# taz.de -- Migranten-Karawane in Richtung USA: Endstation Tijuana | |
> Vicente Pimea und Marvin Fernandez können das Land ihrer Träume sehen. | |
> Sie sind an der US-Grenze angekommen. Rein dürfen sie nicht. | |
Bild: Im Flüchtlingslager von Tijuana: Die Grenze zu den den USA ist ganz nah … | |
Tijuana taz | Sie haben sich ganz nach oben gesetzt. Von hier aus, von der | |
höchsten Sitzbank der hölzernen Tribüne eines Baseballfelds, sieht man gut | |
auf die andere Seite, auf die trockenen Berge und einige Häuser, die den | |
Beginn einer größeren Stadt vermuten lassen. Nur eine Autobahn und ein vom | |
Rost braun gefärbter drei Meter hoher Metallzaun trennen Vicente Romero | |
Pimea und Marvin Josua Fernandez von dem Land ihrer Träume. | |
Und doch wissen sie nicht, ob sie diese Grenze jemals überwinden werden. | |
Dabei haben sie in den letzten fünf Wochen 4.000 Kilometer zurückgelegt und | |
zahlreiche Nächte mit tropischen Regengüssen unter provisorisch gespannten | |
Plastikplanen verbracht. Sie sind bei unerträglicher Hitze stundenlang | |
gelaufen, [1][um genau hier anzukommen: in Tijuana]. Von der Grenzstadt im | |
Norden Mexikos aus wollen sie in die USA einreisen. | |
Nun hängen Pimea, 48, und Fernandez, 25, hier im Sportzentrum Benito Juárez | |
im Herzen von Tijuana fest. Die Anlage dient als Auffanglager für die | |
Karawane von Migrantinnen und Migranten, mit der die beiden in der | |
Grenzmetropole angekommen sind. Pimea und Fernandez blicken auf das | |
unüberwindlich erscheinende Metallgitter und fragen sich, wie es nun | |
weitergehen soll. „Gott wird uns helfen“, ist Fernandez, hellblaues | |
T-Shirt, olivgrüne Hose, überzeugt. | |
Doch die beiden wissen auch, dass der Mann, der auf der anderen Seite | |
regiert, alles unternimmt, damit Menschen wie sie nicht in sein Land | |
kommen. [2][5.600 Soldaten hat US-Präsident Donald Trump an die Grenze | |
geschickt], um die vor allem aus Honduras stammenden Reisenden aufzuhalten. | |
Und als bräuchte es noch eines weiteren Beweises für die Entschlossenheit | |
seiner Sicherheitskräfte, kreist über dem Metallzaun an der Sportanlage den | |
ganzen Nachmittag über ein blau-weißer US-Hubschrauber. „Wir bitten Gott | |
nur darum, das er uns eine Tür öffnet“, sagt Fernandez. | |
## Kurz entschlossen der Karawane angeschlossen | |
Seit dem 13. Oktober sind er und sein Freund unterwegs. Mit ein paar | |
Hundert weiteren Menschen haben sie sich von der honduranischen Stadt San | |
Pedro Sula aus auf den Weg gemacht, um in den Vereinigten Staaten zu | |
arbeiten. Die Idee war nicht neu: Schon Monate vorher hatten sie überlegt, | |
ihrer Heimat den Rücken zu kehren. | |
„Es gibt keine Arbeit, wir wussten nicht, wie wir die Familien ernähren | |
sollten“, erklärt Pimea, der sich mit einem dunklen Kopftuch vor der Sonne | |
schützt. Sie hätten nicht mehr genug Geld verdient, um für die Frauen und | |
Kinder Essen sowie Kleidung zu finanzieren. Deshalb stand der Entschluss | |
schnell fest. „Als wir in den Nachrichten von der Karawane hörten, haben | |
wir uns sofort angeschlossen“, berichtet Fernandez. | |
Innerhalb weniger Tage war der Zug auf mehrere Tausend Menschen | |
angeschwollen. Aus dem Treck wurde die größte Karawane von Migranten, die | |
die Region je erlebt hatte. 7.500 Menschen zogen durch den mexikanischen | |
Süden. Von Tapachula durch den Isthmus von Tehuantepec und den von | |
Kriminellen kontrollierten Bundesstaat Veracruz nach Mexiko-Stadt. Dann | |
