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# taz.de -- Geschichte der Braunkohleproteste: Die Wühlerei und der versaute B…
> Verpestete Luft und zerstörte Landschaften: Deutschlands Braunkohle-Boom
> begann vor mehr als 250 Jahren. Die Geschichte einer Verwüstung.
Bild: Die Bewohner von Borschemich wehren sich gegen den Abriss ihrer Häuser (…
Berlin taz | Seit Jahrhunderten wird in Deutschland über die Braunkohle
gestritten. Manchmal heftig, wie jüngst im [1][Hambacher Forst], manchmal
verbal, wie am Donnerstag. Da weilt die [2][Kohlekommission] in der
Lausitz, um Gegner und Befürworter des Rohstoffs vor Ort zu treffen. Bis
Ende des Jahres soll das Expertengremium einen Bericht erarbeiten, der dann
die Basis für einen Kohleausstieg bilden soll.
Irgendwann in den nächsten ein bis drei Jahrzehnten könnte es also vorbei
sein mit der raumhungrigen, aus der Zeit gefallenen Kohleindustrie. Deren
Geschichte ist schon lange eine voller Umweltsünden. Sogar, bevor
Braunkohle überhaupt abgebaut wurde, gab es Probleme. So schrieb der
römische Historiker Tacitus im Jahr 58: „Aus der Erde brach Feuer, das
allenthalben Lagerhäuser, Korn auf dem Halm, ja Dörfer ergriff und sich bis
an die Mauern der Stadt Köln ausbreitete“, berichtete er. Was da loderte
war ein Braunkohle-Flöz, der aussah wie gewöhnliche Erde.
„Turff“ oder „Cöllnische Erde“ heißt das lange für wertlos gehaltene
Produkt. Nach 1700 landet es immer häufiger im Ofen, weil das Holz knapp
wird. 1731 nennt der Niederländer Johannes Hartmanus Degnerus die
Kohlegräberei „Teutschlands neu entdeckte Goldgrube“. Die fettesten Flöze
liegen im Rheinland, im Süden von Leipzig, in der Lausitz und im
Helmstedter Revier. Bauern und Tagelöhner bauen den Stoff eher nebenbei in
Gruben ab. Erst 1751 geht im Rheinischen der erste Tagebau in Betrieb: die
Grube des Kölner Domkapitels bei Gleuel.
Seitdem wird Braunkohle systematisch gewonnen. Um sie leichter
transportieren zu können, produziert man „Klütten“ genannte Presslinge, d…
in eine Eimerform gedrückt werden. Abgebaut wird in Abstichen von bis zu
vier Meter Breite und fünf Meter Tiefe. Bald werden auch unterirdische
Gruben und Strecken angelegt, immer wieder kommt es zu tödlichen
Einstürzen. Das preußische Bergamt wettert 1819 über den „schlechtesten
Zustand“ der Wühlerei und den „ganz versauten Betrieb“ mit seinen Risiken
für Leib und Leben. Mitte des 19. Jahrhunderts erreichen die „Löcher“ das
Ausmaß heutiger Fußballstadien. Die Braunkohle verliert das Stigma, der
müffelnde Billigbrennstoff der Armen zu sein.
Entscheidend dafür ist der Siegeszug der Briketts. Die „Nasspresssteine“,
hergestellt von dampfbetriebenen Maschinen, enthalten zwar immer noch bis
zu 30 Prozent Wasser. Von 1873 an aber gelingt es, die Feuchtigkeit zu
reduzieren. 1880 existieren südlich von Leipzig schon 29 Bergwerke, die
129.231 Tonnen Rohbraunkohle fördern. Auf den neuen Eisenbahnstrecken lässt
sie sich gut transportieren, die Fördermenge verzehnfacht sich zwischen
1890 und 1910.
