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# taz.de -- Fachkräfte aus Bosnien und Herzegowina: Weg aus dem Armenhaus Euro…
> Deutschland zieht Einwanderer aus ganz Europa an. Länder wie Bosnien
> bluten aus, weil immer mehr Fachkräfte weggehen.
Bild: Viele Menschen aus Bosnien wünschen sich eine bessere Zukunft für ihre …
Sarajevo taz | Deutschland benötigt Fachkräfte: Diese Nachricht hat sich
längst in Südosteuropa herumgesprochen. Abertausende ziehen in den Norden
um, was ihre Heimatländer für immer verändert. Bosnien und Herzegowina ist
ein typisches Beispiel: „Wir verlieren unsere besten Köpfe“, klagt Jasmina
Husanović, die Kulturwissenschaften an der Universität Tuzla lehrt. „Viele
meiner Absolventen emigrieren, die meisten nach Deutschland.“
Seit 2013 haben etwa 150.000 Bosnier ihre Heimat verlassen. Vor allem die
Dörfer und kleinen Städte leeren sich. Das Land zählt nur noch etwas mehr
als drei Millionen Einwohner. Die offizielle Arbeitslosigkeit beträgt knapp
40 Prozent, doch bei den Jugendlichen und Uni-Absolventen liegt sie bei
„etwa 70 Prozent“, wie Husanović schätzt. Für die meisten bleibt nur das
Ausland.
Damit rollt [1][die zweite Migrationswelle] durchs Land: Während des
Bürgerkriegs von 1992 bis 1995 wanderten ebenfalls Hunderttausende aus. Die
Bosnier im Ausland sind längst ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die
Heimat, denn ihre Überweisungen an die Verwandten zu Hause entsprechen etwa
14 Prozent der bosnischen Wirtschaftsleistung.
Bosnien und Herzegowina ist das Armenhaus Europas. Die Kaufkraft pro Kopf
beträgt umgerechnet 11.404 US-Dollar im Jahr, wie der Internationale
Währungsfonds berechnet hat. Damit liegt Bosnien noch hinter dem Irak oder
Sri Lanka. Doch völlig hoffnungslos ist die Lage nicht: Die Wirtschaft
wächst jährlich um etwa 3 Prozent.
## Bosnien nur eingeschränkt zu empfehlen
Ein florierendes Unternehmen ist beispielsweise der deutsche Autozulieferer
Veritas. Momentan hat die Tochter in Sarajevo 380 Mitarbeiter und macht
einen Umsatz von 35 Millionen Euro im Jahr; demnächst sollen es 550
Mitarbeiter und 70 Millionen Umsatz sein. „Wir sind keine verlängerte
Werkbank“, betont Geschäftsführer Ervin Berbić. „Wir haben eine eigene
Entwicklungsabteilung.“ Der Standort Sarajevo produziert vor allem
Kunststoffleitungen, die Wasser, Luft, Kraftstoffe und Öl transportieren.
Kunden sind Daimler, BMW, VW, Opel und Ford.
Nicht nur Veritas hat Bosnien entdeckt. Berbić erhält „einmal pro Woche
einen Anruf von irgendeinem Unternehmen, das wissen will, ob es sich lohnt,
in Bosnien zu investieren“. Die Fragen der deutschen Investoren seien immer
die gleichen: Gibt es qualifiziertes Personal? Wie hoch sind Zoll und
Steuern? Ist die politische Lage stabil?
Berbić schmerzt es, dass er Bosnien nicht uneingeschränkt empfehlen kann.
Ein Problem ist die korrupte Bürokratie. Bei Transparency International
rangiert das Land weit hinten – auf Platz 91. Von den Balkanländern
schneidet nur Mazedonien noch schlechter ab.
Zudem sind Fachkräfte oft rar, weil nämlich nicht nur Arbeitslose
auswandern – auch Festangestellte verlassen das Land. „Die gehen nicht
wegen des Geldes“, sagt Berbić. „Sie wollen nicht mehr in dieser
Gesellschaft leben. Sie wünschen sich eine sichere Zukunft für ihre
Kinder.“ Auch Professorin Husanović fürchtet, dass diese Fachkräfte nicht
mehr nach Bosnien zurückkehren werden. „Sie nehmen ihre ganze Familie mit
ins Ausland.“
## Lukrative Stellen nur für treue Parteigänger
Bosnien und Herzegowina ist [2][zwar offiziell eine Demokratie], doch die
nationalistischen Regierungsparteien haben das Land fest im Griff. 50
Prozent der Bosnier arbeiten beim Staat oder bei den großen Staatsfirmen,
die weitaus besser zahlen als die Privatwirtschaft. Diese lukrativen
Stellen werden nur an treue Parteigänger vergeben. Jetzt im Oktober waren
wieder Wahlen in Bosnien und Herzegowina: Viele Staatsbedienstete mussten
per Handyfoto hinterher beweisen, dass sie im Sinne der Regierungsparteien
abgestimmt hatten.
„Es ist unser größtes Problem, dass wir die großen Staatsbetriebe wie die
Telefon- und Elektrizitätsfirmen nicht privatisiert haben“, sagt Sead
Turčalo, der Politikwissenschaften an der Universität Sarajevo lehrt.
„Diese Stellen sind eine Möglichkeit für die Eliten, die Wähler an der
Basis ruhigzustellen.“
Dennoch bleibt Turčalo optimistisch, der im Bürgerkrieg mit seinen Eltern
nach Nordrhein-Westfalen floh und 1999 freiwillig nach Sarajevo
zurückkehrte: „In Bosnien ist es in den letzten zwanzig Jahren deutlich
besser geworden, trotz aller Rückschläge.“ Aber auch er sieht mit Sorge,
dass so viele junge Leute das Land verlassen. „Das ist nicht nur ein brain
drain, sondern auch ein moderate drain.“ Die Hoffnungsträger gehen – und
zurück bleiben die Nationalisten.
31 Oct 2018
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## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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