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# taz.de -- Die Wahrheit: Killer im Blaumann
> Viele Berufe sind bereits verschwunden, einige werden bald aussterben,
> einen aber wird es noch in tausend Jahren geben – den Kammerjäger.
Bild: „Die Hinfälligkeit des Körpers“, so heißt dieser mittelalterliche …
Neulich die Geigenlehrerin der Tochter begrüßt. Gerade als sie das edle
Instrument aus seinem Futteral holte, huschte über die blütenweiße
Tischdecke ein sichtlich verstörter Silberfisch – von der plötzlichen
Helligkeit allerdings nicht ansatzweise so verschreckt wie die
Geigenlehrerin durch seine Anwesenheit. Das war der Moment, in dem ich es
endgültig satthatte. Und den Kammerjäger bestellte.
Böttcher, Wagner oder Scherenschleifer wird man heute auf dem Arbeitsmarkt
so schwerlich finden wie in wenigen Jahren Briefträger, Flugbegleiter oder
Zeitungsreporter. Kommt ja derzeit die Digitalisierung über die Berufe wie
seinerzeit der Komet über die Dinosaurier. Kammerjäger aber gibt es noch,
sie heißen nur „Hygiene UG“ oder „Kill ’em all GmbH“. Was kreucht und
fleucht, das widersetzt sich naturgemäß der Ausrottung.
Der junge Mann wirkte so gar nicht wie ein „Ghostbuster“, eher wie ein
routinierter Auftragskiller im Blaumann, mit einem silbernen Köfferchen
voller Massenvernichtungswaffen. Weidmannsheil! Während er leutselig ein
farb- und geruchloses Gel an strategischen Stellen verteilte, fragte ich
ihn nach seinem Beruf aus: „Was wäre denn der Endgegner? Die Kakerlake,
oder?“
Die ordinäre Schabe, lernte ich, sei maßlos überschätzt. Nicht einmal einen
läppischen Atomkrieg würde sie überleben und verschwände vom Angesicht der
Erde. Die wäre dann übrigens von Katzen bevölkert. „Noch tun sie ganz
harmlos, aber wenn’s knallt … dann übernehmen sie den Laden hier“, erkl�…
der Meuchler.
Der eigentliche Endgegner für den Schädlingsbekämpfer sei die Bettwanze. Da
nütze es nichts, die befallene Matratze zu verbrennen. Vielmehr müsse der
betroffene Raum komplett isoliert und mit speziellen Geräten über mehrere
Stunden auf eine Temperatur von über 50 Grad erhitzt werden: „Da gerinnt
dann das Eiweiß, das macht sie fertig!“
Der Silberfisch hingegen sei nicht einmal ein Schädling im orthodoxen
Sinne. Nur ein „Lästling“, weil es rein ästhetisch lästig ist, wenn er in
irrsinnigem Tempo auf der Suche nach Hautschuppen und ähnlich
mikroskopischem Müll durch die Wohnung patrouilliert. „Aber der tut nix“,
versicherte er und setzte vergnügt einen weiteren Tropfen tödlicher
Farblosigkeit ins Badezimmer.
Dann ließ er die Verschlüsse seines Köfferchens zuschnappen und sagte: „Die
Krätze erlebt gerade ein Comeback. Wegen der Flüchtlinge. Die schleppen
irgendwelche syrischen Milben ein und – zack! – juckt’s überall.“ Meine
Frage, ob er gegen diese Milben den Einsatz von Chlorgas oder Fassbomben
befürworten würde, ließ er unbeantwortet. „Achten Sie lieber auf die
Achtbeinigen“, salbaderte er zum Abschied: „Im Schlaf verschluckt jeder
Mensch bis zu 50 Spinnen im Jahr!“
Es geht eben nichts über einen Experten im Haus. Kaum war er weg, schrubbte
ich das Gift für die Silberfischchen aus den Ecken. Soll sich die
Geigenlehrerin mal nicht so haben.
30 Nov 2018
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Friseure
Krätze
Kulturgüter
Patriarchat
Starbucks
Chemnitz
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