# taz.de -- Kaliforniens Gouverneur tritt ab: Der grüne Ami, der gute Ami | |
> Jerry Brown erlebt seine letzten Tage als Gouverneur von Kalifornien. Mit | |
> ihm tritt einer ab, der Ökopolitik gemacht und Trump getrotzt hat. | |
Bild: Hat laut Trump einen schlechten Job gemacht: Kaliforniens Gouverneur Jerr… | |
San Francisco taz | Der Gouverneur vergrößert mit seiner Hand die rechte | |
Ohrmuschel. Offenbar denkt er, er habe meine Frage nicht richtig | |
verstanden. „Warum Kalifornien beim Kampf gegen Klimawandel vorn dran | |
ist?“, fragt Jerry Brown: „Kalifornien ist schon immer vorndran gewesen“, | |
sagt er dann, „seit dem Gold Rush 1846“. Ja, ja. Ich weiß das. Jeder weiß | |
das. Aber woran liegt das beim Thema Klimawandel? | |
Edmund Gerald Brown Junior war 36, als er 1974 zum ersten Mal Gouverneur | |
wurde. Als Nachfolger des späteren Präsidenten Ronald Reagan, welcher | |
wiederum der Nachfolger von Browns Vater war. Er war Demokrat, | |
selbstverständlich, Jesuitenschüler, damals schon Öko und er sprach von | |
Wachstumsgrenzen. Not sexy, aber von Weitem sah er aus wie ein Filmstar und | |
so startete er als Mann der Gegenkultur und des Rock ’n’ Roll durch. | |
Er war der Liebling des Rolling Stone, was mit seiner | |
Gesellschaftsliberalität zu tun hatte, aber vor allem auch mit seiner | |
Lebensgefährtin Linda Ronstadt, für manche in den 70ern die heißeste Frau | |
des Rock – Pin-up-Plattencover, Kalifornien-Sound, mehrere Nummer 1-Hits | |
(„It’s so easy“, „Blue Bayou“). Rolling-Stone-Herausgeber Jay Wenner … | |
Brown gern zum Präsidenten der Progressiven hochgeschrieben. Klappte aber | |
nicht. | |
Brown versuchte dreimal, demokratischer Kandidat zu werden. 1976 war er nah | |
dran – gegen den späteren Präsidenten Jimmy Carter. 1980 (wieder gegen | |
Carter) und 1992 (gegen Bill Clinton) war er chancenlos. Was nicht daran | |
lag, dass Ronstadt und die Eagles für ihn spielten. Seine ersten acht | |
Gouverneursjahre sind bei freundlicher Betrachtung abgelegt in der Rubrik: | |
Geht so. | |
## Er trotzt Trump | |
2011 kam er zum zweiten Mal ins höchste Amt. Diesmal [1][als Nachfolger von | |
Arnold Schwarzenegger]. Kalifornien, die fünftgrößte Wirtschaft der Welt, | |
hatte damals ein 28-Milliarden-Dollar-Staatsdefizit. In der ersten | |
Wahlperiode sparte er, erhöhte Steuern (ein Sakrileg) und hatte Glück, dass | |
die Wirtschaft wieder anzog. In der zweiten machte er dann verstärkt | |
Ökopolitik. | |
Ein Tag in diesem Herbst. Gerade hat Brown in San Francisco einen | |
Weltklimagipfel der Regionen und Städte veranstaltet, dessen globale | |
Botschaft es sein soll, dass die USA weiter führend an der Begrenzung der | |
Erderhitzung mitarbeiten. Trotz Präsident Donald Trump, [2][der das Pariser | |
Klimaabkommen aufkündigte], mit dem die Welt erstmals offiziell anerkannte, | |
dass der Planet zu klein ist für einen weiteren Ausbau der fossilen | |
Moderne. So ist Brown auf seine alten Tage zum Posterboy der „anderen“ USA | |
geworden, zum großen Antipoden von Trump. | |
Er ist jetzt 80 und sieht auch so aus. Das Dominierende sind seine | |
buschigen Augenbrauen. Ansonsten ist er kantig, hart, schlank. Auf der Nase | |
hat er eine Narbe. Krebs entfernt. | |
Im obersten Stock des Fairmont Hotel in Downtown San Francisco, eine Meile | |
von Browns Büro entfernt, hat man einen doppelten Blick auf die Bucht und | |
die Twin Peaks auf der anderen Seite. Hier hat der Gouverneur während des | |
Klimagipfels den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried | |
Kretschmann zu Gast, mit dem er das „Under2“-Klimabündnis der Regionen | |
