# taz.de -- Glyphosat-Studien und Krebs: Die Tricks der Bayer-AG | |
> Mehr als 800 Studien würden bestätigen, dass das Pestizid nicht Krebs | |
> verursache, behauptet Bayer. Doch nur rund 50 Analysen beschäftigen sich | |
> mit der Frage. | |
Bild: Es gibt hier nichts zu sehen | |
BERLIN taz | Der Chemiekonzern Bayer trickst mit falschen Zahlen. Dem | |
Unternehmen nach bestätigen „mehr als 800 wissenschaftliche Studien“, dass | |
das Pestizid Glyphosat seiner US-Tochter Monsanto nicht krebserregend sei. | |
In Wirklichkeit gehen nach taz-Recherchen jedoch nur rund 50 Analysen | |
überhaupt auf diese Frage ein. Noch weniger zeigen, dass der Verdacht gegen | |
das Unkrautvernichtungsmittel unbegründet ist. | |
Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff – und vor allem | |
umstritten, weil die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation | |
ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat. Da die | |
zuständigen Fachbehörden der Europäischen Union das Mittel jedoch für | |
unbedenklich halten, haben die EU-Staaten Glyphosat Ende 2017 für weitere | |
fünf Jahre zugelassen. Dennoch wird zum Beispiel in Deutschland darüber | |
diskutiert, glyphosathaltige Pestizide zu verbieten. | |
In den USA muss sich Bayer gegen rund 8.700 Klagen wegen mutmaßlich durch | |
den Wirkstoff verursachte Erkrankungen verteidigen – und ist bereits in | |
einem Fall erstinstanzlich zu Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt | |
worden. | |
Der Leverkusener Konzern hat mehrmals versucht, Bedenken zu zerstreuen und | |
auf eine angebliche Vielzahl von entwarnenden Untersuchungen hingewiesen. | |
In seinem [1][Zwischenbericht zum 2. Quartal] behauptete Bayer: „Mehr als | |
800 wissenschaftliche Studien [....] sowie Aufsichtsbehörden weltweit haben | |
bestätigt, dass Glyphosat bzw. Glyphosat-basierte Herbizide nicht | |
krebserregend sind und dass die bestimmungsgemäße Anwendung sicher ist.“ | |
## Großes Medienecho | |
Bayer-Chef Werner Baumann sagte in einer [2][Telefonkonferenz mit | |
Aktionären] am 23. August, „dass mehr als 800 wissenschaftliche Studien und | |
Berichte und andere Quellen die Schlussfolgerung unterstützen, dass | |
Glyphosat nicht Krebs verursacht.“ Fast gleichlautend äußerte sich | |
[3][Scott Partridge], Vizepräsident von Monsanto. | |
Zahlreiche Medien weltweit zitierten diese Aussagen, zum Beispiel [4][CNN], | |
[5][BBC], [6][New York Times und] [7][Neue Zürcher Zeitung]. Die FAZ | |
schrieb unter Bezug auf Baumann: „Wiederholt wies er auf 800 Studien in | |
aller Welt hin, in denen kein Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von | |
Glyphosat und Krebserkrankungen hergestellt worden sei.“ Laut der | |
[8][Deutschen Presseagentur] verwies Baumann auf „mehr als 800 | |
wissenschaftliche Studien, die bestätigt hätten, dass Glyphosat nicht | |
krebserregend sei“. In der [9][Süddeutschen] hieß es, Partridge zufolge | |
„belegen mehr als 800 wissenschaftliche Studien und Bewertungen … den | |
Befund“. Ähnliche Zitate erschienen in der [10][taz], | |
[11][Wirtschaftswoche] und bei der Nachrichtenagentur [12][afp]. | |
Doch Belege für seine 800-Krebsstudien-Behauptung bleibt die Bayer-AG | |
schuldig. Auch nach mehreren Bitten schickte Konzern-Sprecher Utz Klages | |
der taz keine vollständige Liste der Untersuchungen zur Krebsgefährdung | |
durch Glyphosat. Stattdessen mailte er etwa 1.000 Verweise auf Studien | |
