| # taz.de -- Deutschland auf der Biennale von Venedig: „Wieviel Mensch ist in … | |
| > Franciska Zólyom ist die Kuratorin des Deutschen Pavillons der | |
| > Venedig-Biennale. Ein Gespräch über Fragen des Zugangs und Sprache. | |
| Bild: Natascha Süder Happelmann, Fuel to the Fire, 2016, Installationsansicht … | |
| taz: Frau Zólyom, Ende Oktober gaben Sie bekannt, für den Deutschen | |
| Pavillon mit Natascha Süder Happelmann zusammenzuarbeiten. Hinter dem Namen | |
| verbirgt sich die Künstlerin Natascha Sadr Haghighian, die installativ und | |
| performativ sowie mit Text und Klang arbeitet. Wer ist Natascha Süder | |
| Happelmann? | |
| Franciska Zólyom: Natascha Süder Happelmann ist eine Anpassung an die | |
| spezifische Aufgabe des Deutschen Pavillons. Das ist eine bewusste und auch | |
| lustvolle Wahl, um zu schauen was passiert, wenn man eine leichte | |
| Verschiebung vornimmt. Die Frage ist grundsätzlich: Wie bezeichnen wir | |
| Dinge? Wie benennen wir Phänomene? Wie schaffen oder verschleiern diese | |
| Bezeichnungen Wirklichkeiten? Was transportieren Namen? Im Deutschen sagt | |
| man „ich heiße“ oder „mein Name ist“. Im Russischen heißt es sinngem�… | |
| „man nennt mich“. Es gibt Menschen, die sich selbst Namen geben oder ihren | |
| Namen im Laufe der Zeit anpassen, weil sie merken, ihr Name repräsentiert | |
| nicht das, was sie sind oder was sie tun. Es gibt Rufnamen, Codenamen, | |
| Spitznamen. Die Namensanpassung der Künstler*in greift auch ein Phänomen | |
| auf, das jeder kennt: Man macht die Post auf und liest seinen Namen in | |
| abgewandelter Form. Viele Menschen legen sich regelrecht Sammlungen der | |
| Falschschreibungen an. Auch durch die elektronische Datenverarbeitung kommt | |
| es immer wieder zu falschen Zuordnungen, etwa des Geschlechts. Im | |
| Kunstbetrieb wiederum steht der Name für eine Marke. Und je ausgeprägter | |
| diese Marke ist, desto wichtiger ist der Name. | |
| Natascha Sadr Haghighian ist hingegen wenig eingängig. Jeder | |
| Marketingexperte schlägt da die Hände über dem Kopf zusammen. | |
| Die Künstler*in hat 2004 bioswop.net initiiert, eine Tauschbörse, auf der | |
| sie Biografien von Künstlerkollegen und -kolleginnen sammelt und die | |
| Möglichkeit schafft, sich eine Biographie zu leihen. Neben der Engführung | |
| zwischen Biografie und künstlerischem Werk gibt es mittlerweile eine Unzahl | |
| von Rankings, die von Algorithmen generiert werden. Da zählt: Wer hat wo | |
| ausgestellt? Wer ist in welchen Sammlungen? Auch Alter oder Herkunft sind | |
| relevant, wobei sie je nach Kontext zu- oder abträglich sein können. Das | |
| war der Hintergrund, bioswop.net zu gründen und zu fragen, ob eine andere | |
| Erzählung möglich ist und wie man näher an die Fragen herankommt, an denen | |
| Künstlerinnen und Künstler arbeiten. Als ich die Künstler*in zum ersten Mal | |
| gegoogelt habe, kam heraus, dass sie wie ich in Budapest geboren sei. Erst | |
| später habe ich verstanden, dass der Standort meines Computers für diese | |
| Biografie verantwortlich war. | |
| Bei Wikipedia sind derzeit sechs verschiedene potentielle Geburtsorte | |
| vermerkt: Teheran, Budapest, München, Kassel, London und Sydney. Auch in | |
| der Pressemappe zum Deutschen Pavillon ist ihre Biografie mit Verweis auf | |
| diese Plattform kurz gehalten, zudem bittet sie die Presse explizit, die | |
| Namensänderung im Rahmen der Berichterstattung zu respektieren. Es wird | |
| interessant, inwieweit diese Kunstfigur wirklich ein Eigenleben entwickelt, | |
| auch medial. | |
| 2014 gab es die 'Solo Show’ von Robbie Williams. Man dachte: ‚Sieh an, | |
| Robbie Williams stellt aus.‘ Die Künstler*in hat dafür mit Uwe Schwarzer, | |
| dem Geschäftsführer der Berliner Firma ‚mixed media‘ zusammengearbeitet. | |
| Letztere produziert Kunstwerke für internationale Künstlerinnen und | |