anführt, das über 200 Weltregionen und nominell 1,3 Milliarden Menschen | |
umfasst. In Stuttgart sind sie stolz wie Bolle auf diese Partnerschaft. | |
Kretschmann hat ihm eine Kuckucksuhr aus dem Schwarzwald mitgebracht und | |
zeigt ihm auf höfliche Nachfrage, wo der Kuckuck rauskommt. | |
## Beharrlichkeit gegen Erderhitzung | |
Dann ist der Gouverneur auch schon bei einem seiner Lieblingsthemen, der | |
deutschen Herkunft. Zwar stammen die Browns aus Irland, aber sein anderer | |
Urgroßvater August Schuckmann emigrierte 1849 aus Wüsten, damals Preußen, | |
heute ein Ortsteil von Bad Salzuflen. | |
Seine Frau kam auch von dort. Es war Flucht aus Perspektivlosigkeit und | |
Armut. „Perseverance hieß das Schiff“, sagt Brown. Das bringt ihn stets | |
verlässlich zu seiner Pointe, denn Perseverance heißt Beharrlichkeit, und | |
die müsse man auch im Kampf gegen die Erderhitzung haben. | |
Am 6. November wird Browns Nachfolger gewählt. Nach Ende der Amtszeit im | |
Januar wollen er und seine Frau auf das Stück kalifornischen Farmlandes | |
ziehen, 120 Kilometer nördlich von San Francisco, das sein Urgroßvater 1878 | |
erwarb und wo seine Oma aufwuchs, die Mutter vom Senior-Gouverneur. Der | |
Junior selbst ist kinderlos und vielleicht ist das einer der Gründe, warum | |
er vor einigen Jahren seine genealogischen Emotionen entdeckt hat. | |
Sie wollen jetzt Farmer werden, Gouverneur? „Ich war immer Farmer“, sagt | |
er, was wohl eher im übertragenen Sinne gemeint sein muss. „Das heißt | |
nicht, dass ich nicht mehr in Klimawandeldiskussionen und anderen | |
existenziellen Bedrohungen involviert bin, ich werde sogar mehr Zeit für | |
internationale Angelegenheiten haben.“ | |
## Kühl, spröde, geizig | |
Jerry Brown ist kein netter Typ, den man knuffeln möchte. Laut seiner | |
Biografin Miriam Pawel ist er kühl, spröde, außerdem geizig. | |
Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller, der Initiator des | |
Under2-Klimabündnisses, pries ihn seinem Ministerpräsidenten mit den Worten | |
an: „Der wird dir gefallen, der ist so verschroben wie du.“ | |
Wenn Journalisten Brown nach seinem „Vermächtnis“ fragen, dann sagt er | |
ihnen mehr oder weniger deutlich, was sie ihn können. Offiziell hat er sich | |
jeden Überbau abgeschminkt. Pathos lehnt er auch ab. Im Capitol in der | |
Hauptstadt Sacramento hat er über seiner Tür einen lateinischen Spruch | |
hängen: Age quod agis. Tu, was du tust. Daraus hat er seinen gefürchtetsten | |
Brown-Satz entwickelt: „Get on with it.“ Los, mach weiter. Das sage er | |
jeden Tag und zu jedem Anlass, sagt sein Pressesprecher Evan Westrup. | |
Warum führt denn nun Kalifornien in den USA den Kampf gegen den Klimawandel | |
an? Wer einwanderungsfreundlich ist, sich für freie Liebe, Emanzipation und | |
Homoehe engagiert, der kämpft auch gegen Erderhitzung? So läuft das nicht. | |
Sozialökologische Politik gehört nicht zur klassisch progressiven Kultur. | |
Und technologische Innovation ist gerade in Kalifornien immer erlös- und | |
niemals weltrettungsgetrieben. Sieht man ja am Silicon Valley. | |
Es hat also mit der technologischen Innovationskraft des Landes zu tun, mit | |
dem ökonomischen Erfolg von grünem Wirtschaften – und eben auch mit | |
Politikinstrumenten und ihrer Anwendung. | |
## Er widerspricht Gore | |
Und das ist dann auch der Schwenk, den Jerry Brown beim Pressegespräch im | |
Fairmont Hotel macht, als er merkt, dass er mit dem „Kalifornien ist vorn, | |
weil Kalifornien immer vorn ist“-Evergreen nicht durchkommt. Kalifornien | |
