# taz.de -- Kommentar Seehofer und Chemnitz: Plötzlich so schweigsam | |
> Horst Seehofer nennt die Dinge gern beim Namen. Im Fall der | |
> Neonazi-Proteste in Chemnitz bleibt er hingegen wortkarg – was soll das? | |
Bild: Schon der erste Satz von Seehofer macht klar, wie wenig Bock er auf diese… | |
Am Dienstagnachmittag ließ Horst Seehofer dann doch noch eine Mitteilung | |
verschicken. Für den Bayerischen Rundfunk genügte das, um zu dem Schluss zu | |
kommen, dass Seehofer die [1][Gewaltexzesse von Chemnitz] „scharf | |
kritisiert“ habe. Aber das hatte er nicht. Er hatte lediglich neun Sätze | |
veröffentlicht, in denen kein einziges Mal Begriffe wie „rechte Gewalt“, | |
„Neonazis“ oder „rassistisch“ auftauchen. | |
Es sind ein paar lächerliche Zeilen von einem Bundesinnenminister, dem | |
obersten Hüter der Ordnung in diesem Land. Ein paar lächerliche Zeilen zu | |
schwersten Ausschreitungen, zu Neonazis, die Jagd machten auf Menschen, zu | |
einem Pogrom, zu einem gewalttätigen Mob, der zwei Abende in Folge die | |
Straßen von Chemnitz für sich beanspruchen konnte, zu einem Staat, der sich | |
zumindest zeitweilig das Gewaltmonopol entreißen ließ. | |
Seehofers Erklärung fängt schon mit einem Satz an, der deutlich macht, wie | |
wenig Bock er darauf hat, sich diesem Thema zu widmen: „Zu den Vorfällen | |
von Chemnitz hat Regierungssprecher Steffen Seibert gestern bereits | |
Stellung genommen.“ Was für ein Entrée! Es heißt übersetzt: Was wollt ihr | |
denn jetzt noch von mir?! | |
Na ja, zum Beispiel so ein knackiges Statement wie sonst. Damit hat | |
Seehofer doch sonst keine Probleme. Im Gegenteil. 2016 hatte er | |
beispielsweise die Grenzöffnung eine „Herrschaft des Unrechts“ genannt. | |
Ohne Belege. Kein Gericht hatte bis dahin festgestellt, dass Angela Merkel | |
oder die Bundesregierung im Herbst 2015 geltendes Recht gebrochen hätten. | |
Es gab keinen Untersuchungsausschuss. Nichts. Aber wenn man als CSU-Boss | |
und bayerischer Ministerpräsident die Chance hat, einfach mal einen | |
rauszuhauen, dann lässt man sich die von irgend so einem Faktenfirlefanz | |
doch nicht nehmen! Hier ich, der starke Law-&-Order-Horst – da sie, die | |
schwache Angela. Botschaft angekommen? | |
## Es ist eine Nichtaussage | |
In diesem Sommer hat Andreas Voßkuhle, der Präsident des | |
Bundesverfassungsgerichts, diese Äußerung Seehofers [2][als „inakzeptable | |
Rhetorik“ gebrandmarkt]. „Sie möchte Assoziationen zum NS-Unrechtsstaat | |
wecken, die völlig abwegig sind.“ Das ließ Seehofer natürlich nicht so | |
stehen. Er kofferte zurück: Voßkuhle sollte „nicht Sprachpolizei sein“. | |
Hier ich, der Ich-brech-die-Herzen-der-stolzesten-Tabus-Horst, da er, der | |
Richter-bleib-mal-lieber-bei-deinem-Hämmerchen-Andreas. Alles klar? | |
Seehofer geriert sich gern als der Mann, der sich nicht den Mund verbieten | |
lässt – auch wenn es dem Political-Correctness-Deutschland nicht passe. Nur | |
weil die AfD ein Thema besetzt hat, heißt das doch noch lange nicht, dass | |
die CSU da nicht noch einen draufsetzen könnte. Die Regierung aufs Spiel | |
setzen wegen ein paar Grenzkontrollen an der bayerisch-österreichischen | |
Grenze? Für Seehofer kein Problem. Ein bisschen Kuscheln mit Viktor Orbán? | |
Immer. Die Botschaft: Ich bin der Maverick des etablierten Parteiensystems. | |
Ich hau raus, was die Leute bewegt. Klare Worte. Klare Botschaften. | |
Und jetzt das. Seehofers Statement erinnert an Donald Trumps Ausführungen | |
nach den Protesten der extremen Rechten in Charlottesville vor gut einem | |
Jahr, die in der Tötung einer Gegendemonstrantin gipfelten. Trump sagte | |
damals, dass er „anständige Leute auf beiden Seiten“ gesehen habe. Er | |
relativierte mehr, als dass er verurteilte. | |
Seehofer ist dem pöbelnden, hetzenden Leuten tatsächlich entgegenkommen, | |
hat ihnen zugesprochen, dass ihre Betroffenheit verständlich sei, und hat | |
dann den Allgemeinplatz hinterhergeschoben, dass das Gewalt aber natürlich | |
nicht rechtfertige. | |
Es ist eine Nichtaussage. Denn was rechtfertigt schon Gewalt oder gar | |
gewalttätige Ausschreitungen? Genau. | |
29 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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