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# taz.de -- Wahl in Bosnien-Herzegowina: Auf der Suche nach Gerechtigkeit
> Im Bosnienkrieg retteten Štefica und Nedjelko Galić Verfolgten das Leben.
> Sie gerieten selbst ins Fadenkreuz kroatischer Nationalisten.
Bild: Ein Wahrzeichen Bosnien-Herzegowinas: die alte Brücke in Mostar
Sarajevo taz | Ein Film hat das Leben der 55-jährigen bosnischen Kroatin
Štefica Galić auf den Kopf gestellt. Noch einmal. Sie zögert, darüber zu
sprechen, was damals im Sommer 2012 nach dem Ausstrahlen eines
Dokumentarfilms über ihren Ende der 90er Jahre verstorbenen Mann, über
Nedjelko Galić, geschehen ist. Der Film handelt von ihrer beider Leben als
linke Kroaten in einem feindlichen und von kroatischem Nationalismus
geprägten Umfeld. Sie hoffte, ihrem Mann Nedjelko würde mit dem Film vor
allem in der kroatischen Volksgruppe die Anerkennung zuteil, die ihm
zukommt. Er als ein „Schindler aus Ljubuški“.
Der heftige Wind zwischen den Felsen unterhalb der alten Brücke von Mostar
zaust an ihren blonden Haaren. Eigentlich mag die 55-Jährige diesen von
Touristen überlaufenden Ort gar nicht. Er ruft Erinnerungen wach. Denn im
Herbst 1993 wurde das Symbol des Zusammenlebens der Kulturen von
kroatischen Granaten getroffen und zerstört.
Gleichzeitig aber ist die wiederaufgebaute Brücke ein sicherer Ort, weil er
im muslimischen Ostteil der Stadt liegt. Denn Štefica fühlt sich von ihren
herzegowinisch-kroatischen Nachbarn und Behörden im kroatischen Westteil
der Stadt verfolgt. „Ich hoffte, mit dem Dokumentarfilm würde unsere
gemeinsame Geschichte während des letzten Kriegs in Bosnien und Herzegowina
abgeschlossen.“
Sie lächelt jetzt. „Nedjo war ein Rocker.“ Mit langen Haaren und Motorrad.
Er war in den 80er Jahren in dieser Gegend Jugoslawiens eine auffällige
Person. In der nahe gelegenen Kleinstadt Ljubuški mit ihrer katholischen,
also kroatischen, Bevölkerungsmehrheit, galt er als Rebell.
## Im Frühjahr 1992 änderte sich das Leben radikal
„Wir beide fühlten aber, dass etwas nicht stimmt.“ Denn die nordwestlich
von Mostar gelegene Westherzegowina mit ihren gerade einmal 250.000
Einwohnern war während der kommunistischen Zeit Jugoslawiens ein
erzkonservativer Landstrich geblieben. „Die meisten Kroaten hier standen
während des Zweiten Weltkriegs auf der Seite des von Hitler und Mussolini
eingesetzten faschistischen kroatischen Ustascha-Staates“, erinnert sie
sich. Hunderttausende Serben, Juden und Roma starben in den
Ustascha-Konzentrationslagern Jasenovac, Gradiska und anderen. „Niemand
wollte in Ljubuški über diese Vergangenheit reden“
„Nedjo stellte sich gegen jegliche Form des Nationalismus.“ Und er eckte
deshalb schon vor dem Krieg der 90er Jahre an. Doch im sozialistischen
Jugoslawien konnten sie nichts gegen ihn unternehmen. „Wir gründeten eine
Familie.“
Sie bekamen drei Kinder, sie bauten ein nahe der Polizeistation gelegenes
Fotogeschäft auf. Der Standort war klug gewählt. Jeder, der ein Passbild
brauchte, kam zu ihnen. Doch im Frühjahr des Jahres 1992 änderte sich das
Leben radikal. Kurz nach der Unabhängigkeitserklärung Bosnien und
Herzegowinas von Jugoslawien kam es zu Kämpfen zwischen serbischen
Streitkräften und den kroatischen und muslimischen Milizen. Die Serben
eroberten zwei Drittel des Landes, Zehntausende Muslime und Kroaten kamen
ums Leben, zwei Millionen wurden in die Flucht getrieben. In Mostar
behielten Kroaten und Muslime die Oberhand. In den Kroatengebieten der
Westherzegowina begannen nun kroatische Nationalisten ihrerseits mit der
Hatz auf Serben. Als sie Schreie aus der nahegelegenen Polizeistation
hörten, vermuteten sie, dass dort serbische Zivilisten, Frauen und Männer,
gefoltert wurden. Štefica und Nedjo versuchten zu helfen. Jetzt gerieten
sie selbst in das Fadenkreuz des kroatischen Nationalismus.