| Künstler, wird aber nicht oder nur selten genannt, obwohl sie mitunter auch | |
| an der Ausformulierung der Konzepte beteiligt ist. Auch hier ging es schon | |
| darum, das individuelle Künstlersubjekt, den Namen, den wir lesen und die | |
| Autorschaft zu hinterfragen. | |
| Wie wichtig war Ihnen, mit einer Künstlerin zusammenzuarbeiten? | |
| Das war kein Auswahlkriterium. Das darf auch keins sein. Wichtig ist zu | |
| betonen, dass es nicht wichtig ist, ob sie eine Frau ist. Mit der | |
| Kennzeichnung Künstler*in, die Natascha selbst vornimmt, wird deutlich | |
| gemacht, dass die Zuschreibungen, die mit der Bezeichnung Künstlerin und | |
| Künstler einhergehen, hinfällig sind. Spannender ist, diese quer zu denken | |
| oder sich gewissermaßen dazwischen zu bewegen. | |
| Haben Sie vor dem Hintergrund der Einführung der Geschlechtsbezeichnung | |
| diskutiert, das Geschlecht aus dem Namen auszuklammern, also auf N. Süder | |
| Happelmann zurückzugreifen? | |
| Darüber haben wir nicht gesprochen. In anderen Zusammenhängen hat sie aber | |
| etwa schon ‚Nataschkan‘ als Namen angenommen. Es geht ja auch nicht um die | |
| Verheimlichung ihrer Identität, sondern um eine Anpassung. | |
| Die Namensverschiebung hält dem nach der Sicherheit großer Namen strebenden | |
| Kunstbetrieb den Spiegel vor und thematisiert zugleich die Wichtigkeit von | |
| Namen. Die Mandys und Kevins dieser Welt haben es nachweislich schwerer, | |
| Karriere zu machen. Gleiches gilt für nicht deutsch klingende Namen. Das | |
| diese Verbindung von kunstsystemimmanenten Fragen und Alltagsrealität schon | |
| im ersten künstlerischen Akt für den Pavillon gelingt, lässt mich hoffen. | |
| Diese Hoffnung will ich gern nähren. Nicht nur Personen, auch Dinge, | |
| Institutionen und Verwaltungsvorgänge erhalten einen Namen. Wie kann man | |
| Menschen für die Wirkmacht von Sprache sensibilisieren oder das eigene | |
| Sprechen so anpassen, dass es offene Denk- und Handlungsräume schafft? | |
| Welche Stimmen dringen überhaupt in den öffentlichen Diskurs? Es geht auch | |
| darum, Vorstellungen von „Gemeinschaft“ zu dynamisieren, einen Raum | |
| aufzumachen, zwischen dem Individuellen, was klar abgrenzbar ist, was | |
| einzigartig und in seiner Form geschlossen ist, und dem, was sich über | |
| Vielförmigkeit, Affinitäten, Nähen, gemeinsame Interessen, über das, was | |
| wir teilen können, an Erfahrungen, an Gedanken, an Verständnissen für die | |
| Welt, in der wir leben, transportiert. Helene Duldung, die Sprecherin von | |
| Natascha Süder Happelmann, hat das bei der ersten Pressekonferenz | |
| ausgeführt: Namen dienen der Identifikation, der eindeutigen Zuordnung von | |
| jemandem. Sie tun so, als ob Identität etwas Permanentes und in ihrer Form | |
| Festes und Unveränderbares wäre, wohingegen wir alle wissen, dass wir in | |
| unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Identitäten annehmen. Die | |
| Künstler*in übt institutionelle Kritik, aber nicht, indem sie etwas | |
| bloßstellt, sondern indem sie Werkzeuge schafft, die bestimmte Mechanismen | |
| aushebeln können. Bei der Pressekonferenz Ende Oktober trat sie ja mit | |
| einer Steinmaske auf. Das hat einen unmittelbaren Effekt: Ich verhalte mich | |
| anders, wenn ich vor einem Stein stehe. | |
| Die gesamte Pressekonferenz war wie der Name eine leichte Verschiebung, | |
| eine Art Performance. Statt der Künstlerin sprach eine Sprecherin über sie, | |
| die auch die Fragen der anwesenden Journalisten beantwortet hat. Warum? | |
| Es gibt bei so einem öffentlichen Auftritt verschiedene Rollen. Oft spricht | |
| die Kuratorin in Anwesenheit der Künstlerin über die Künstlerin. Auch von | |
| Ausstellungseröffnungen kennt man das, dieses öffentlich beschrieben werden | |
| oder öffentlich anerkannt oder gewertet werden. Das sind sehr komische | |
| tradierte Formen, mit denen ich mich nicht identifizieren kann. Was | |
