| # taz.de -- Gastbeitrag Festung Europa: Jedes Maß verloren | |
| > Menschenrecht auf Auswanderung? Damit nimmt es das Auswärtige Amt | |
| > inzwischen nicht mehr so genau. Abschreckung kennt keine Fakten mehr. | |
| Bild: Es gibt kein Menschenrecht auf Einreise, aber jeder darf sein Land verlas… | |
| „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu | |
| verlassen.“ So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von | |
| 1948. Anders als das Recht, in einen beliebigen Staat auf der Welt | |
| einzureisen oder einzuwandern („Immigration“), stellt das Recht zur | |
| Ausreise und Auswanderung („Emigration“) nämlich ein universell anerkanntes | |
| und auch für Deutschland verbindliches Menschenrecht dar. Um das | |
| Menschenrecht der Ausreisefreiheit ist es in den letzten Jahren eher still | |
| gewesen. | |
| Ganz anders zu Zeiten des Kalten Kriegs: Kennzeichen der Länder des | |
| Ostblocks war eine systematische Verletzung dieses Rechts. In der DDR war | |
| die ungenehmigte Ausreise nicht nur unter dem Begriff der „Republikflucht“ | |
| kriminalisiert, sondern aufgrund des sogenannten Schießbefehls auch | |
| lebensgefährlich. Vor dem Hintergrund der deutschen Teilungsgeschichte mit | |
| Hunderten Todesopfern kann von der Bundesregierung also ein besonderer | |
| Einsatz für das Recht auf Ausreise erwartet werden. | |
| Umso schwerer wiegt es daher, dass das Auswärtige Amt eine Werbekampagne | |
| finanziert, mit der eine ausländische Bevölkerung über eben dieses | |
| Menschenrecht getäuscht wird. So geschieht es aktuell durch eine Annonce, | |
| die sich auf der Rückseite der Oktober-Ausgabe eines Magazins findet, das | |
| sich an die afrikanische Diaspora in Deutschland richtet: [1][LoNam – das | |
| Afrika-Magazin]. Dort steht über einer [2][Karikatur, die die Bootsflucht | |
| eines dunkelhäutigen Migranten zeigt], der sich auf dem Weg in die EU in | |
| die Hände eines Schleppers (im Bild am Ruder sitzend als der Tod | |
| dargestellt) begeben hat, der Aufruf: „Say No to Illegal Emigration“ sowie | |
| auf Französisch, da die Zielgruppe des Magazins vorwiegend aus dem | |
| zweisprachigen Kamerun stammt: „Aufklärungskampagne gegen heimliche | |
| Auswanderung“. Der Hinweis auf die Finanzierung der Anzeige findet sich in | |
| der Fußzeile: „supported by Auswärtiges Amt“, Bundesadler und | |
| Deutschlandfarben sorgen für einen offiziellen Anstrich. | |
| Erstellt haben die Anzeige die in Kamerun ansässige „Organisation der | |
| Rückkehrer und zum Kampf gegen die heimliche Auswanderung aus Kamerun“, | |
| welche die Menschenrechtsmissachtung bereits im Namen trägt, und das | |
| Afrika-Medien-Zentrum aus Berlin. Mitte September 2018 stellten sie im | |
| kamerunischen Yaoundé das von der Bundesregierung finanzierte Projekt | |
| [3][„Look I am back“] vor, mit dem Jugendliche von einer Ausreise | |
| abgehalten werden sollen. Als Teil dieser Kampagne findet die beschriebene | |
| Karikatur und menschenrechtswidrige Aussage damit nicht nur in der | |
| afrikanischen Community in Deutschland Verbreitung, sondern auch auf dem | |
| afrikanischen Kontinent selbst. | |
| ## Neue Abschreckungspolitik | |
| Das Beispiel zeigt, wie weit die Bundesregierung inzwischen im Namen einer | |
| neuen Abschreckungspolitik zu gehen bereit ist. Diese wird vom Auswärtigen | |
| Amt unter dem Posten „Auslandskommunikation zu Flucht und Migration“ seit | |
| dem Jahr 2015 forciert. Dabei bedient sich die Regierung ganz offiziell | |
| sogenannter Multiplikatoren aus der afrikanischen Diaspora. | |
| Das „Kernprodukt“ der Strategie bildet seit Herbst 2017 die Website | |
| „[4][Rumours about Germany – facts for migrants“]. Nach eigener Darstellu… | |
| versucht die Regierung hiermit „zu verhindern, dass sich Menschen mit | |
| verklärten Vorstellungen und falschen Erwartungen auf den Weg machen“ – | |
| Gerüchten und Fehlinformationen der Schleuser sollen die „nötigen Fakten“ | |