## Der Einstieg ins große Stromgeschäft
Eine neue Ära beginnt 1899. Kraftwerkspionier Erich Heinrich Geist und der
Direktor der Zuckerfabrik Brühl, Franz Flecken, gründen die
Elektricitatswerk Berggeist AG. Sie verstromen ab dem 6. Januar 1900
Braunkohle, sechs Jahre später übernimmt das 1898 gegründete
Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk RWE die Aktienmehrheit. Dessen
Gründer Hugo Stinnes will ganz Deutschland mit Elektrizität versorgen. 1913
lässt er das wuchtige Braunkohlekraftwerk Vorgebirgszentrale, später
umbenannt in Goldenberg-Kraftwerk, errichten – der Einstieg ins groß
dimensionierte Stromgeschäft. Ein halbes Jahrhundert später steigt RWE zum
wichtigsten Stromunternehmen und zum größten Luftverschmutzer der Republik
auf.
Während des Ersten Weltkriegs sind die Belegschaften extrem ausgedünnt, der
Frauenanteil steigt auf 12 Prozent, auch Jugendliche müssen ran und
erstmals auch ausländische Zwangsarbeiter. 1916 sind ein Drittel aller
Arbeiter im Braunkohlebergbau Mitteldeutschlands und der Lausitz
Kriegsgefangene.
Das setzt sich im Zweiten Weltkrieg fort. Unter grauenhaften Bedingungen
schuften Zehntausende Zwangsarbeiter*innen. Früher als in den anderen
Wirtschaftszweigen wird die erzwungene Arbeitsleistung zum festen
Bestandteil betrieblicher Planungen. Das Essen ist karg, Tausende sterben
an Unterernährung und Schwäche, im Winter an Kälte. Die Tagebaubetriebe
kalkulieren den Tod ein und ordern vorsorglich „Nachschub“. Allein im
Januar 1942 sterben im Tagebaubetrieb Grube Concordia im Revier Magdeburg
45 russische Kriegsgefangene.
Die Braunkohle gehorcht der Strategie Hermann Görings, die Wirtschaft
kriegsfähig und autark zu machen. Vor allem Treibstoff wird aus der
braunen Erde hergestellt – der Standort Leuna liefert 600.000 Tonnen im
Jahr für Panzer, U-Boote, Flugzeuge.
Der Autarkie-Irrsinn wird nach 1945 von der DDR fortgesetzt. Braunkohle
deckt im SED-Staat zwei Drittel des Energiebedarfs und 88 Prozent der
Stromerzeugung. Sie ist Grundprodukt der Chemieindustrie. In der Lausitz
stampft man das legendäre Braunkohlekombinat Schwarze Pumpe mit bis zu
18.000 Beschäftigten aus dem Boden: ein „gewaltiges industrielles Zentrum,
in dem sich die Kraft der Arbeiterklasse konzentriert“, schwärmt
Industrieminister Fritz Selbmann im August 1955.
Die Zerstörung der Landschaft und eine atemraubende Luftverpestung werden
in Kauf genommen. Als nach 1989 Reporter aus allen Ländern die Dörfer im
Hinterhof der Braunkohlereviere besuchen treibt es ihnen Tränen in die
Augen: Sie finden stinkende Orte, in denen kein Grashalm wachst. Mölbis,
drei Kilometer vom Braunkohle-Zentrum Espenhain entfernt, wird zum
dreckigsten Ort Europas gekürt. Hier hat die DDR Phenole für die
Plastikherstellung, Treibstoffe, Bitumen, Teer, Koks, Schmierstoffe, Öle
und Schwefel aus der Braunkohle herausgeholt. „Eine dichte Rußpatina
bedeckt das Dorf“, berichtet die taz, „selbst Enten und Hühner sind
angeschwärzt. Die Gören, die auf dem Bürgersteig spielen, sehen aus wie
Schornsteinfeger. Beißender Geruch legt jedem Neuankömmling einen Brechreiz
in den Magen.“
## Zurück bleiben Mondlandschaften
Auch im Westen sind die Umweltschäden apokalyptisch. Deutschland ist bis
heute größter Braunkohleförderer weltweit. Wo die 200 Meter langen und
14.000 Tonnen schweren Braunkohlebagger – die größten Landmaschinen der
Welt – ihre Schaufelräder drehen, bleiben Mondlandschaften zurück.