| passiert dann? Wird die künstlerische Position weniger wichtig, die | |
| kuratorische wichtiger oder andersrum? Die Künstler*in und ich sprechen | |
| viel darüber, wie man möglichst präzise und dennoch bewegliche | |
| Ausdrucksformen finden und sprachliche Verschiebungen vornehmen kann, um | |
| Mehrdeutigkeiten und Widersprüche als konstruktive Mittel zu denken. | |
| Im Januar wurde bekannt, dass Sie den Pavillon kuratieren werden. Wie hat | |
| sich der Arbeitsprozess bisher gestaltet? | |
| Es gibt eine Vielzahl von hochkarätigen Künstlerinnen und Künstlern. Ich | |
| habe anfangs eine ganz lange Liste geschrieben. Aber mir war schnell klar, | |
| dass ich mit Natascha arbeiten möchte. Obwohl wir noch nie zusammen | |
| gearbeitet haben und uns vor den Gesprächen, die wir im Frühjahr begonnen | |
| haben, nicht kannten, „begleitet“ sie mich schon viele Jahre. Ich habe | |
| immer wieder etwas von ihr gesehen oder gelesen. Dabei stand jedoch nie die | |
| Person im Vordergrund. Das, was sie tut, arbeitete mit mir. Ich habe ihre | |
| Beiträge zur Documenta 13 und auch 14 gesehen und mich mit ihnen | |
| beschäftigt, ohne daran zu denken, wer die Künstler*in ist. | |
| Bei der Documenta 14 war sie an der Gründung der Society of Friends of | |
| Halit beteiligt, die sich dem Tod des neunten Opfers des NSU widmete. Bei | |
| der Documenta 13 schuf sie einen Trampelpfad, der verdeutlichte, dass die | |
| städtebauliche Terrasse, von der man einen Blick in die Karlsaue hat, aus | |
| Kriegstrümmern aufgeschüttet wurde. | |
| Sie hat das Material gemeinsam mit Historikern und Botanikern u.a. | |
| untersucht und gefragt, welche Geschichten der Vergangenheit, aber | |
| natürlich auch der Gegenwart man daran ablesen kann. Kassel und Umgebung | |
| sind ja nach wie vor Zentren der deutschen Waffenproduktion. Die Documenta | |
| wiederum ist nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden, um | |
| gesellschaftliche Rehabilitation voranzutreiben, gesellschaftlichen | |
| Wiederaufbau mittels der Kunst zu befördern. | |
| Die Sprecherin verkündete bei der Pressekonferenz, die Künstlerin | |
| thematisiere offene Geheimnisse. Ihre Klangskulptur „pssst Leopard 2A7+“ | |
| besteht etwa aus Europaletten und Legoplatten in der Größe des Panzers | |
| Leopard, der in Deutschland produziert wird. Zu den Geräuschen, die aus | |
| Kopfhöreren zu hören sind, gehören Feldaufnahmen, Echos von Orten, die er | |
| durchquerte. | |
| Panzer, die in Deutschland hergestellt werden, heißen auch ‚Puma‘, ‚Bibe… | |
| ‚Dachs‘, ‚Dingo‘. Da sind wir wieder bei Namen. Warum heißt ein Panzer | |
| Leopard? Das ist eine Maskierung. Kampfhandlungen werden naturalisiert. Die | |
| guten Eigenschaften des Leoparden – wendig, schnell, schön – täuschen | |
| darüber hinweg, dass es ein Panzer ist. Der Leopard 2A7+ wird nach Angaben | |
| des Herstellers zur „Befriedung von Konflikten im urbanen Raum“ produziert. | |
| Die türkische Regierung setzt den Leoparden gegen Kurden ein. Wenn man | |
| diese Widersprüche durch die Kunst erkennt, wird der Export des Panzers | |
| zwar nicht eingestellt, aber unser Bewusstsein dafür geschärft, dass wir | |
| diese Widersprüche zulassen. | |
| Angesicht ihrer bisherigen Arbeiten und der derzeitigen Lage erwarten nun | |
| viele ein explizit politisches Statement. Zudem jährt sich im kommenden | |
| Jahr der Mauerfall zum 30. Mal. Wie gehen Sie mit diesen Erwartungen um? | |
| Als sich der Mauerfall zum 25. Mal jährte wurde ich um ein Statement | |
| gebeten. Ich konnte nur antworten, dass wir vielmehr über die um das | |
| Vielfache gestiegene Zahl an Mauern sprechen müssten, die seit 1989 | |
| weltweit errichtet worden sind. Neben den gebauten Mauern gibt es auch | |
| viele mentale und emotionale Mauern oder Abgrenzungen, die sich auf | |
