| # taz.de -- Wahl in Ostjerusalem: Müllabfuhr statt Widerstand | |
| > Seit Jahren boykottieren Araber in Ostjerusalem die israelischen | |
| > Kommunalwahlen. Am Dienstag tritt nun erstmals ein Palästinenser an. | |
| Bild: Hunderttausende Palästinenser wohnen in Jerusalem, ohne im Stadtparlamen… | |
| Jerusalem taz | Einen Erfolg hat Ramadan Dabasch schon in der Tasche, bevor | |
| die Wahl zum neuen Jerusalemer Stadtrat überhaupt angefangen hat. Auf den | |
| Einspruch des Palästinensers hin verpflichtete ein Gericht das Rathaus | |
| dazu, mehr Wahllokale in Ostjerusalem einzurichten. Ursprünglich waren es | |
| sechs, nun sind es 21. Im Vergleich zum Westen der Stadt, wo den jüdischen | |
| Wählern 180 Wahlstationen zur Verfügung stehen, ist das noch immer wenig. | |
| Aber Dabasch, der selbst zu den Wahlen antritt, ist zufrieden. | |
| Am Dienstag werden in Israel landesweit neue Stadträte gewählt. Dabasch, | |
| der Chef der Partei „Al-Quds Baladi“ („Jerusalem, meine Stadt“), rechnet | |
| sich gute Chancen aus, als erster Palästinenser in den Jerusalemer Stadtrat | |
| einzuziehen. | |
| Gut ein Drittel der Bürger Jerusalems sind Palästinenser. Dass die Stadt | |
| sie so maßlos benachteiligt und es nicht für nötig befunden hat, mehr | |
| Wahllokale einzurichten, geht allerdings ein Stück weit auch auf das Konto | |
| der Ostjerusalemer selbst. Seit dem Sechstagekrieg 1967, als Israels | |
| Truppen die Jordanier aus der Stadt vertrieben und fortan die Kontrolle | |
| über die gesamte Stadt übernahmen, boykottieren sie die städtischen Wahlen | |
| aus Protest gegen die Besatzung. Noch beim letzten Urnengang vor fünf | |
| Jahren gaben keine zwei Prozent der Wahlberechtigten in Ostjerusalem ihre | |
| Stimme ab. | |
| „Das Rathaus repräsentiert mich nicht“, sagt die Palästinenserin Sahar | |
| Abassi aus dem Stadtteil Silwan. Abassi ist Leiterin der Frauenkooperative | |
| Mada, einer Selbsthilfegruppe für die Leute von Silwan, die unter der von | |
| radikalen Siedlerbewegungen vorangetriebenen „Judaisierung“ Ostjerusalems | |
| besonders leiden. Hunderte arabische Wohnhäuser in dem Viertel sind akut | |
| vom Abriss bedroht, weil sie ohne Genehmigungen errichtet wurden, oder auch | |
| nur weil sie Platz schaffen sollen für Touristen oder öffentliche | |
| Parkanlagen. | |
| „Wir sind machtlos gegen die archäologischen Ausgrabungen, die schon viele | |
| Häuser in Silwan zum Einsturz gebracht haben“, sagt Abassi. Sie hat kein | |
| Vertrauen in die israelischen Behörden und noch weniger in die Politik. | |
| „Egal, ob dort ein Palästinenser vertreten ist oder nicht, es bleibt ein | |
| Besatzungsrathaus.“ Damit wolle sie nichts zu tun haben. | |
| Kandidat Dabasch sind solche Argumente vertraut. „Es ist schwer, die Leute | |
| zur Wahl zu motivieren“, sagt der 51-Jährige. Dabasch ist leicht | |
| übergewichtig, braungebrannt, hat dichte Augenbrauen und einen glatt | |
| rasierten Kopf. Sein Programm ist strikt lokalpolitisch: Er fordert eine | |
| gerechtere Verteilung der öffentlichen Gelder, mehr Schulklassen und eine | |
| bessere städtische Versorgung insgesamt. | |
| „In ganz Ostjerusalem gibt es nicht ein einziges öffentliches Schwimmbad“, | |
| schimpft der zwölffache Familienvater, der mit vier Frauen unter einem Dach | |
| lebt. Der Frage, ob er mit allen gleichzeitig verheiratet sei, weicht er | |
| aus. | |
| Die Palästinenser des von Israel annektierten Ostjerusalems dürfen zwar | |