weiter in Richtung Norden. Manchmal sind sie über 50 Kilometer am Tag | |
gelaufen. | |
## Immer wieder schenkten Mexikaner Essen | |
Wenn sie Glück hatten, konnten sie zwischendurch ein paar Kilometer auf der | |
Ladefläche eines Kleintransporters oder dem Anhänger eines Sattelschleppers | |
zurücklegen. Immer wieder hätten ihnen Mexikaner auf den Weg geholfen, | |
betont Pimea. „Sie gaben uns etwas zu essen, schenkten uns Wasser und | |
kümmerten sich um medizinische Versorgung.“ Ab Mexiko-Stadt hätten | |
Unterstützer Busse organisiert, die sie schließlich bis nach Tijuana | |
brachten. | |
Jeden Tag gelangen seither mehr Migrantinnen und Migranten in die | |
Grenzmetropole. In den letzten Wochen hatte sich die Karawane aufgespalten. | |
Die einen sind länger in der Hauptstadt geblieben, andere so schnell wie | |
möglich weitergezogen. Zudem haben sich zwei weitere Trecks gebildet, die | |
nun ebenfalls auf dem Weg in Richtung Norden sind. Auch die meisten | |
derjenigen, die noch unterwegs sind, werden sich wohl im Sportzentrum | |
Benito Juárez niederlassen. | |
Die Anlage liegt am Rande von Tijuanas quirliger und gefährlicher | |
Innenstadt. Dort, wo sich kriminelle Banden bekämpfen, Schießereien und | |
Überfälle zum Alltag gehören und unzählige Diskotheken, Stundenhotels und | |
Table-Dance-Kneipen Sex- und Partytouristen aus dem jenseits der Grenze | |
gelegenen San Diego anziehen. Keinen Steinwurf von dem Sportzentrum | |
entfernt steht aber auch der Metallzaun, der für viele Mittelamerikaner | |
unüberwindbar geworden ist. | |
## Mehr als 2.000 Menschen sind in Tijuana gestrandet | |
Etwa 2.300 Menschen harren derzeit auf dem Gelände unter Plastikplanen, in | |
Hauszelten und großflächig gespannten Planen aus: Kleinkinder, Jugendliche, | |
Männer, Frauen. Wie viele noch kommen, weiß keiner so genau. Etwa 3.000 | |
Migranten hängen in der nordmexikanischen Stadt Mexicali fest. Sollten sie | |
auch nach Tijuana kommen, müssten sie in anderen Einrichtungen | |
untergebracht werden, informierte Alfonso Alvarez Juan, der Minister für | |
soziale Entwicklung des Bundesstaats Baja California, bei seinem Besuch der | |
Anlage. Schon jetzt ist der Platz ausgelastet. | |
An allen Zäunen und Gerüsten hängt Wäsche, immer wieder bilden sich | |
Schlangen, weil Mitarbeiter der Stadtverwaltung gespendete T-Shirts, Hosen | |
oder Decken verteilen. Auf den Baseballplatz, gleich neben der Autobahn, | |
stehen 20 Toiletten und ein paar provisorische Duschen, die für die | |
tägliche Hygiene von Tausenden reichen müssen. Dabei sind viele nach der | |
langen Reise längst an ihre Grenzen gestoßen. „Hier gibt es kaum etwas zu | |
Essen und viel zu wenig Wasser“, beschwert sich Cruz Chicas López, die mit | |
ihren beiden Kindern und zwei Nichten auf der Reise ist. | |
Eine ihrer mitreisenden Freundinnen ist schwanger. Sie sei beinahe | |
ohnmächtig geworden, beklagt die 40-Jährige. Cruz Chicas hat gelernt, sich | |
alleine durchzuschlagen. Schon vor fünf Jahren sei ihr Mann in die USA | |
geflüchtet, weil dessen Vater und weitere Familienmitglieder ermordet | |
worden waren. „Am Anfang hat er immer Geld geschickt, aber mittlerweile hat | |
er uns einfach vergessen“, erzählt die Honduranerin. Wo sich ihr ehemaliger | |
Partner jetzt aufhält, weiß sie nicht. Aber wie ihre Landsmänner Pimea und | |
Fernandez bedrückt auch sie vor allem eine Frage: Wie geht es weiter? | |