allgemein zu dem Wirkstoff. Rund 460 davon haben nach den | |
Kapitelüberschriften der Literaturlisten nichts mit Krebs zu tun. Sie | |
stehen zum Beispiel in Abschnitten mit den Titeln „Analytische Methoden“ | |
zur Messung von Glyphosat, „Physikalische und chemische Eigenschaften“ wie | |
dem Schmelzpunkt, „Verhalten in der Umwelt“, „Giftigkeit für die Umwelt�… | |
etwa für Bienen oder Bodenorganismen. | |
Zieht man diese Studien ab, könnten also höchstens etwa 550 Studien | |
belegen, dass Glyphosat keinen Krebs verursacht. Aber selbst unter diesen | |
Untersuchungen, beispielsweise in den „Toxikologie“-Kapiteln, finden sich | |
kaum Krebsstudien. Stattdessen befassen sich die meisten etwa damit, ob das | |
Pestizid die Augen von Kaninchen reizt oder ob es akut toxisch auf | |
Versuchstiere wirkt. Krebs ist aber eine chronische Krankheit. | |
Auf Nachfrage räumte der Bayer-Sprecher ein, dass beispielsweise die | |
US-Umweltschutzbehörde EPA nur „mehr als 100 als relevant eingeschätzte | |
Studien für ihre Einschätzung“ untersucht habe, dass Glyphosat | |
„wahrscheinlich nicht krebserregend für Menschen“ sei. Damit sagt er nicht, | |
dass sich alle 100 Studien auf Krebs beziehen würden. | |
Die Formulierung könnte auch bedeuten, dass die EPA bei ihrer Recherche 100 | |
Studien allgemein zu Glyphosat gefunden hat, sich aber nur wenige davon auf | |
Krebs bezogen. Klages blieb auch auf Bitten der taz eine Liste mit genauen | |
Quellenangaben zu den 100 Titeln schuldig. Die taz solle sich doch bitte | |
selbst an die EPA wenden, antwortete der Sprecher nur. | |
Wie viele Krebsstudien gibt es also wirklich? Das deutsche Bundesinstitut | |
für Risikobewertung (BfR) nennt auf Anfrage der taz nur rund 50 | |
wissenschaftliche Berichte zu Glyphosat mit einem Bezug zu Krebs. Davon | |
sind 16 „Originalprüfberichte einschließlich aller Rohdaten zu | |
Kanzerogenitätsstudien in Versuchstieren“ sowie „34 Publikationen aus der | |
wissenschaftlichen Literatur zu Beobachtungen am Menschen“. | |
Auch der Biostatistik-Professor Christopher Portier bestätigt der taz, es | |
gebe schätzungsweise 50 Studien, die explizit die Frage behandeln, ob | |
Glyphosat Krebs verursacht. Der prominente Glyphosat-Kritiker hat die | |
Krebsforschungsagentur bei der Begutachtung des Pestizidwirkstoffs beraten. | |
## Weiter Studienbegriff | |
Das BfR hat kein Interesse, eine zu niedrige Zahl zu nennen. Denn das | |
Bundesinstitut hat für die EU bereits mehrmals die Sicherheit von Glyphosat | |
überprüft – und kam immer wieder zu dem Schluss, der Stoff sei | |
ungefährlich, wenn er korrekt angewendet wird. Die Behörde hat nach eigenen | |
Angaben neben den Studien der Hersteller „[13][alle verfügbaren, | |
publizierten Studien] und weitere Quellen in seine wissenschaftlichen | |
Bewertungen einbezogen.“ Das hat Bayer auch nie bestritten. | |
Dazu kommt: Unter den etwa 50 Studien sind auch welche, die manche Experten | |
sehr wohl als Hinweis auf ein mögliches Krebsrisiko durch Glyphosat | |
interpretierten. | |
Dennoch erklärte Bayer-Sprecher Klages, dass die Behauptung im | |
Quartalsbericht „keineswegs falsch“ sei. „Hinsichtlich der Studien haben | |
wir uns ausweislich des Wortlauts sowohl auf solche bezogen, die sich | |
dezidiert mit Krebsrisiken auseinandersetzen, als auch auf solche, die | |
