# taz.de -- Matias Faldbakken zu Politik und Sprache: „Es gibt etwas darunter… | |
> Auch in Norwegen verändert sich der politische Diskurs. Zuvor | |
> randständige Meinungen gehören nun zum Alltag, findet der in Oslo lebende | |
> Autor Matias Faldbakken. | |
Bild: Punk und Skateboarden waren in seiner Jugend sehr wichtig: Matias Faldbak… | |
taz am wochenende: Herr Faldbakken, Ihr neuer Roman ist stilistisch völlig | |
anders als ihre „Skandinavische Misanthropie“-Trilogie. Wo Ihre Figuren | |
zuvor einen nihilistischen, defätistischen Tonfall hatten, findet man in | |
„The Hills“ gesittete Konversation im Kammerspiel-Setting. Warum der | |
Wandel? | |
Matias Faldbakken: Es war zwar keine Strategie, einen Grund dafür gibt es | |
dennoch: Der Ansatz der Trilogie war es, diese unheilvollen, trollartigen | |
Impulse ins Zentrum zu stellen. Seit ich die Arbeit daran beendet habe, | |
sind aber zehn Jahre vergangen. In der Zwischenzeit ist das Trollverhalten | |
fast alltäglich geworden. Es ergab für mich keinen Sinn mehr, in diesem Ton | |
Zustandsbeschreibungen zu liefern, wenn sie längst Realität geworden sind. | |
Das Geschehen spielt ausschließlich in dem fiktiven Osloer Restaurant „The | |
Hills“. War die Einheit von Ort und Handlung die Grundidee? | |
Das hat sich beim Schreiben ergeben. Ich hatte frühe Notizen, in denen der | |
Kellner – also der Protagonist – das Restaurant verlässt. In dem Moment | |
merkte ich, dass es für diesen Stoff eine geschlossene Umgebung braucht. | |
Der Kellner erzählt aus der Ich-Perspektive, zugleich ist er fast ein | |
allwissender Erzähler, er überblickt die Situation im Restaurant. | |
Um menschliches Verhalten zu beschreiben, ist das Essen im öffentlichen | |
Raum ein beliebtes Sujet. Was macht diese Situation für Sie so interessant? | |
Ja, es ist ein typisches Setting. Als ich daran schrieb, habe ich auch an | |
TV-Serien wie „Cheers“ gedacht. An Orte, wo Stammgäste auftauchen, deren | |
Namen und Gesicht jeder kennt. Das Stammlokal ist ein Ort, der für Menschen | |
Kontinuität, Rhythmus und Sicherheit bedeutet. Aber es gibt auch | |
Neuankömmlinge – das unbekannte Element, das das Gewohnte | |
durcheinanderbringt. Und das Restaurant ist ein recht analoger Ort. Ich | |
wollte diesen einheitlichen, analogen Ort, in dem Dinge von außen nur | |
hereinsickern – zum Beispiel, wenn der Kellner an sein Telefon geht. | |
Ihre Figuren kommentieren in dieser nostalgischen Umgebung die heutige | |
Gegenwart. Ihren Erzähler lassen Sie einmal sagen: „Es gibt keine | |
politische Sprache, um die Konflikte unserer Zeit auszudrücken.“ Stimmen | |
Sie zu? | |
Ich bin nicht wirklich gut darin, Antworten auf das zu geben, was ich in | |
meinen Büchern als Vorschlag anbiete … | |
… der Satz steht da nicht ohne Grund. | |
Versuchen wir’s mal so: Ich bin bildender Künstler und Schriftsteller. Und | |
ich thematisiere natürlich die Grenzen dessen, was ein Kunstwerk, was | |
Texte, was Sprache erreichen können. Solche Formulierungen entstehen aus | |
einem allgemeinen Gefühl heraus. Zum Beispiel sind einige politische | |
Bewegungen der vergangenen Jahre meines Erachtens unvorhersehbar gewesen. | |
Es gibt Kräfte, die da gerade unterwegs sind, die sich nur schwer von | |
Sprache einfangen lassen und die kaum in einen rationalen Diskurs | |
einzuordnen sind. Da verläuft etwas entlang anderer Parameter als an jenen | |
des Sprechens in und über Nachrichten, Zeitungen und Büchern. Das ist es | |
vielleicht, was ich damit meine. | |
An anderer Stelle geht es um Hohn und Spott als das, was dem rationalen | |
Menschen übrig bleibt. | |
Ja, da geht es um den Künstlerzirkel, der sich um die Figur Sellers | |
gruppiert. Ich thematisiere das ewige Verspotten der Dinge – ein Spott im | |
Sinne der Dadaisten. Ich wollte einen Bezug zur historischen Avantgarde | |
herstellen, denn diese Referenz war für mich immer bedeutend. Ich glaube, | |
die Ideen sind immer noch gültig, das avantgardistische Projekt ist | |
gewissermaßen nie vollendet worden. Statt zu sagen, das hatten wir doch | |
alles schon, kann man genauso gut sagen: Es hat immer noch seine | |
Berechtigung, die Ideen wieder aufzugreifen. Es ist eine Linie von den | |
Dadaisten und Surrealisten zu den Situationisten und den Punks. | |
Viele ziehen in Deutschland politisch-gesellschaftlich eine Parallele zur | |
starken Zeit der modernen Avantgarde, sehen die Gesellschaft ähnlich | |
gespalten und zu Extremen neigend wie während der Weimarer Republik. Wie | |
bewerten Sie die Situation in Norwegen? | |
In Norwegen ist es ähnlich. Die Fortschrittspartei war früher mal eine | |
Kleinstpartei, niemand hat geglaubt, dass sie je aus der Oppositionsrolle | |
herauskäme. Inzwischen bekommen sie 15 Prozent und regieren seit 2013 mit, | |
