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# taz.de -- Open-Air-Ausstellung: Profitwunderland Kreuzberg
> AktivistInnen haben im Chamissokiez Infotafeln aufgestellt. Sie zeigen,
> welche Ausmaße die Verdrängung von MieterInnen und Gewerbe bereits
> angenommen hat.
Bild: Alt, hübsch und extrem begehrt: Wohnhäuser im Chamissokiez
Die beiden blauweißen Tafeln auf dem Gehweg vor dem „Balzac“ in der
Bergmannstraße sind mit einfachen Mitteln aus Holz gezimmert und gegen den
Wind mit Sandsäcken gesichert. Wer sich ein paar Minuten Zeit zum Lesen
nimmt, hat anschließend womöglich keine Lust mehr, den Coffeeshop zu
betreten, um sich den gerade beworbenen Apple Cinnamon Latte
einzuverleiben. Denn die Anfang der Woche von einem Netzwerk
gentrifizierungskritischer Initiativen aufgestellten Infotafeln erzählen
die Geschichte des Ladens, die eine Geschichte der Verdrängung ist.
Bis im vergangenen Jahr die Balzac Coffee Company, ein finanzkräftiger
Filialist, in die Bergmannstraße 92 zog, bewirtete hier eine Kreuzbergerin
ihre Gäste mit ähnlichen Produkten. Für die „espressolounge“ von Nadine
Müller waren die Tage aber gezählt, als die Hauseigentümerin WABE Gruppe
die Miete von 2.800 auf 8.000 Euro fast verdreifachte. Immerhin: Müller hat
um die Ecke am Mehringdamm noch mal ein Exil für ihr Café gefunden.
Der allseits beliebte Chamissokiez in Kreuzberg 61 steht seit Jahren trotz
Milieuschutz unter verschärftem Aufwertungsdruck, und betroffen sind bei
weitem nicht nur Gewerbetreibende. Auf den Tafeln, die unter dem Motto
„Mieter*innen ein Gesicht geben“ vor zehn Häusern über beispielhafte Fäl…
informieren, erfährt man, dass die Mieten bei Neuvermietung in Kreuzberg in
den letzten zehn Jahren um sagenhafte 317 Prozent gestiegen sind. Die
Grundstückspreise im Kiez haben sich im selben Zeitraum sogar fast
verzehnfacht. Vor allem international agierende Immobilienunternehmen
kaufen Häuser auf und verwandeln Miet- in teure Eigentumswohnungen.
Natürlich wird auch mit ganz miesen Nummern Profit gemacht und auf weitere
Wertsteigerung spekuliert: etwa in der Arndtstraße 13. Hier ist der
aktuelle Eigentümer laut Tafel „unbekannt“, bekannt ist aber, dass der
Vorgänger nach Vermietung zu Pro-Kopf-Tagessätzen – erst an Monteure, dann
an osteuropäische Familien – das Haus praktisch unbewohnbar zurückgelassen
hatte. 2017 begannen Sanierungsarbeiten, die mittlerweile zum Erliegen
gekommen sind: Das wie die meisten Bauten rund um den pittoresken Platz
noch im 19. Jahrhundert erbaute Haus steht leer.
In diesem Fall gibt es aber Hoffnung: Nachdem im Mai 2018 AktivistInnen das
Haus zum Protest kurzzeitig besetzt hatten, wurde das Bezirksamt aktiv und
leitete ein Verfahren gegen den Eigentümer wegen Zweckentfremdung und
Leerstand ein. Der verkaufte – und mit dem Nachfolger schloss der Bezirk
eine sogenannte Abwendungsvereinbarung, die Modernisierung bis zu einem
gewissen Grad erlaubt, wenn die Wohnungen bis 2035 als Mietwohnungen
erhalten bleiben.
## 67 Quadratmeter für 375.000 Euro
Allein: Die Wendung zum Guten ist die Ausnahme unter den Geschichten, die
die Initiative mit der gut recherchierten und präsentierten
Open-Air-Ausstellung erzählt. Gleich nebenan in der Hausnummer 14 ist die
Umwandlung in Eigentumswohnungen schon in vollem Gange – die dänische Firma
Taekker hat damit im Jahr 2012 begonnen. Seit 2017 gehört das Haus dem
Unternehmen Round Hill Capital, das zurzeit versucht, mehrere leer stehende
Wohnungen für horrende Preise zu verscherbeln: Eine Wohnung mit 67
Quadratmetern wurde im Januar für 375.000 Euro angeboten.
„Schon kurz danach wird die Anzeige zurückgezogen“, schreiben die
AusstellungsmacherInnen. „Laut Maklerin soll die Wohnung aufgrund der
steigenden Nachfrage später nochmal zu einem höheren Preis angeboten
werden.“ Und die verbliebenen Altmieter der Arndtstraße 14 müssen damit
leben, dass regelmäßig Kaufinteressenten durch ihre privaten Räume
spazieren.
Ironie der Geschichte: Es war genau dieses Haus, das im Juli 1981
spekulativ leer stand und in das der linke Theologe Helmut Gollwitzer
kurzzeitig „einzog“, um zusammen mit anderen Prominenten die
HausbesetzerInnenbewegung zu unterstützen. Das Foto des lachenden
Gollwitzer mit einer Matratze, die er über dem Kopf trägt, ist ein
bekanntes Zeitzeugnis und auf der Tafel abgebildet.
Die Macher*innen wünschen sich, dass sie mit der Aufklärungsaktion
Interesse und vielleicht auch Lust auf Engagement wecken: Wer sich am Kampf
gegen Verdrängung aus dem Kiez beteiligen will, findet unter
[1][mieterinnen-gesicht-geben.net] gleich mehrere Möglichkeiten dazu. Auf
der Seite [2][wem-gehoert-kreuzberg.de] der gleichnamigen
Stadtteilinitiative, die auch hinter der Ausstellung steht, gibt es kurze
Videos mit Statements von BewohnerInnen und AktivistInnen.
16 Nov 2018
## LINKS
[1] http://mieterinnen-gesicht-geben.net
[2] http://wem-gehoert-kreuzberg.de
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Gentrifizierung
Friedrichshain-Kreuzberg
Verdrängung
Milieuschutz
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Immobilienmarkt
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