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# taz.de -- Straßenprotest wird zum Politikum: Macron hat ein Problem
> Hunderttausende demonstrieren in Frankreich gegen höhere Spritpreise.
> Rechtsextreme versuchen die Stimmung für sich zu nutzen.
Bild: Französische Autofahrer stehen sich selbst im Weg – beim Protest gegen…
Paris taz | Die Regierung und der Präsident hätten es wissen müssen: Benzin
und Diesel sind explosive Materien. Die enorme Mobilisierung vom 17.
November 2018 hat den Beweis geliefert, dass diese banale Weisheit auch in
der Politik gilt. Denn am Samstag hat es gekracht.
Was die Staatsführung für eine [1][leere Drohung in den sozialen
Netzwerken] gehalten hatte, ist Tatsache geworden: Tausende wütende
Bürger*innen haben als Zeichen der Zusammengehörigkeit gelbe Warnwesten
angelegt und an mehr als 2.000 Stellen Straßensperren errichtet, um so
gegen die steigenden Treibstoffpreise und vor allem gegen zusätzliche
staatliche Abgaben auf Diesel und Benzin zu protestieren.
Laut Innenministerium beteiligten sich am Samstag 290.000 Menschen an
diesen Protesten. Am Sonntag wurde die Aktion an mindestens 150 Orten
fortgesetzt, und für den 24. November ist eine Kundgebung auf der Place de
la République in Paris angekündigt.
Der Grund für den Ärger ist, dass – nach der Erhöhung der staatlichen
Abgaben (TICPE) um fast 8 Cent für Diesel und 4 Cent für Benzin Anfang 2018
– an der Tankstelle am kommenden 1. Januar ein weiterer Zuschlag geplant
ist: plus 6 Cent für den Diesel und nochmals 3 Cent mehr für Benzin.
## Unterschiedliche Gründe für den Protest
Unterschätzt wurde offenbar, wie dramatisch der Protesttag am Samstag
verlaufen würde, der ohne Mithilfe von Gewerkschaften, Parteien oder
Bürgerinitiativen, nur durch Aufrufe auf Facebook zustande kam. Wegen der
mangelnden Vorbereitung und Koordination gab es gravierende Zwischenfälle,
vor allem mit aggressiven Automobilisten, die sich vor den Blockaden der
„gelben Westen“ nicht stoppen lassen wollten. Die offizielle Zwischenbilanz
ist dramatisch: [2][ein Todesopfer] und mehr als 400 Verletzte, von denen
14 in ernstem Zustand im Krankenhaus liegen.
Dass auf einem Kreisverkehr außerhalb der Ortschaft Pont-de-Beauvoisin in
Savoyen eine 63-Jährige, die von einer angeblich in Panik geratenen
Fahrzeuglenkerin umgefahren wurde, das Leben verlor, hat schockiert. Man
hätte es aber kommen sehen können: Diese Sperre war ursprünglich nicht
geplant gewesen und sie war wie viele andere auch den Behörden nicht
angemeldet worden. Aus diesem Grund waren auch keine Polizisten zugegen,
die bei eventuellen Zwischenfällen einschreiten sollten.
Die Forderung an die Regierung, die Erhöhung der Abgaben auf Treibstoffe
zurückzunehmen, war der gemeinsame Nenner der Beteiligten. Von den Medien
zu ihrer persönlichen Motivation befragt, zählten die TeilnehmerInnen an
den Blockaden aber eine ganze Reihe von unterschiedlichen und zum Teil
sogar widersprüchlichen Gründen auf.
Rentner beschwerten sich über eine zusätzliche Steuerlast, die ihre bereits
geringe Kaufkraft schmälere, Ambulanz- und Taxifahrer waren gegen die
Liberalisierung ihrer exklusiven Transportaktivitäten, und auf dem Land
wurde von der dramatischen Verödung und Vernachlässigung durch den Staat
gesprochen: keine Schulen, keine Bahnverbindung mehr, kein Arzt, keine
Läden, keine Vergnügungsmöglichkeiten – dafür aber immer mehr Steuern und
Abgaben.