| nicht an der allgemeinen Parlamentswahl teilnehmen, wohl aber an der Wahl | |
| des Jerusalemer Stadtrats. Ganz Jerusalem, so hält es ein Grundgesetz seit | |
| 1980 fest, ist Hauptstadt Israels. | |
| Weil die Stadt nie wieder geteilt werden soll, haben Palästinenser mit | |
| Wohnsitz Jerusalem das Recht, die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Die | |
| große Mehrheit scheut indes nicht nur die langwierigen Behördengänge, | |
| sondern entscheidet sich aus politischen Gründen dagegen. Die | |
| Staatsbürgerschaft der Besatzer anzunehmen, käme einer Akzeptanz der | |
| israelischen Kontrolle gleich. Die Mehrheit der Palästinenser empfindet es | |
| als nationalen Auftrag, Jerusalem für das palästinensische Volk zu | |
| bewahren. | |
| Dieselben Gründe hielten die Ostjerusalemer bislang auch davon ab, an der | |
| Stadtratswahl teilzunehmen. In diesem Jahr zeichnet sich jedoch eine | |
| Trendwende ab. Umfragen des Palästinensischen Zentrums für Politik und | |
| Umfrageforschung zufolge wollen 22 Prozent der Ostjerusalemer an der Wahl | |
| am Dienstag teilnehmen. | |
| Eine Studie der Hebräischen Universität kam sogar zu dem Ergebnis, dass 58 | |
| Prozent der Palästinenser in Ostjerusalem der Ansicht sind, sie sollten mit | |
| der Wahl eigener Vertreter im Rathaus ihre Interessen vorantreiben. | |
| Die Wahlteilnahme grundsätzlich zu unterstützen und selbst zu wählen, ist | |
| allerdings nicht dasselbe. Scheich Mohammed Hussein, der Großmufti von | |
| Jerusalem, hat eine Fatwa erlassen, ein Verbot für fromme Muslime, an der | |
| Wahl teilzunehmen. Auch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in | |
| Ramallah und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) riefen zum | |
| Boykott auf. | |
| „Die Teilnahme an der Wahl wird dem israelischen Establishment dabei | |
| helfen, sein ‚Groß-Jerusalem‘-Projekt voranzutreiben“, warnte | |
| PLO-Generalsekretär Saeb Erekat. Dazu gehöre ein „kolonialistischer | |
| Siedlungsplan“ und „Operationen zur ethnischen Säuberung“. Der soziale u… | |
| politische Druck auf Wähler wie auf Kandidaten ist groß. | |
| Trotz zahlreicher Drohungen will sich Kandidat Dabasch nicht einschüchtern | |
| lassen. „Wir Palästinenser in Jerusalem haben keinen Vater und keine | |
| Mutter“, sagt er, deshalb müssten sie sich endlich selbst helfen. Das | |
| „jüdische“ Rathaus, sagt er, kümmere sich fast ausschließlich um den Wes… | |
| der Stadt, und die PA fühle sich nicht verantwortlich. | |
| „Wir brauchen Baugenehmigungen, neue Straßen, eine regelmäßige Müllabfuhr, | |
| und wir müssen in die Bildung unserer Kinder investieren.“ Die hohe | |
| Arbeitslosigkeit im Osten der Stadt hinterlässt Spuren. Vier von fünf | |
| Kindern sind arm. | |
| Mit dabei sein will Dabasch, der schon 1995 die israelische | |
| Staatsbürgerschaft angenommen hat, wenn große Entscheidungen getroffen | |
| werden für die Zukunft der Stadt und ihrer Bewohner. Der studierte | |
| Bauingenieur spricht fließend Hebräisch und scheut die Kooperation mit den | |
| Juden so wenig, dass er sich kurzfristig sogar dem konservativen Likud | |
| anschloss, die Partei aber aus strategischen Gründen sehr schnell wieder | |
| verließ. | |
| Dabaschs aktuelle Kampagne richtet sich gegen den Plan des Rathauses, | |
| dichtbesiedelte Wohngebiete aus dem Stadtgebiet auszugrenzen. Das [1][Dorf | |
| Kufr Akab] gehört dazu und das Flüchtlingslager Schuafat. Beide liegen | |
| hinter der Trennmauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten, beide | |