„Ich habe keinen Plan“, sagt sie, lacht etwas verzweifelt und streckt sich | |
auf der Matratze, während ihre blonde Tochter Keila mit ihrem Bruder Jedson | |
herumalbert. Sie ist schon im Juni mit der 16-Jährigen Keila aus Honduras | |
geflüchtet. Wegen der Jugendbanden und weil es keine Arbeit gebe, sagt sie. | |
Zusammen hätten sie nahe der Grenze zu Guatemala, in der Stadt Tapachula, | |
in einem Restaurant gearbeitet und versucht, Aufenthaltspapiere zu | |
bekommen. Vergeblich. „Sie haben mir nie erklärt, warum sie das abgelehnt | |
haben.“ Als dann die Idee mit der Karawane aufkam, hat sich die Familie | |
weiter auf den Weg gemacht. Den mexikanischen Behörden traut sie nicht | |
mehr. Und überhaupt: „Das mexikanische Geld ist ja auch nicht viel mehr | |
Wert als das honduranische.“ Nein, sie will in die USA. | |
## Mexikaner rufen: „Honduraner raus!“ | |
Wenige Meter vom Eingang ist mittlerweile eine aufgebrachte Menschenmenge | |
eingetroffen. „Mexiko, Mexiko“, rufen sie in Sprechchören. Und „Honduran… | |
raus!“ Dann singen sie die mexikanische Nationalhymne, schwenken die Fahne | |
des Landes und lärmen mit Tröten. Einige von ihnen halten Schilder in die | |
Höhe, auf denen „Mexiko zuerst“ und „Invasoren raus“ zu lesen ist. Nur… | |
gut ausgerüstete Einheit der Polizei kann die Horde davon abhalten, auf das | |
Gelände des Sportzentrums zu stürmen. Immer wieder fliegen Wasserflaschen, | |
die Stimmung ist aufgeheizt. | |
Die Aktion beginnt bereits am frühen Sonntagmorgen: Gegner der Karawane | |
versammeln sich auf einem Rondell in einer wohlhabenderen Gegend der Stadt. | |
Von dort aus ziehen die etwa 300 Demonstranten zum Sportzentrum Benito | |
Juárez. „Wir brauchen nicht noch mehr Kriminelle, wir hier haben schon | |
genug Probleme mit Verbrechern“, ruft ein Mittfünfziger, Sonnenbrille, | |
Bart, den Reportern ins Mikrofon. Ein anderer schimpft über die Lügen in | |
der Presse. „Die Migranten sind aggressiv und gewalttätig“, ist Claudia | |
Salgado überzeugt, die, umringt von einer Traube von Menschen, aufgeregt in | |
die Menge redet. | |
Sie sei selbst vor fünf Jahren aus den USA hierher gezogen, stamme | |
ursprünglich aus Mexiko-Stadt und habe nichts gegen Migranten, betont sie. | |
„Aber unter denen sind Verbrecher, das wissen wir.“ Dann verweist Salgado | |
auf entsprechende Videos, die am Vortag durch die sozialen Netzwerke | |
gegangen sind. In den letzten Tagen hat vor allem der Bürgermeister von | |
Tijuana, Juan Manuel Gastélum, die Stimmung angeheizt. „Das ist ein Haufen | |
Arbeitsscheuer und Drogenabhängiger“, sagte er dem Nachrichtenmagazin | |
Milenio. Die Ruhe und Sicherheit in Tijuana sei gefährdet, erklärte der | |
Vorsteher der Stadt, in der in den ersten elf Monaten dieses Jahres 2.300 | |
Menschen ermordet wurden und die zu den gefährlichsten Mexikos zählt. | |
## Übergriffe in Tijuana | |
Schon vorher haben Einwohner am Strand von Tijuana Migranten körperlich | |
angegriffen, die sich dort niedergelassen hatten. Genau dort, wo der | |
Metallzaun langsam im pazifischen Ozean verschwindet. „Haut ab, haut ab“, | |
hätten die Angreifer gebrüllt, berichten zwei Honduraner, die sich | |
mittlerweile in der Sportanlage niedergelassen haben. | |
Ismael Leonardo Gonzalez ist davon überzeugt, dass die Vorwürfe der | |
Demonstranten vor dem Tor der Sportanlage ein Vorwand für rassistische | |
Attacken sind. „Ein paar Leute, die Drogen genommen hatten, wurden sofort | |
