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# taz.de -- Die Wahrheit: Heteronormativ hüpfen
> Das altböse Patriarchat streckt seine Griffel sogar nach
> Grundschulkindern aus. Glücklicherweise haben die ihren eigenen Kopf.
Bild: Wieso kann ich dem Kind erfolgreich einreden, Windräder dienten als Prop…
Gestern mit der Achtjährigen ein ernstes Gespräch gesucht und gefunden. Es
ging ums Heiraten. Die Tochter hat da reichlich verquere Ansichten,
gedanklicher Sperrmüll, der von Zeit zu Zeit beiseite geräumt werden muss.
So pflegte sie beispielsweise auf dem Sofa herumzuhüpfen und „Ich heirate!
Ich heirate!“ zu krähen. Wie sich heraustellte, hatte das Kind nicht etwa
„den Richtigen“ gefunden. Sondern das Herumhüpfen auf dem Sofa schlicht mit
dem heiligen Sakrament der Ehe verwechselt.
Hinter diesem putzigen Irrtum, schnell aufgeklärt, kam prompt ein
wesentlich größeres Problem zum Vorschein. In einer warmen Aufwallung
liberaler Fortschrittlichkeit erklärte ich dem Mädchen, es müsse keineswegs
einen dieser nasebohrenden, „Fortnite“ zockenden Hallodris aus ihrer
Grundschule zum Mann nehmen. Ich sähe es vielmehr mit Wohlwollen, führte
ich aus, wenn sie später mal eine Frau zur Frau nähme. Worauf die Tochter
mit einer Wut reagierte, der ein bedenkliches Maß an Ekel beigemischt war:
„Ich hüpfe doch nicht mit einer Frau!“
Dergestalt also sind die Verheerungen, die eine patriarchal geprägte
Heteronormativität im Gemüt unschuldiger Knirpse anrichtet. Wieso kann ich
dem Kind erfolgreich einreden, Windräder dienten als Propeller für die
Drehung der Erde – nicht aber, dass ein Mann einen Mann und eine Frau eine
Frau ehelichen kann? Noch heute würde ich das Geolino-Abo kündigen, gäbe es
morgen so etwas wie Missy … for Kids! Ausbaufähig ist die Freundschaft
zwischen „Bibi und Tina“. Hilfreich wäre auch „Das Unbehagen der
Geschlechter“ von Judith Butler in „leichter Sprache“.
Ein anderes Mal beschäftigten wir uns mit Farben und kamen auf Vantablack.
Vantablack besteht aus Nano-Röhrchen, in deren Geflecht sich alles Licht
verfängt. Nichts wird reflektiert, es ist das schwärzeste Schwarz auf
diesem Planeten. Objekte, die mit Vantablack gestrichen sind, verlieren
daher ihre Gestalt. Zwecklos, sich im Internet einen Eindruck verschaffen
zu wollen. Alles wirkt, als hätte ein schwer depressiver Grafikdesigner den
betreffenden Gegenstand einfach gelöscht.
Die Achtjährige zeigte sich von den epistemologischen Implikationen dieser
Errungenschaft nur mäßig beeindruckt: „Hm, ja, na ja. Zeig mir doch lieber
mal das rosaste Rosa, das es gibt!“ Überraschenderweise gibt es das. Es ist
ein so dermaßen pinkes Pink, dass man sich beim Betrachten fühlt, als ginge
direkt unter der Schädeldecke eine mit Zuckerwasser gefüllte
Sprinkleranlage los. Pures Glück.
Es ist also noch Hoffnung und überdies bald Halloween. Lange hat die
Tochter über die Rolle gegrübelt, in die sie dann zu schlüpfen gedenkt.
Irgendwann kam sie gravitätisch aus ihrem Zimmer gehüpft, ein schwarzer
Umhang über dem rosafarbenen Schlafanzug, und piepste röchelnd: „Ich bin
Darth Lillifee!“
26 Oct 2018
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Patriarchat
Heteronormativität
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Friseure
Kulturgüter
Starbucks
Chemnitz
Wind
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