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# taz.de -- Genetiker über Herkunftsnachweise: „Eindeutige Zuordnung nicht m…
> Gentests, um etwas über die Vorfahren und die eigene Herkunft zu
> erfahren, sind derzeit in Mode. Alles Unsinn, sagt der Genetiker Mark
> Stoneking aus Leipzig.
Bild: Bei der Spurensuche im Genom können auch Hinweise auf Neandertaler gefun…
taz: Herr Stoneking, haben Sie eine DNA-Analyse machen lassen, um die
Herkunft Ihrer Vorfahren zu bestimmen?
Mark Stoneking: Nein.
Wollen Sie eine machen?
Nein.
Warum nicht?
Weil das vor allem der Unterhaltung dient. Eine Auswertung zu haben, wo
meine Vorfahren möglicherweise herkommen oder auch nicht herkommen, dass
hat für mich keine Bedeutung. Ich weiß, dass viele Leute diesen Test zur
Herkunft machen, weil sie hoffen, dass es ihre Identität verändert, ihren
Blick auf sie selbst. Ich glaube, dass meine Persönlichkeit auf den
Erfahrungen beruht, die ich gemacht habe und etwas über meine Vorfahren von
vor tausend Jahren zu wissen, ist nichts an dem ich wirklich interessiert
bin.
Es ist doch schön, sich seine Vorfahren möglicherweise als kaukasische
Prinzessin vorzustellen.
Okay, es beflügelt die Fantasie, es ist ein Spiel. Und wir Menschen sind
neugierig, wollen wissen wo wir herkommen.
Wie funktioniert so ein Test?
Es geht folgendermaßen: Man schaut nach den Vorfahren im Genom eines
Menschen und sucht nach der passenden Zuordnung bei der aktuellen
Bevölkerung. Dazu bedarf es Daten, die in Datenbanken gespeichert sind.
Diese Daten sind nicht realistisch, sondern modellbasiert. Man hat eine
gewisse Anzahl an Referenz-DNA und die Zuordnung der Herkunft erfolgt dann
nach dem Prinzip: Wir ordnen so zu, wie es am wahrscheinlichsten ist. Die
Prozentangaben sind nur eine ungefähre Einschätzung und sollten nicht zu
ernst genommen werden.
Der Werbeclip eines Reiseanbieters stellt Menschen vor, denen das Ergebnis
ihrer DNA-Analyse präsentiert wird. Sie erfahren beispielsweise ob sie
deutsche, afrikanische oder italienische Vorfahren haben. Dann werden sie
geschäftstüchtig befragt, ob sie diese Regionen ihrer Vorfahren gerne
bereisen wollten. Kann man tatsächliche nationale Zugehörigkeit aus den
Tests lesen?
Nein, man kann die Herkunft nicht so genau festlegen. Was man kann, ist
großflächige geografische Räume festzulegen, aber so viel Prozent britisch,
deutsch oder irisch, das sind Märchen. Das ist nicht korrekt. Diese
Anbieter suchen nach der wahrscheinlichsten Zuordnung in den vorhandenen
Datenbanken. Es wird dann aber nicht gesagt, dass die Zuordnung lückenhaft
ist, sondern man sagt, dies sei die beste Zuordnung. Wir Wissenschaftler
würden allenfalls sagen, dass jemand etwa aus Nordwesteuropa stammt. Aber
schon, wenn wir in andere Regionen schauen, wird die Zuordnung schwierig,
weil wir dort viel zu wenig Datenmaterial haben.
Afrika zum Beispiel?
Ja. So behaupten diverse DNA-Analyse-Anbieter in den USA, dass sie den Ort
der afrikanischen Vorfahren, ja sogar das Dorf bestimmen könnten. Das ist
Legende. Man kann Vorfahren aus Westafrika feststellen, aber niemals ein
Dorf. Und die Datenbasen sind lückenhaft. Zum Beispiel wurde vor ein paar
Jahren Westeuropäern, die bei amerikanischen Anbietern den Test machen
ließen, Nativ-american-Vorfahren bescheinigt. Das war kaum möglich. Wie
sich dann herausstellte, waren es Vorfahren aus Zentralasien, aber deren
Informationen standen diesen amerikanischen Datenbanken nicht zur
Verfügung.
Die amerikanische Senatorin Elizabeth Warren aus Oklahoma ließ eine
DNA-Analyse machen. Und zeigte sich stolz auf ihre „nativ american“
Vorfahren, die sie möglicherweise auch als Wähler gewinnen will.
Ja. Und Trump nannte sie prompt Pocahontas.