## „Macron – zurücktreten!“
Die Aktion gegen die Treibstoffpreise gab diesen Leuten die Gelegenheit,
ihre angestaute Wut in kollektiver Weise öffentlich auszudrücken. Die
meisten sagten auch, sie seien weder in einer Partei oder Gewerkschaft
organisiert, und sie hätten noch nie in ihrem Leben demonstriert – und
wenn, dann nur zur Feier des französischen Sieges bei der letzten
Fußball-WM. Einige hatten die damals zuletzt verwendete Trikolore
hervorgeholt, um sie zum Hupkonzert an den Sperren zu schwenken. Zwischen
Slogans wie „Macron – démission!“ (Macron – zurücktreten!) wurde immer
wieder grölend die Marseillaise angestimmt.
Bezeichnend ist auch, dass die Mobilisierung in den ländlichen Gebieten und
in der weiteren Umgebung der Städte am größten war, nicht in den urbanen
Zentren. Abgesehen von einer Kundgebung auf den Champs-Elysées in
Sichtweite von Macrons Präsidentenpalast und einer Sperre an der westlichen
Zufahrt der Porte Maillot war in der Hauptstadt von der Bewegung nichts zu
sehen.
Ist es da ein Wunder, dass vor allem die populistische Rechte Frankreichs –
allen voran Marine Le Pens „Rassemblement national“ (ehemals
Front-National) und Nicolas Dupont-Aignans Partei „Debout la France“ – in
diesen zornigen Landsleuten ihre eigene Basis erkennen will? Es sind jene
Gruppen, die Politologen pauschal mit dem Etikett „Protestwähler“
bezeichnen.
Die Regionen mit den meisten Straßensperren der „Gelben“ sind auf der
politischen Landkarte oft deckungsgleich mit den Wahlkreisen, in denen
Marine Le Pen am meisten Stimmen erhielt. Die Parteichefin erklärte am
Sonntag die „gelben Westen“ zum „Frankreich, das arbeitet und seine Abgab…
bezahlt“. Macron habe das Kunststück fertigtgebracht, die braven Bürger,
„die noch nie demonstriert hatten, auf die Straße zu treiben“.
## Linke wie Rechte instrumentalisieren den Protest
Marine Le Pens Partei ist ebenso wie andere, auch die linke „France
insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon, auf den Protestzug aufgesprungen. Die
SprecherInnen der Opposition von rechts und links versuchen, diesen
„Volkszorn“ gegen die derzeitige Staatsführung zu instrumentalisieren. Die
Initiatoren der Bewegung sind sie nicht. Diese ist eine für Frankreich
neue Form von Populismus ohne Populisten, eine Mobilisierung ohne
Volkstribun an der Spitze.
Die populistisch agierenden Parteien, die wie die „gelben Westen“ die
Pariser Elite, ihren Egoismus und ihre arrogante Verblendung für alle
Probleme und Miseren verantwortlich machen, könnten dennoch am Ende die
Gewinner dieser Auseinandersetzung sein, deren Fortsetzung und Ausgang
ebenso unberechenbar und vorhersehbar sind wie deren Beginn in den sozialen
Netzwerken.
Präsident Macron hat nun also ein ernstes Problem. Er hüllte sich am
Samstag dennoch in Schweigen, was die Demonstrierenden erst recht in Rage
brachte. Sein Umweltminister François de Rugy, ein Ex-Grüner, wollte in
Sachen Öko-Abgaben auf Treibstoffe unbeirrt am Kurs festhalten: „Ich
verstehe, dass es Leute gibt, die wollen, dass alles beim Alten bleibt. Wir
sind aber gewählt worden, um etwas zu ändern, und das werden wir auch tun.“
Mal sehen, was die gelben Westen dazu sagen. Frankreich hat seine
„Wutbürger“, die sich gerade zum ersten, aber wohl nicht zum letzten Mal zu
Wort gemeldet haben.
18 Nov 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
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