Erst zwanzig Jahre nach den Vorfällen begann sich eine bekannte Autorin für
den Stoff zu interessieren. Es war keine Geringere als Svetlana Broz, die
in Sarajevo lebende Enkelin des ehemaligen Staatschefs und
Partisanenführers Jugoslawiens, Josip Broz, die auf eine Verfilmung
drängte. Der Film „Neđo od Ljubuškog“ (Nedjo aus Ljubuški) zeigt, wie d…
beiden im Frühsommer 1993, als die kroatischen Nationalisten nun auch die
bisher verbündeten Muslime der Region verfolgten, den Opfern halfen. Viele
wollten damals nach Deutschland fliehen.
Die Deutschen verlangten Einladungsbriefe, das heißt, jemand aus
Deutschland musste sich schriftlich bereit erklären, für den jeweiligen
Flüchtling persönlich – auch finanziell – geradezustehen. In ihrem
Fotogeschäft hatten Nedjo und Štefica die Möglichkeit, Einladungsbriefe zu
fälschen. Hunderte von Verfolgten wurde so die Ausreise nach Kroatien und
dann weiter nach Deutschland ermöglicht. Vor allem Menschen aus dem nahe
gelegenen und von Bosniaken (Muslimen) bewohnten Dorf Gradska konnten so
den Häschern entkommen. Wer ohne Papiere gefasst wurde, landete in den
KZ-ähnlichen Lagern Heliodrom, Dretelj oder Gabela.
## Sie sei eine Verräterin, lautete ein Vorwurf
Der Dokumentarfilm rekonstruiert die Geschichte dieser Zeit. Es stellte
sich heraus, dass es doch Möglichkeiten gab, damals Widerstand zu leisten
und menschlich zu handeln. Auch wenn nur für kurze Zeit. Kroatische
Nachbarn bedrohten sie. „Ihr seid doch Kroaten, wie könnt ihr dann den
Feinden helfen?“ Sie verließen die Region, gingen nach Prag, mieteten dort
eine Wohnung, Nedjo jedoch wollte nach Kriegsende zurück in seine Heimat.
„Ich nicht“, sagt Štefica jetzt unter der Brücke in Mostar, denn sie ahnt…
was dann kommen sollte. „Die Anfeindungen gingen weiter, niemand wollte
sich mehr von uns fotografieren lassen.“ Das Geschäft ging pleite. Nedjo
wurde krank. Für die Medikamente musste sie Kredite aufnehmen. Er starb
schließlich an Krebs.
So endet auch der Film. Sie saß nach seinem Tod Ende der 90er Jahre auf den
Krediten und musste nach Italien fahren, um als Obstpflückerin Geld für
sich und die Kinder zu verdienen. Štefica hoffte, dass die im Film
gezeigte, von ihnen praktizierte Menschlichkeit auf die Menschen ihrer
Stadt ausstrahlen würde. Doch es kam ganz anders. Es brach ein riesiger
Shitstorm über sie herein. Wütende Kroaten aus Kroatien, der
Westherzegowina und vor allem Leute aus ihrem Heimatort Ljubuski drohten
ihr das Schlimmste an. Sie sei eine Verräterin, sie habe sich als Kroatin
auf die Seite der Feinde gestellt, war und ist bis heute einer der noch
mildesten Vorwürfe. Eine Angestellte der Gemeinde, Vera Dedić, schlug im
Hofe des Franziskanerklosters auf sie ein. Doch niemand kam ihr zu Hilfe.
Auch nicht die Mönche.
Štefica zeigte die Angreiferin bei der Polizei an, die angesichts der
offensichtlichen Beweislast die Frau zu einer kleinen Geldstrafe
verurteilen musste. Doch die Anfeindungen gingen weiter. Ihr blieb nichts
anderes übrig, als mit ihren Kindern nach Mostar zu fliehen. Heute lebt sie
im muslimischen Ostteil der Stadt. Mehrmals wurde sie im Westteil von
aggressiven Kroaten angegriffen. „Sie tun alles, um mir das Leben schwer zu
machen“, sagt Štefica.
Doch sie gab nicht auf, gründete das Portal tacna.net, um sich zu wehren.
Damit löste sie einen kleinen Informationskrieg aus. In dem Portal meldet
sich immerhin die Elite der nicht nationalistischen Intellektuellen in
Bosnien und Herzegowina zu Wort.
