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# taz.de -- Datenschutz bei Gentests: Gefährliches Wissen
> Firmen wie „23andMe“ verkaufen Tests, mit denen man seine Gene auswerten
> lassen kann. Wie die Daten genutzt werden, verschleiern sie.
Bild: Der Berliner Lukas Hartmann hat 2010 seine Gene auswerten lassen. Würde …
Auf YouTube werden die Videos millionenfach geklickt: Emotional
aufbereitete Geschichten von Menschen, die über einen Gentests die Wahrheit
über sich erfahren. Da sind zum Beispiel die nach der Geburt getrennten und
zur Adoption freigegebenen Geschwister [1][Mandy und Jason], die sich nach
über 40 Jahren wiederfinden. Oder eine Homestory über die [2][junge Mutter
Ann], die durch einen Test von ihrem erhöhten Brustkrebsrisiko erfuhr und
nun regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung geht.
Die Videos sollen wirken wie Dokumentationen. Doch sie sind Eigenwerbung
von 23andMe, eines der größten von zahlreichen Unternehmen wie MyHeritage
oder Ancestry, die solche Gentests zum nach Hause bestellen anbieten. Ein
Wangenabstrich oder einige Male in ein Röhrchen spucken genügen, um genaue
Genprofile erstellen zu lassen und laut den Unternehmen Fragen beantworten
zu können wie „Woher stamme ich ab?“ und „Welche unentdeckten Krankheiten
schlummern in mir?“.
Die Anbieter werben damit, die genetische Identität ihrer KundInnen auf das
Prozent genau berechnen zu können, und haben damit bisher insgesamt 23
Millionen Tests weltweit verkauft. Dabei sind es vor allem die Unternehmen
wie 23andMe, die von diesem Wissen in Form von DNA-Datenprofilen
profitieren, um beispielsweise damit zu forschen oder an andere
Forschungseinrichtungen weiterzuverkaufen. Darüber informiert werden die
KundInnen beiläufig im Kleingedruckten in den Verkaufsverträgen.
„Wer liest sich schon das ganze Kleingedruckte durch“, sagt Lukas Hartmann,
der 2010 einen Abstammungs- und Gesundheitstest bei 23andMe machte. Der
34-jährige arbeitet in Berlin als Programmierer und Start-up-Gründer und
bereut heute, dem Gentestanbieter so bereitwillig seine DNA übermittelt zu
haben.
## Ein DNA-Kit: 100 Euro
Datenschutz sei vor ein paar Jahren noch kein so großes Thema gewesen und
die Genanalyse „klang total futuristisch, das wollte ich einfach unbedingt
ausprobieren“. Für 100 Euro bestellte er sich damals das DNA-Kit nach
Hause. Seitdem hat sich seine Einstellung zur freiwilligen Weitergabe
seiner Daten verändert.
Als Programmierer für verschiedene Internetdienste bekommt er regelmäßig
mit, wie Unternehmen unvorsichtig mit den Daten von KundInnen umgehen und
auch Datenlecks vertuschen. Die Wissensmacht der Gentestanbieter hält
Hartmann deshalb für gefährlich: „Die wissen alles über meine Gene und
können dieses Wissen auch weitergeben.“
Im Falle von 23andMe gehört Datenweitergabe sogar zum Unternehmenskonzept.
Mit den DNA-Proben der KundInnen sollen Krankheiten wie Alzheimer oder
Parkinson erforscht und soll die Medizinbranche revolutioniert werden.
Dafür arbeitete das Unternehmen mit zahlreichen Pharmakonzernen wie Pfizer
oder P&G Beauty zusammen. Im letzten Jahr erhielt 23andMe laut eigenen
Angaben 300 Millionen Dollar vom britischen Arzneimittelhersteller
GlaxoSmithKline (GSK) für die Bereitstellung von insgesamt 5 Millionen
Genprofilen.
Über diesen Datenverkauf belehrt wurde Hartmann bis heute nicht. Im
Gegenteil: 23andMe wollte ihn dazu ermutigen, „sein Profil zu
vervollständigen“ und noch weitere Informationen über sich preiszugeben,
die nicht durch seinen Speichel ermittelt werden konnten. In Studien sollte
er unter anderem angeben, welche Lebensmittel für ihn bitter schmecken oder
ob er nachts gut schläft. Dadurch, so Hartmann, versuche das Unternehmen
ein immer genaueres Profil über ihn zu erstellen.
## Undurchsichtige Verfahren
Wie schützt 23andMe diese sensiblen Informationen der KundInnen, wenn
gleichzeitig mit dem Verkauf Geld verdient wird? Auf seiner Internetseite
erklärt das Unternehmen, sämtliche Daten würden „so zwischen den KundInnen
zusammengefasst, dass die Chance auf Offenlegung persönlicher Informationen
minimiert wird“. Im Vertrag würden die KäuferInnen überdies auf die
Forschung zu Erbkrankheiten hingewiesen und könnten dieser im Zweifelsfall
widersprechen, teilte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage mit.