Kann sich Elizabeth Warren nun als Nachkomme der Cherokee bezeichnen?
Bei Elizabeth Warren wurde ein Anteil von nicht Übereinstimmung mit dem
europäischen Erbgut festgestellt, der sich dem Erbgut der „nativ american“
zuordnen lässt. Daraus ließe sich ableiten, dass sie in ihrem Stammbaum
Nativ-american-Vorfahren hat. Aber man kann die genetische Information
nicht einem bestimmten Indianerstamm zuordnen.
Was hat es auf sich mit den Unterschieden?
Zuerst: Zu 99,9 Prozent sind wir Menschen in unserem Erbgut identisch. Wir
beziehen uns also auf 0,1 Prozent unserer Erbinformation. Da gibt es in der
Tat einen Unterschied zwischen der geografischen Herkunft. Diese Tatsache
hilft uns, die Geschichte der menschlichen Bevölkerung, ihrer Mobilität zu
verstehen.
Und diese 0,1 Prozent im Erbgut sind chaotisch und durcheinander?
Ja, aber es ist trotzdem mächtig und hilfreich, um Bevölkerungsgeschichte
zu klären. Natürlich kann man diagnostizieren, dass jemand
nordwesteuropäische Vorfahren hat. Es ist wichtig, um die Wanderung zu
verstehen, die Geschichte der Menschheit. Wie alles geschah. Es gibt eine
Wahrheit darin, aber nicht so, wie es in diesen Tests dargestellt und
verkauft wird.
Hat das etwas mit Rasse zu tun?
Wir sprechen in der Anthropologie nicht von Rasse, das ist ein schwieriges
Konstrukt. Dann müsste es in der Bevölkerung bestimmte Unterschiede geben,
die ganz klar bestimmt und abgegrenzt werden können. Aber wenn wir schauen,
wie die genetischen Unterschiede der Menschen auf der ganzen Welt sich
darstellen, dann gibt es keine klaren Zuordnungen, sondern nur graduelle
Unterschiede. Zwar können Menschen aus einer Region mehr Ähnlichkeiten
aufweisen, aber gleichzeitig auch Unterschiede, die sie mit Menschen aus
einer anderen Region teilen. Biologisch gibt es keine eindeutige Zuordnung.
Deshalb ist Rasse nicht hilfreich, um die Menschen zu verorten. Es ist eine
soziales Konstrukt und keine biologische Einordnung. Wir sprechen in der
Anthropologie von Bevölkerung und nicht von Rassen. Man kann Unterschiede
identifizieren, aber die sind nie eindeutig. Es gibt genetische
Unterschiede, aber diese sind immer fließend.
Es gibt also keine biologische Reinheit.
Nein. Unsere ganz Menschheitsgeschichte haben wir uns vermischt. Die
Einteilung der Spezies Mensch in Rassen oder Unterarten ist aus
wissenschaftlicher Sicht heute obsolet. Die sichtbaren Unterschiede aus
verschiedenen Kontinenten führen nicht zu objektiv abgrenzbaren Gruppen, da
die Übergänge fließend sind. Wir leben unter verschiedenen klimatischen
Bedingung, wir ernähren uns anders, wir sind anderen Parasiten ausgesetzt,
anderen Krankheiten. All das produziert die Unterschiede, die wir sehen
unter den Bevölkerungen. Hinzu kommen die zufälligen Veränderungen, der
genetische Drift. Aber unsere Vorfahren sind immer gewandert, haben sich
immer vermischt. Selbst in den abgelegensten Stämmen gibt es genetische
Variationen und unterschiedliche Einflüsse.
Manche preisen die Tests als Argument gegen Fremdenfeindlichkeit und
Ausgrenzung an.
Ja, aber man könnte ja auch einfach auf die Übereinstimmung aller Menschen
mit 99,9 Prozent hinweisen, statt die Unterschiede zu betonen zu suchen.
Man kann die Dinge immer interpretieren wie man will. Zum Beispiel beruft
sich die „white supremacy“-Bewegung in den USA (weiße Überlegenheit, Anm.
der Red.), nachdem ihre Vorfahren nun nicht wirklich rein sind, inzwischen
auf den genetischen Einfluss des Neandertalers im Erbgut, der sie angeblich
überlegen macht. Diesen Einfluss haben Afrikaner nicht. Man könnte nun
genau umgekehrt sagen, deshalb sind die Afrikaner die wahren Menschen.
25 Nov 2018
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
Gentest
Schwerpunkt Rassismus
Evolution
Herkunft
Anthropologie
Literatur
Paläontologie
Datenschutz
DNA
Big Data
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