## Ivan Šušnjar – Lobbyist für die kroatische Sache
Poskok bezeichnet eine in der Herzegowina vorkommende besonders giftige
Viper. Viper, so heißt auch das kroatische Portal, das sich Štefica in
mehreren Artikeln vorgeknöpft hat. Chefredakteur ist Ivan Šušnjar, ein
jovial und freundlich daherkommender Enddreißiger. Er gilt in der
kroatischen nationalistischen Szene als umtriebiger Geist, oftmals
eingeladen in Brüssel oder den USA. Er ist ein Lobbyist für die kroatische
Sache. Er ist fest verankert in der Struktur der Kroatischen Demokratischen
Gemeinschaft HDZ-BiH, der kroatischen Nationalpartei, mit Kontakten bis in
die „höchsten Geheimdienstkreise in Zagreb“.
Ein bisschen angeberisch ist er auch: Der starke Mann und Spitzenkandidat
der HDZ, Dragan Čović, „ist mein Freund,“ gibt er einmal stolz preis.
Gleichzeitig betont er geschmeidig seine Weltoffenheit.
Als Chefredakteur von Poskok ist er verantwortlich für die Verleumdung
Šteficas, die zu den Hassausbrüchen ihr gegenüber führten. Es war der
Journalist Ivan Filipćić, der unter anderem in dem Portal Poskok längere
Anschuldigungen gegen die Galićs formulierte. Sein kurz nach dem Film
geschriebener Text „Nedjo weit weg von Ljubuški“ versucht, Nedjo als einen
unbedeutenden, unausgebildeten Fotografen ohne Talent darzustellen. Nedjo
sei kein „Schindler aus der Herzegowina“, wie der Film es suggeriere,
sondern ein Spitzel, der die von ihm gemachten Passfotos zum jugoslawischen
Geheimdienst gebracht habe. Er habe zudem Geld von den Muslimen verlangt,
für die er die Einladungsbriefe gefälscht habe.
Ivan Šušnjar bestreitet diese ohne Beweise aufgestellte Behauptung seines
Kollegen nicht. Sagt nur, er habe auch Gegenpositionen veröffentlicht. Die
Mörder von damals seien Anhänger des berüchtigten Milizenchefs Tuta aus
Mostar gewesen, nicht die gesamte Bevölkerung von Ljubuški. Doch weiter
geht er in seiner Kritik nicht.
## Štefica reagierte mit Klagen gegen Verleumdungen
Šušnjar, der während des Kriegs noch Kind war, gehört zu einer Generation
von Leuten, die nur aufgrund der Protektion der nationalistischen Parteien
ihren Lebensunterhalt verdienen können. Nur wenn er von der Führung
anerkannt und als nützlich empfunden wird, kann er aufsteigen.
Natürlich war er anwesend, als die Führungsriege vor Kurzem den 25.
Jahrestag der Gründung des Parastaats Herceg-Bosna gefeiert hat. Die
„Kroatischen Verteidigungsstreitkräfte“ HVO hätten während des letzten
Krieges nur die Kroaten gegen die Angriffe der anderen verteidigt, ist die
offiziell gültige Position der HDZ, die bei den Wahlen am 7. Oktober mit 90
Prozent der kroatischen Stimmen rechnet. Dass Kroaten Verbrechen begangen
hätten, passt da nicht ins Bild und muss geleugnet werden. Nestbeschmutzer
wie Štefica Galić darf es in diesem Weltbild nicht geben.
Štefica reagierte mit Klagen gegen diese Verleumdungen. Das Gericht in
Ljubuški lehnte ihre Klage mit der Begründung ab, eine kritische
Berichterstattung über einen Film sei erlaubt, es handele sich bei der
Kritik um den künstlerischen Wert eines Films und keineswegs um eine
Verleumdung. Das Kantonalgericht urteilte ähnlich, schmerzlich war für
Štefica: Der Oberste Gerichtshof in Sarajevo bestätigte diese Urteile. „Ich
habe jegliches Vertrauen in die Justiz unseres Landes verloren“. Sie sitzt
wiederum auf einem Schuldenberg. Denn die Gerichtskosten wurden der
Klägerin angelastet.
Eine deutsche Anwältin will ihre Klage zum Menschengerichtshof nach
Straßburg bringen. „Sie sollen nicht glauben, dass sie mit allen Lügen
durchkommen.“ Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, wenn sie davon spricht,
dass am 29. November 2017 vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag
die Urteile gegen die ehemalige Führungsriege der Kroaten, Jadranko Prlic
und andere, bestätigt wurden. Sie deutet auf die Brücke. „General Praljak
hat 1993 ihre Zerstörung befohlen. Die Schuld dieser Leute ist in Den Haag
bewiesen worden. An dieser Wahrheit kommt niemand mehr vorbei.“ Jetzt wirbt
sie um Unterstützung für ein multinationales Schulprojekt. „Die Zukunft
sind die Kinder.“ Štefica, die Herzegowinerin, will nicht aufgeben.
6 Oct 2018
## AUTOREN
Erich Rathfelder
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