sie stellen den Finanzminister. In mancher Hinsicht ist Norwegen wirklich | |
progressiv, aber die gleichen Sorgen und Konflikte, wie wir sie gerade | |
überall haben, sehen wir auch bei uns. Und es gibt eine Kluft zwischen den | |
politischen Lagern. | |
Wie hat sich der politische Diskurs verschoben, seit die Fortschrittspartei | |
mitregiert? | |
Auch das ist ähnlich wie anderswo: Was zuvor randständige Ideen einer mehr | |
oder weniger rechten Oppositionspartei waren, hat sich normalisiert und ist | |
nun Bestandteil der alltäglichen politischen Debatte. | |
In Ihrem Roman gibt es eine Figur, die der Erzähler „Kindfrau“ nennt, es | |
gibt eine „Lolita“-Anspielung. Ist die Figur eine bewusste Provokation? | |
Nein. Das Buch erschien in Norwegen im September 2017, es war die Zeit vor | |
[1][#MeToo. Als es veröffentlicht wurde und #MeToo kam], dachte ich mir, | |
das könnte interessant werden – denn mein Buch streift die Problematik | |
solcher Charakterisierungen und Beschreibungen von Frauen. Sie sind nicht | |
der Erste, der danach fragt. Ein Journalist sagte: „Sie haben eine | |
Frauenfigur, und die Qualität der Figur ist es, dass sie jung und schön | |
ist. Wie können Sie das in #MeToo-Zeiten rechtfertigen?“ Ich glaube, man | |
muss genauer hinschauen. Diese Eigenschaften werden in ziemlich düsterer | |
Art und Weise dargestellt. Wenn es ein Monster in „The Hills“ gibt, dann | |
ist sie es. Es ist also keine fetischisierende Darstellung. Es gibt eine | |
Oberfläche, und es gibt etwas darunter. Da ist ein Bruch in dem Ganzen. | |
Die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse sagte kürzlich, Nabokovs | |
„Lolita“ hätte heute keine Chance, veröffentlicht zu werden. Glauben Sie | |
das auch? | |
Gerade jetzt wäre das sicher problematisch. Eine ähnliche Debatte fand in | |
Norwegen auch statt. | |
Wie verläuft die Diskussion über Political Correctness in Norwegen? | |
Es gibt da zwei Ebenen. Wie Sie sagten, ist die Fortschrittspartei Teil der | |
Regierung – und diese Typen sind auf ihre Art und Weise ziemlich inkorrekt. | |
Einem hochrangigen Politiker der Fortschrittspartei, Terje Søviknes, wurde | |
über Jahre vorgeworfen, im Jahr 2000 ein betrunkenes 16-jähriges Mädchen | |
vergewaltigt zu haben – die Sache wurde damals fallen gelassen, er konnte | |
seine Karriere fortsetzen. Er führte lange das Öl- und Energieministerium, | |
bis er selbst zurücktrat [offiziell aus privaten Gründen; d. Red.]. Dass | |
die Sensibilität an den Universitäten und im Kulturleben größer geworden | |
ist und dass wir links gerichtete Akteure haben, die unsere Sprache und | |
unser Handeln unter die Lupe nehmen, ist unser geringstes Problem, wenn man | |
das große Ganze sieht. Ob es „Lolita“ in den Buchläden gibt oder nicht, i… | |
nicht entscheidend, solange Minister Minderjährige belästigen und das okay | |
ist. | |
Die Figur Edgar und seine Tochter Anna haben im Roman ein gutes, | |
liebevolles Vater-Tochter-Verhältnis. Wie viel vom Vater Matias Faldbakken | |
steckt in seiner Figur? | |
Ich habe drei Kinder, sie sind bedeutend in meinem Leben. Aber es wirkt | |
sich nicht auf den Stil und Inhalt aus, falls Sie das meinen. Als ich die | |
Trilogie und das ganze harte Zeug geschrieben habe, hatte ich auch schon | |
eine eigene Familie. Kinder sind als Figuren interessant, ich weiß um ihr | |
Potenzial und wie es begrenzt, geformt und abgetötet wird. Du wirst in so | |
viele Systeme und Formen gebracht, wenn du ein Kind bist und auch wenn du | |
welche hast. Du musst so viel machen, was du nicht magst. Allein die | |
Schule! | |
Sie mochten die Schule nicht? | |
Nein. Ich war kein schlechter Schüler, aber ich bin nie gern zur Schule | |
gegangen. Ich bin eigentlich ziemlich umgänglich, aber ich mochte es nie, | |
Regeln zu befolgen. Ich beachtete sie mehr oder weniger, war aber nie | |
einverstanden mit ihnen. | |
Das Skateboarden kommt bei Ihnen oft am Rande vor, so auch in „The Hills“. | |
Skaten Sie selbst noch? | |
Nein, nicht mehr. Ich bin 45, wenn ich stürze, dann sterbe ich … Aber ich | |
habe meinen Kindern das Skaten beigebracht. | |
Kann das Skaten mal Romanstoff für Sie werden? | |
Ich wüsste nicht, wie man über das Skaten schreiben sollte. Es lebt zu | |
stark vom Visuellen. | |
Haben Sie zur Musik auch eine starke Verbindung? | |
Punk und Skatepunk waren in meiner Jugend schon wichtig, und ich mochte | |
auch schrägen Metal. | |
Norwegischen Black Metal? | |
Nein, es war eher Mainstream-80er-Metal. Ich war nie in einer Band, nie | |
Teil einer Musikszene. Aber ich mag den Spirit von Punk und Hardcore, die | |
Ästhetik, das D.I.Y.-Prinzip, all das war für mich als Künstler wichtig. | |
25 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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