insgesamt die Sicherheit von Glyphosat bestätigen“, schrieb Klages der taz. | |
Er interpretierte den Sinn also um: Es soll „800 wissenschaftliche Studien“ | |
zur Sicherheit insgesamt geben und nur ein Teil von ihnen beziehe sich auf | |
die Krebsfrage. Aber die umstrittene Formulierung war eindeutig anders: Die | |
800 Studien hätten die Sicherheit „und“ das Nullrisiko in puncto Krebs | |
bestätigt. So haben es ja auch die meisten Medien in Deutschland und im | |
Ausland verstanden. | |
## Schweigsame Investmentbanken | |
„Das ist eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit über die Krebsgefahr | |
von Monsantos und jetzt Bayers Glyphosat“, sagte Helmut Burtscher-Schaden, | |
Biochemiker des österreichischen Umweltverbands Global 2000, der taz. Damit | |
setze Bayer eine Praxis fort, für die Monsanto in den USA im Prozess wegen | |
der Krebserkrankung eines Glyphosat-Nutzers verurteilt worden sei. „Bayer | |
führt entgegen den Tatsachen Studien als Beweise an, dass Glyphosat nicht | |
krebserregend sei.“ | |
Die Mehrheit der Studien, die nicht von der Industrie durchgeführt wurden, | |
würden einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Krebs oder einer | |
Schädigung des Erbguts und der Exposition gegenüber Glyphosat nachweisen. | |
Die Investmentbanken JP Morgan, Exane und der Fondsverwalter Vanguard, die | |
an der Bayer-Telefonkonzerenz zu Glyphosat teilgenommen hatten, ließen | |
Bitten der taz um Stellungnahmen unbeantwortet. Auch Deutschlands größter | |
Aktionärverband, die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), | |
wollte sich nicht zu der Frage äußern, ob Bayer die Aktionäre mit falschen | |
Zahlen irregeführt hat. | |
Der Aktienkurs von Bayer ist stark gefallen, nachdem ein US-Gericht im | |
August festgestellt hatte, dass Glyphosat erheblich zur Krebserkrankung des | |
Kaliforniers Dewayne Johnson beigetragen habe. Johnson hatte als Platzwart | |
bis zu 30-mal pro Jahr Pestizide mit dem Wirkstoff auf dem Gelände von | |
Schulen ausgebracht. Das Gericht in San Francisco verurteilte Bayers | |
US-Tochter Monsanto dazu, dem Mann Schadenersatz in Millionenhöhe zu | |
zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da Bayer Widerspruch | |
eingelegt hat. | |
12 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.quartalsbericht-2018-q2.bayer.de/ | |
[2] https://www.investor.bayer.de/de/nc/events/live-events/telefonkonferenz-zum… | |
[3] https://monsanto.com/news-stories/statements/statement-scott-partridge-vice… | |
[4] https://edition.cnn.com/2018/08/15/health/glyphosate-oat-products-ewg-study… | |
[5] https://www.bbc.com/news/world-us-canada-45155788 | |
[6] https://www.nytimes.com/2018/08/10/business/monsanto-roundup-cancer-trial.h… | |
[7] https://www.nzz.ch/wirtschaft/glyphosat-prozess-monsantos-antrag-auf-neuver… | |
[8] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/97644/Bayer-rechnet-mit-weiteren-Gly… | |
[9] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/glyphosat-sieg-gegen-monsanto-1.4090… | |
[10] /!5527277/ | |
[11] https://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/hoffnung-fuer-bayer-wird-das-gly… | |
[12] http://www.badische-zeitung.de/wirtschaft-3/400-krebskranke-klagen-in-den-… | |
[13] https://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zum_verfahren_der_neubewer… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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