| gehören aber formal zum Einzugsgebiet Jerusalems. Diese Gebiete | |
| abzuschneiden würde hunderte Familien voneinander trennen. Besonders hier | |
| hofft Dabasch auf eine hohe Wahlbeteiligung. | |
| Ideal würde die Wahl für Dabasch laufen, wenn 70.000 der 180.000 | |
| wahlberechtigten Palästinenser ihre Stimme für seine Partei abgäben. | |
| Realistischer seien 10.000 bis 20.000, räumt er ein, und auch die würden | |
| für ein bis drei Sitze im Stadtrat reichen, je nach Wahlbeteiligung, die | |
| vor fünf Jahren bei knapp unter 40 Prozent lag in der gesamten Stadt lag. | |
| Bei den großen Themen hält sich Dabasch zurück, bezieht keine Position zur | |
| Besatzung oder zu den Siedlern und auch „der Umzug der US-Botschaft nach | |
| Jerusalem spielt keine Rolle für meine Kandidatur“. Er hege keinerlei | |
| Ambitionen, Chef der Palästinenser zu werden, sagt Dabasch. Er wolle die | |
| Lage vor Ort zu verbessern. „Ich sage niemandem, dass er die | |
| Al-Aksa-Moschee aufgeben, zum Judentum konvertieren oder die nationalen | |
| palästinensischen Ziele aufgeben soll, aber wir brauchen unseren Platz im | |
| Rathaus.“ | |
| ## Palästinenser müssen Lebensmittelpunkt nachweisen | |
| Mit deutlich umfangreicherer Agenda war Aziz Abu Sarah angetreten, als er | |
| im September seine Kandidatur kundtat. Der 38-jährige Reiseagent stand zwar | |
| wie Dabasch für eine gerechtere Verteilung der öffentlichen Ressourcen, | |
| „wir zahlen Abgaben wie alle, nur bekommen wir nichts dafür“. | |
| Gleichzeitig betrachtete er seine Kandidatur aber als Teil des nationalen | |
| Kampfes. Abu Sarah zielte hoch. Nicht weniger als das Amt des | |
| Bürgermeisters sollte es sei. Dann zogen ihm die Behörden einen Strich | |
| durch die Rechnung. Abu Sarah ist kein Staatsbürger und könne deshalb nicht | |
| Bürgermeister werden. Außerdem verbrachte er in den vergangenen Jahren | |
| immer wieder mehrere Monate im Ausland, weshalb ihm der Entzug seines | |
| Status als Bürger Jerusalems droht. | |
| Seit 1995 verpflichtet das israelische Innenministerium die Palästinenser | |
| in Ostjerusalem nachzuweisen, dass die Stadt ihr Lebenszentrum ist. Wer oft | |
| ins Ausland reist, setzt sich der Willkür der Behörden aus. „Es war klar, | |
| dass ich keine Chance hatte, meine Kandidatur fortzusetzen“, erklärte Abu | |
| Sarah, als er sich aus dem Wahlkampf verabschiedete. | |
| Seine Mitstreiter auf der Liste „Al Quds Lana“ („Unser Jerusalem“) | |
| schlossen sich ihm an, auch infolge der Warnungen von Palästinensern, die | |
| telefonisch oder über die sozialen Netzwerke damit drohten, den Kandidaten | |
| und ihren Familien etwas anzutun. | |
| Abu Sarah ist nicht der erste Palästinenser, der seine Kandidatur | |
| zurückzog. Schon im vergangenen Jahr kündigte Ijad Bibouh seine Teilnahme | |
| an der Wahl an, zog sich dann aber überraschend „aufgrund familiärer | |
| Gründe“ aus dem Rennen um einen Sitz im Stadtrat zurück. | |
| Auch Dabasch musste seine Liste immer wieder mit neuen Kandidaten | |
| aufrüsten, wenn Mitstreiter aus Angst den Warnungen nachgaben. „Sie drohen | |
| uns häufig damit, unsere Autos ins Brand zu stecken“, berichtet Dabasch und | |
| fügt leichtherzig hinzu, dass sein Auto ohnehin kaum noch etwas wert sei. | |
| Allerdings verändere er von Zeit zu Zeit seine Fahrtroute, um eventuelle | |
| Angreifer in die Irre zu führen. | |
| 29 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Knaul | |
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