„Das ist einfach gelogen, die Verfügungsmacht ist durch das Kleingedruckte
massiv eingeschränkt“, sagt hingegen der Jurist Thilo Weichert. Von 2004
bis 2015 arbeitete Weichert als Datenschutzbeauftragter des Landes
Schleswig-Holsteins. Er kritisiert das undurchsichtige Vorgehen von
Gentestanbietern wie 23andMe, da keine der Firmen offenlege, für welche
Forschungsprojekte genau sie die Gendaten heranziehen: „Als Kunde habe ich
keine Ahnung, geschweige denn die Kontrolle darüber, was die mit den Daten
machen.“
Kritisch sieht Weichert auch die Nähe von 23andMe zum Google-Konzern. Der
Hintergrund: Als 23andMe 2006 von Anne Wojcicki gegründet wird, ist Google
Ventrues, die Kapitalgesellschaft von Google, einer der Hauptinvestoren.
Insgesamt 3,6 Millionen Dollar werden an das Start-up gezahlt.
Genannt wurde die Summe von Wojcickis damaligem Ehemann Sergey Brin, dem
Mitbegründer von Google. Die beiden ließen sich 2015 scheiden, doch änderte
das nichts an der ökonomischen und personellen Verbindung zwischen den
Unternehmen. So ist die Schwester von Anne Wojcicki, Susan Wojcicki, die
Geschäftsführerin des Google-Videodienstes YouTube. Im Vorstand des
Gentestanbieters sitzt außerdem seit 2017 Neal Mohan, oberster
Werbestratege von YouTube und bis 2015 auch im Vorstand von Google tätig.
## Verwicklungen mit Google
„Es würde mich nicht wundern, wenn die Gendaten von 23andMe mit den
Internetdaten von Google kombiniert würden“, sagt Thilo Weichert. Dadurch
könnte Google noch genauere NutzerInnenprofile erstellen, als das nur mit
den Webdaten möglich ist, und auf die DNA zugeschnittene Werbung schalten.
Wer erblich bedingten Haarausfall hat, müsste demnach zukünftig nicht mehr
nach Haarwachstums-Shampoos suchen, um solche Produkte vorgeschlagen zu
bekommen.
Auf jeden Fall vergleicht sich 23andMe bereits mit dem
Suchmaschinengiganten. Auf lange Sicht sei es nicht das Ziel von 23andMe,
Geld mit den DNA-Kits zu verdienen, offenbarte Vorstandsmitglied Patrick
Chung im Oktober 2013 in den amerikanischen Medien. Stattdessen wolle das
Unternehmen mit den gesammelten Daten „das Google der personalisierten
Gesundheitsvorsorge werden“. Dafür sei es essenziell, so viele von den
Tests wie möglich zu verkaufen.
Um ihr Produkt zu bewerben, investiert 23andMe deshalb auch jede Menge
Geld, 21 Millionen Dollar Werbebudget fielen allein 2017 an. Dabei setzte
man vor allem auf die Verbindungen zu YouTube. 2016 begann das Start-up,
seine Produkte auf der Videoplattform zu bewerben; sowohl mit
Eigenproduktionen, aber auch mit gesponserten Produktplatzierungen bei
beliebten InfluencerInnen, die Geld dafür erhalten, ihre Testergebnisse vor
der Kamera zu präsentieren. Der Kanal Buzzfeed mit 18 Millionen
AbonnentInnen widmete der Marke sogar [3][eine eigene Werbeserie mit sieben
Folgen], in der MitarbeiterInnen die Ergebnisse ihres 23andMe-Tests vor der
Kamera besprechen.
Die Strategie geht auf: Vier Millionen KundInnen hat das Unternehmen allein
in den letzten drei Jahren hinzugewonnen. Andere Gentestanbieter werben
deshalb ebenfalls verstärkt auf YouTube, nennen sich Ancestry, MyHeritage
oder tellmeGen. Sie bieten keine Gesundheitstests an, sondern
ausschließlich Ahnenforschung – auch, weil seit Ende 2013 in vielen
europäischen Ländern, darunter Deutschland, keine genetischen
Gesundheitstest mehr durch Privatunternehmen verkauft werden dürfen.
Ahnentests hingegen sind weiterhin erlaubt.
## Gentests mittlerweile verboten
Die Anbieter wie Ancestry und MyHeritage stehen ebenfalls in der Kritik,
ihre KundInnen nicht ausreichend über die Datenverarbeitung zu informieren.
Immerhin wandert auch hier die DNA durch zahlreiche Hände; von den
Paketzulieferern zu den meist extern beauftragten Laboren, um dann
anschließend auf diversen Computerservern gespeichert zu werden.
Als reinen Ahnentest, ohne das Zusatzangebot der Gesundheitsanalyse hätte
Lukas Hartmann den Test bei 23andMe damals nicht gemacht – trotzdem ist er
froh, dass der mittlerweile in Deutschland verboten ist. Die Ergebnisse der
Ahnenforschung hätten ihm keinen Erkenntnisgewinn gebracht, außer einer
„Darstellung, zu wie viel Prozent ich dieselben Gene wie Neandertaler
habe“.
Wer sich wirklich für die eigene Herkunft, Verwandtschaft oder Gesundheit
interessiert, der solle einen Test unter professioneller medizinischer
Betreuung durchführen lassen, meint Hartmann, anstatt Privatunternehmen die
Macht über die eigenen Daten zuzugestehen.
4 May 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=73MgOhYhfb0
[2] https://www.youtube.com/watch?v=msBITuIygtw
[3] https://www.youtube.com/watch?v=5171eGo13hs
## AUTOREN
Leonie Schöler
## TAGS
Datenschutz
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