| unterschiedlichen Ebenen über Recht und Zugang manifestieren. Sie | |
| unterscheiden und trennen Personen, Orte, Dinge voneinander und schaffen | |
| Ungleichheit. | |
| Nach der Pressekonferenz Ende Oktober wurde ein vierminütiges Video | |
| veröffentlicht. Hier sieht man Natascha Süder Happelmann mit der Steinmaske | |
| durch eine offenbar ländlich geprägte Region laufen, an bestimmten Stellen | |
| stehen bleibend, Situationen betrachtend. Der Abspann nennt die Drehorte: | |
| Donauwörth, Manching, Bamberg und Ellwangen. Es sind Standorte sogenannter | |
| „Ankerzentren“ in Bayern und Baden-Württemberg. Ein erster Anhaltspunkt f�… | |
| die thematische Ausrichtung des Pavillons? | |
| Es ist nicht die erste und sicher nicht die letzte Biennale, wo Fragen der | |
| Zugehörigkeit thematisiert werden. Wir unterschätzen, welche Konsequenzen | |
| diese Fragen für uns alle haben. Der Stein hat jetzt eine Reise begonnen | |
| und schaut sich in Deutschland bestimmte Situationen an, die Fragen | |
| aufwerfen, die über Deutschland hinaus wichtig sind: Für wen gelten | |
| Menschenrechte? Wer hat das Recht auf Selbstbestimmung? Wer genießt | |
| Bewegungsfreiheit? Ich musste bei dem Video an die Menschen denken, die | |
| sich zu Fuß auf den Weg aus ihren Ländern Richtung Europa gemacht haben. | |
| Abschottung hilft vor dem Hintergrund von globalen ökologischen und | |
| sozialen Fragen der Gegenwart wohl kaum. Die öffentlichen Diskurse in | |
| Deutschland haben in den letzten Jahren gezeigt, dass die Frage, wer Zugang | |
| zu was und in welcher Form hat, die ganze Gesellschaft durchzieht. Es gibt | |
| viele Barrieren und Ausschlussmechanismen, die entlang von sozialer | |
| Zugehörigkeit, von finanziellem Vermögen, von Bildung verlaufen. Diesen | |
| Fragen mit einer poetischen Stimme zu begegnen halte ich für eine sehr gute | |
| Möglichkeit. Denn das Nachdenken ist viel grundlegender, als dass man da | |
| jetzt einen einzelnen Aspekt oder eine konkrete Fragestellung herausgreifen | |
| könnte. | |
| Vor diesem Hintergrund kann man den Stein auch als Sinnbild für eine Last | |
| lesen. Zugleich besteht er aus über Jahrtausende gewordenem Material. | |
| Denkmäler und Grabsteine werden aus ihm geformt. Ein Stein auf dem Kopf | |
| macht außerdem bewegungsunfähig. Versteinerte Köpfe sind unflexibel. | |
| Man kann auch fragen: Wieviel Mensch ist in einem Stein? Es gibt sehr | |
| anregende Denkansätze, wonach alles, was wir konsumieren, aufnehmen, was | |
| wir ausscheiden, was wir äußern, was wir an Gefühlen in die Welt setzen, | |
| durch unsere Handlungen, durch unser Verhalten zu anderen, bleibt. Vieles, | |
| was wir wissen, haben andere für uns verstanden. Wenn es mich in der Form | |
| nicht mehr gibt, dann vielleicht irgendwo als Partikel in einem Stein oder | |
| in einer Pflanze. Menschliche Existenz wird oft als Zeitspanne zwischen | |
| Geburt und Tod begriffen. Wenn man sich bewusst macht, wie wenig das | |
| stimmt, sind die Konsequenzen grundlegend. Ich finde das unheimlich schön | |
| und befreiend. Damit geht eine umfassende Verantwortung einher, die das | |
| Sich-in-Bezug-Setzen zu verschiedensten Daseinsformen betrifft. Der Stein | |
| ist also auch ein Versuch, diese Verbindungen zu denken und auszuagieren. | |
| Was sind die nächsten Schritte bis zur Eröffnung des Pavillons im Mai? | |
| Wir sind mitten in der Produktion. Ende Februar ist eine zweite | |
| Pressekonferenz in Leipzig geplant. Natascha Süder Happelmann ist wichtig, | |
| dass alle Oberflächen, auf denen ihr Biennale-Beitrag in Erscheinung tritt, | |
| Teil der künstlerischen Realisierung sind. Diese hat mit der ersten | |
| Pressekonferenz begonnen und auch der Film auf der Webseite ist eine | |
| Einladung, auf diesen Weg mitzukommen. | |
| 25 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Alberti | |
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