rausgeworfen“, erzählt der Honduraner, der sich zu seinen Landsmännern | |
Pimea und Fernandez auf der Basketball-Tribüne gesellt hat. Tijuana sei | |
eine Migrantenstadt, sagt er. Sie bestehe nur aus Menschen, die irgendwann | |
einmal hierhergezogen seien. Der Aufmarsch beunruhigt ihn etwas, aber auf | |
dem Gelände fühlt er sich sicher. Und außerhalb bewegt er sich ohnehin | |
kaum. Die wenigsten verlassen das Sportzentrum. | |
Vicente Pimea sitzt neben ihm und spricht nur wenig, während Fernandez mit | |
seiner Schwester in Honduras telefoniert. Der 48-Jährige ist nachdenklich | |
und noch ruhiger als am Vortag. Gestern hat ihm jemand draußen auf der | |
Straße seinen Koffer geklaut. Alle Klamotten sind weg, nur noch sein | |
kleiner Rucksack ist ihm geblieben. „Die Sache ist kompliziert“, sagt er. | |
Bei der Vollversammlung am Vorabend habe jemand erklärt, dass auch jeder | |
für sich überlegen müsse, wie es weitergehe. Wie also alleine auf die | |
andere Seite kommen? | |
## Hoffnung auf eine neue Heimat irgendwo | |
„Die Schlepper kassieren viel Geld und dann lassen dich dann in der Wüste | |
sitzen“, wirft Gonzalez plötzlich ein, berichtet dann aber von einer ganz | |
neuen Information. Am Nachmittag soll es ein Treffen geben, in dem der | |
kanadische Erzbischof Leonardo Marín-Saavedra über die Möglichkeiten | |
berichtet, Asyl in seiner Heimat zu beantragen. Kanada, China, Deutschland | |
– egal, Hauptsache, irgendwohin, wo es Arbeit gibt, wiederholt Pimea | |
mehrmals. Von dem Termin mit dem Geistlichen hänge jetzt alles ab. „Wenn | |
nichts herauskommt, gehe ich morgen von hier weg“, sagt Gonzalez. „Ich | |
auch“, pflichtet ihm Pimea bei. Seinen Blick hat der Honduraner wieder auf | |
den Metallzaun gerichtet. | |
Alle im Sportzentrum Benito Juárez wollen in die Vereinigten Staaten, | |
obwohl Politiker ins Gespräch gebracht haben, Arbeitsplätze für die | |
Menschen zu schaffen. In der Region könnte man bis zu 11.000 Stellen | |
finden, glaubt Minister Alvarez Juan. Doch das überzeugt Vicente Romero | |
Pimea nicht. Nur als letzte Notlösung werde er hier bleiben, sagt der | |
Honduraner. Aber weder er noch all die anderen wissen, wie sie ihren | |
amerikanischen Traum erreichen sollen. Und US-Präsident Trump stellt immer | |
wieder klar, dass er eine „Invasion“ der Migranten nicht zulassen werde. Am | |
Sonntag legte er noch einmal nach. Die Karawane verursache schon Verbrechen | |
und große Probleme in Mexiko, wetterte er auf Twitter. Und: „Geht nach | |
Hause.“ | |
Auch der Versuch, Asyl zu beantragen, dürfte für die meisten zum Scheitern | |
verurteilt sein. Zwar sind viele der Migranten vor der Gewalt aus ihrer | |
Heimat geflüchtet, aber wer sollte ihnen nun helfen, all die juristisch | |
nötigen Schritte zu gehen? Nur die wenigsten Schutzsuchenden bekommen | |
bisher tatsächlich Asyl. Und wenn, hätten vor allem Frauen und Kinder eine | |
Chance, erklären Experten. Zudem hat der US-Präsident jüngst ein Dekret | |
verfügt, nachdem niemand einen solchen Antrag stellen kann, der illegal | |
eingereist ist. | |
Pimea kann dieser Option sowieso nichts abgewinnen. „Wenn ich Asyl | |
beantrage, werde ich möglicherweise sechs Monate eingesperrt, bevor die | |
Entscheidung fällt“, sagt er. „Zu Hause sitzen meine Frau und das Kind. Sie | |
brauchen jetzt Geld.“ | |
19 Nov 2018 | |
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Wolf-Dieter Vogel | |
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