Schon um 1900 erregt der Abbau heftige Kritik. Nach Eröffnung des
Braunkohlestandorts Rahmsdorf im Münsterland 1899 ist das Wasser „so
schlecht, dass es das Vieh nicht mehr annimmt und es zum Genuss des
Menschen nicht verwendbar ist“, so eine Bergschadensklage von 1906. Viele
Ortschaften monieren braun gefärbtes Wasser, Fischsterben und
pestilenzartigen Gestank. Die Verwüstungen bleiben Jahrzehnte lang
folgenlos, bis in den 1970er Jahren die neue Umweltbewegung die Braunkohle
ins Visier nimmt. Die Anklageliste ist lang: großräumige
Grundwasserabsenkungen auf Tausenden Quadratkilometern, absackende Böden
und schwere Schäden in der Landwirtschaft, dazu der Ausstoß von Feinstaub
und Quecksilber, Schwefel, Stickoxid und Kohlendioxid.
Die Braunkohle rückt immer stärker ins Zentrum der Kritik. Im Sommer 1984
wird die Inbetriebnahme des Kraftwerks Buschhaus bei Helmstedt, der
„Dreckschleuder der Nation“, zum Lehrstück für eine zum Himmel stinkende
Umweltpolitik. Und zum Kampfplatz für Zehntausende. Die niedersächsische
Regierung definiert das im Bau befindliche Kraftwerk als „Altanlage“, damit
darf es ohne die vorgeschriebene Rauchgas-Entschwefelung in Betrieb gehen.
## Die schlimmstern CO2-Schleudern
Der Umweltverband WWF legt im April 2004 ein Ranking deutscher Klimasünder
vor. Spitzenreiter sind die Braunkohlekraftwerke Frimmersdorf, Jänschwalde
und Buschhaus. Vier der fünf schlimmsten CO2-Schleudern Europas sind
deutsche Braunkohlemeiler.
Wo sich der Bagger in die Flöze frisst, müssen Menschen weichen. 313
Siedlungen sind seit 1924 in Ost- und Westdeutschland umgepflügt worden.
Friedhöfe wurden umgebettet, Schlösser und Kirchen sanken in Trümmer, in
diesem Jahr der Dom von Immerath, ein Meisterwerk rheinischer Neuromanik.
„Devastierung“ heißt das auf Braunkohledeutsch, die Verwüstung wird ins
milde Lateinische transformiert.
Die meisten Dörfer, 136, wurden in der Lausitz umgesiedelt. Berühmtester
Fall ist Horno, ein sorbisches 380-Seelen-Dorf, trotzig, unter
Denkmalschutz, einst eines der schönsten Brandenburgs. Nach der Wende 1989
versprechen Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und sein junger
Umweltminister Matthias Platzeck die Rettung. Platzeck redet von Heimat,
die Einwohner atmen auf.
Doch am 30. März 1993 beschließt das Land Brandenburg das Gegenteil – die
Beseitigung Hornos für den Tagebau Jänschwalde. Es folgen zwölf Jahre
juristisches Tauziehen bis zur Enteignung der letzten Einwohner im November
2005. Heute kann das sorbische Dorfleben Hornos im Archiv verschwundener
Orte auf alten Filmen bestaunt werden. Die Buchführung der Zerstörung ist
mustergültig. Immerhin wird sie vorerst nicht um Videos vom Hambacher Forst
bereichert.
10 Oct 2018
## LINKS
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[2] /Vorsitzender-der-Kohlekommission/!5533190
## AUTOREN
Manfred Kriener
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