| entgegengesetzt werden. | |
| Tatsächlich verloren auf dem Mittelmeer allein in diesem Jahr bereits 2.000 | |
| MigrantInnen ihr Leben, wofür neben der Reduzierung von | |
| EU-Rettungskapazitäten auch profitorientierte Schlepper verantwortlich | |
| sind. Während der Anspruch der Website – insbesondere insoweit auch über | |
| legale Zuwanderungsalternativen informiert werden soll – daher zu begrüßen | |
| ist, enttäuscht die Realisierung auf ganzer Linie. | |
| ## Gerüchte statt Fakten | |
| Ein Beispiel: Auf die Frage, ob man in Deutschland Sozialleistungen | |
| erhalte, erscheint als Antwort zunächst großformatig „Nein“, bevor im Text | |
| darunter zu lesen ist, dass Asylbewerber zwar „ein wenig Hilfe“ erhielten, | |
| allerdings vorwiegend als Sach- und nicht als Geldleistungen. Diese | |
| Aussagen sind falsch und irreführend. Asylsuchende erhalten in Deutschland | |
| Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dass der Großteil davon | |
| als Sachleistungen erbracht wird, kann die Regierung laut der Antwort auf | |
| eine [5][Kleine Anfrage] der Linkspartei gar nicht belegen („Differenzierte | |
| Zahlen liegen nicht vor“). Damit streut das Auswärtige Amt Gerüchte, statt | |
| Fakten zu präsentieren. | |
| Auch auf die Frage, ob deutsche Universitäten allen offen stünden, heißt es | |
| zunächst großformatig „Nein“ mit dem Hinweis, dass in der Regel ein | |
| Aufenthaltstitel erforderlich sei. Verschwiegen wird, dass dieser für | |
| ausländische Studierende unter gewissen Voraussetzungen (etwa | |
| Lebensunterhaltssicherung) erteilt werden muss. Noch gravierender: In einer | |
| früheren Fassung wurde – entgegen der Genfer Flüchtlingskonvention – | |
| behauptet, dass nur Personen Schutz gewährt würde, die in ihrem Land | |
| bereits verfolgt würden, nicht aber solchen, die wegen begründeter Angst | |
| vor Verfolgung Zuflucht suchen. | |
| Die Kampagne fügt sich ein in die Anstrengungen der Bundesregierung wie | |
| auch der EU, Migrationsbewegungen nach Europa zu unterbinden. Dabei wird | |
| durchaus auch mit despotisch regierten Herkunfts- oder Transitstaaten | |
| kooperiert. Die Schicksale der Betroffener werden ebenso ausgeblendet wie | |
| die menschenrechtlichen Verpflichtungen. Die Politik der Abschreckung und | |
| Abschottung scheint damit kaum noch Grenzen zu kennen. Doch die Regierung | |
| irrt hier selbst bei rein strategischer Betrachtung: Mit | |
| Desinformationskampagnen verspielt sie ihre Glaubwürdigkeit, die sie von | |
| Schleppernetzwerken unterscheidet. Nachhaltig ist nur eine aufrichtige und | |
| menschenrechtskonforme Migrationspolitik. | |
| 13 Nov 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.lonam.de/ | |
| [2] https://verfassungsblog.de/rumours-made-in-germany-wie-das-auswaertige-amt-… | |
| [3] http://www.yaoundeinfo.com/cameroun-une-campagne-de-lutte-contre-lemigratio… | |
| [4] https://rumoursaboutgermany.info/ | |
| [5] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/011/1901117.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Frederik von Harbou | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Auswärtiges Amt | |
| Afrika | |
| Migration | |
| Festung Europa | |
| Flüchtlingspolitik | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Flucht aus Gambia: Wenn alle gehen, bleibt die Wut | |
| Aus Gambia wollen viele weg. Ich bin noch hier. Nicht Europa schuldet uns | |
| ein Leben in Würde, sondern mein Land. | |
| Kapitän zu Seenotrettung im Mittelmeer: „Die können sich nicht bewegen“ | |
| Dariush ist Kapitän auf einem Seenotretter. Er hat hunderte Menschen in | |
| Holzbooten gesehen. Die libysche Küstenwache nennt er ein | |
| Fantasiekonstrukt. | |
| Essay über offene Grenzen: Offene Türen, enge Herzen | |
| Der Geburtsort entscheidet über die Lebenschancen. Das ist nicht fair. Aber | |
| würde eine globale Bewegungsfreiheit für alle wirklich weiter helfen? |