sei deshalb vorn, krächzt er nun, weil man 1969 das „First California | |
Ambient Air Quality Standards“-Gesetz verabschiedet habe. Das sei | |
einzigartig. Eigentlich ging es in der guten alten Zeit vor dem Klimawandel | |
nur um den blauen Himmel und eine gute Luft. | |
Aber aus diesem Gesetz heraus wurde auch die Autoindustrie reguliert und | |
das Elektroauto zum selbstverständlichen Bestandteil des Staus in der Bay | |
Area gemacht. „Ursprünglich war es Luftverschmutzung, jetzt ist es | |
CO2-Verschmutzung, als einziger der 50 Staaten haben wir diese Macht“, sagt | |
Brown. | |
Der Punkt ist: Der Gouverneur glaubt nicht, dass der Mensch sich ändert | |
oder „über sich hinauswachsen“ wird, wie das der frühere Vizepräsident Al | |
Gore gern beschwört. Brown glaubt an die Kraft der Politik durch Gesetze. | |
Das kommt in allen seinen großen Reden an zentraler Stelle. | |
Beim Klimagipfel tags zuvor steht der US-amerikanische Popstar Dave | |
Matthews im Holzfällerhemd auf der Bühne des Moscone Center und singt | |
gerade Woody Guthries „This Land Is Your Land“, als sich im Publikum ein | |
Chor von Protestierenden von den Sitzen erhebt. „Jerry Brown, das ist deine | |
letzte Chance“, singen sie: „Lass das Öl im Boden“. Matthews hat aufgeh�… | |
zu spielen, lächelt und sagt dann, er denke, das sei unser aller letzte | |
Chance. Draußen in der Third Street geht der Protest einiger NGOs gegen | |
Brown und dessen angeblich zu enge Beziehungen zur Ölindustrie weiter. | |
## Es geht voran, aber viel zu wenig | |
Ja, er habe „Weltklassearbeit geleistet“ bei CO2-Reduktionen durch | |
Effizienz und erneuerbare Energien, schreibt der führende Umweltaktivist | |
Bill McKibben per E-Mail auf die Frage nach Browns Leistung. Aber „so gut | |
wie nichts“, was das Zurückdrängen von Öl und Gas angehe. | |
Das Öl muss im Boden bleiben. Das ist auch dem Gouverneur klar. Aber | |
Kalifornien wurde nicht auf Gold und Kultur aufgebaut, sondern auf Öl und | |
Gas. Ohne Ölindustrie geht nichts, ohne Auto auch nicht. Dann würde das Öl | |
eben aus Saudi-Arabien importiert, sagt Brown. Derzeit fahren noch 32 | |
Millionen fossil betriebene Autos rum. Man muss keine 60 Jahre in der | |
Politik gewesen sein, sondern nur Menschen ernst nehmen, um zu wissen, dass | |
man mit dem Versprechen deutlich höherer Benzinpreise keine Wahl gewinnen | |
kann. | |
Irgendwann ist man bei ökoprogressiven Politikern immer an diesem Punkt: Es | |
geht voran, aber es viel zu wenig. Vielleicht hat Brown auch deshalb zum | |
Abschied eine richtig große Vorgabe gemacht: Das Gesetz SB 100, nach dem | |
Kalifornien bis 2045 seine Energie zu 100 Prozent erneuerbar produzieren | |
muss. Das ist kein Schmu, sondern der Gegenpol zu Trumps Kohle-Revival und | |
zwingt den Staat in den kommenden Jahren, den Status quo komplett | |
umzuschmeißen. | |
Der Stanford Professor Mark Z. Jacobson hatte 2014 die Vorlage für das | |
Gesetz geschrieben, nach dem Kaliforniens Energie bis 2045 zu 100 Prozent | |
erneuerbar produziert wird. Jetzt steht er im Konferenzsaal eines Hotels im | |
Silicon Valley und sagt auf die Frage, wie man denn nun den Gouverneur | |
historisch einzuschätzen habe: „Brown hat die normalen Konflikte von | |
Politikern, aber er ist besser als die meisten anderen.“ Die Gegenposition | |
kommt von allerhöchster politischer Stelle. „Ich denke, Governor Brown hat | |
einen sehr schlechten Job gemacht“, sagt Donald Trump. | |
Damit dürfte der Sachverhalt geklärt sein. | |
5 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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