zurück zu den Wurzeln“, hat | |
| Gregor Runge neulich gesagt: Weil es die Unusual Symptoms damals mit ihrem | |
| Umzug ans Bremer Theater mit organisierten Strukturen und einer Hierarchie | |
| zu tun bekamen, die ihnen fremd waren. | |
| Jetzt teilen sich immerhin wieder zwei die Last an der Spitze. Und fürs | |
| Publikum, zumindest das hat „Hiatus“ ohne Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen | |
| geklärt, geht es auch mit neuen Gesichtern lückenlos weiter auf hohem | |
| Niveau. | |
| 1 Dec 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
| ## TAGS | |
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