# taz.de -- Debatte Hambacher Forst: Diktatur der Konzerne | |
> Wie sich die Politik von RWE am Hambacher Forst vorführen lässt, stellt | |
> die Demokratie in Frage. Eine Warnung aus ostdeutscher Perspektive. | |
Bild: Polizisten gehen am Hambacher Forst vor einem Kohlebagger des Tagebaus vo… | |
In was für einer Demokratie leben wir eigentlich? Warum kann und darf ein | |
Unternehmen wie RWE die Handlungsfähigkeit und das Gewaltmonopol des | |
Staates in Frage stellen? Fragen wie diese drängen sich auf, wenn man das | |
absurde [1][Geschehen am Hambacher Forst] beobachtet. | |
Der Energiekonzern RWE will einen 12.000 Jahre alten Wald abholzen, um | |
Braunkohle abzubauen – also vollendete Tatsachen schaffen, obwohl eine von | |
der Bundesregierung [2][eingesetzte Kohlekommission] gerade über den | |
baldigen, strukturierten Kohleausstieg berät. Viele Bürger – besonders | |
Ostdeutsche – erkennen darin die offene Kriegserklärung eines Konzerns an | |
das Regierungshandeln, und dieser Angriff kommt einem Paradigmenwechsel in | |
unserer Demokratie gleich. | |
Die Große Koalition scheint so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie | |
nicht mehr willens oder in der Lage ist, selbst bei Interessen, die die | |
Gesamtbevölkerung heute und in Zukunft betreffen, einzugreifen – zum | |
Beispiel ein Moratorium gegen die Abholzung zu verhängen, damit RWE | |
zumindest die Entscheidung der Kohlekommission abwarten muss. | |
Dass Polizei und Feuerwehr missbraucht werden, um auf Veranlassung der | |
Bauministerin der Landesregierung Nordrhein-Westfalens, trotz anhängiger | |
Gerichtsverfahren gerade jetzt die Naturschützer aus dem Forst zu zerren | |
und ihre Baumhäuser zu zerstören, ist ungeheuerlich. Die | |
nordrhein-westfälischen Politiker, von Ministerpräsident Laschet bis zu | |
Innenminister Reul, wirken wie traurige Marionetten von RWE. | |
## Erinnerungen an eine Diktatur | |
Denn jahrelang waren die Baumhäuser geduldet. Und acht Wochen lang | |
herrschten im Sommer Temperaturen über 30 Grad, trotzdem durften die | |
Baumhäuser stehen bleiben. Jetzt, im Herbst, wurden von einem auf den | |
anderen Tag über 3.000 Polizisten in den Wald geschickt, um die 60 | |
Baumhäuser „aus Brandschutzgründen“ zu entfernen. | |
Dieses Handeln erinnert an eine überwunden geglaubte Diktatur. Für wie dumm | |
hält man die Bevölkerung eigentlich? Es ist verlogen zu behaupten, die | |
Räumung der Baumhäuser hätte nichts mit der geplanten Abholzung durch RWE | |
zu tun, sie diene dem Schutz der Baumhausbewohner. Auch, dass die | |
Baumhäuser mal eben zu Wohnanlagen uminterpretiert wurden, ist absolut | |
willkürlich. Und wie kann es sein, dass die Polizei, die eigentlich die | |
Verfassung und den Staat schützen soll, von einzelnen Mitgliedern der | |
NRW-Landesregierung zu einer Hilfstruppe für RWE gemacht wird? Das erinnert | |
viele – gerade im Osten – massiv an das Vorgehen der Polizei gegen die | |
Bürgerrechtler zum Ende der DDR. | |
Nach einer Umfrage von Zeit online vom 19. September lehnen 75 Prozent der | |
Deutschen die Rodung des Hambacher Forstes ab. Das sind immerhin rund 60 | |
Millionen Bürger. Welche Partei, welche Politik vertritt eigentlich deren | |
Interessen in dieser demokratischen Republik? | |
Am 19. September starb dann der Journalist und Blogger [3][Steffen Meyn mit | |
27 Jahren im Hambacher Forst.] Ein tragisches Unglück. Aber werden solche | |
Unglücke durch RWE nicht geradezu billigend in Kauf genommen? Für einige | |
Tage schien es ein Innehalten, ein Nachdenken zu geben, die Räumungen | |
wurden ausgesetzt. Arbeitsbühnenverleiher zogen aus Protest ihre Geräte ab, | |
obwohl sie mit massiven Regressforderungen rechnen müssen. | |
## Affront gegen die Arbeit der Kohlekommission | |
Genau da wäre noch mal ein Moratorium ohne Gesichtsverlust für alle Seiten | |
möglich gewesen. So wie das Lausitzer Energieunternehmen LEAG dort keine | |
Umsiedlungen mehr macht, sondern das Ergebnis der Kohlekommission abwartet. | |
Doch im Hambacher Forst geht der Affront gegen die Arbeit der | |
Kohlekommission und die sinnlose Gewalt gegen Natur und Umwelt einfach | |
weiter. Auch wenn sich eine gewaltfreie Bürgerrechtsbewegung formiert, auch | |
wenn mittlerweile mehr als 750.000 eine Onlinepetition gegen die Rodung | |
unterschrieben haben – Landes-und Bundesregierung ignorieren diesen Unmut | |
einfach. Das ist ein Skandal – und Wasser auf die Mühlen der AfD, besonders | |
in Ostdeutschland. | |
Denn im Osten werden ohnehin seit Jahren schmerzlich die Diskrepanzen | |
zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Demokratie wahrgenommen. Gerade weil | |
viele ostdeutsch sozialisierte Bürger nach persönlichen Diktaturerfahrungen | |
und nach der friedlichen Revolution gehofft hatten, dass ihre Interessen in | |
einer Demokratie besser vertreten werden, registrieren sie sehr genau, ob | |
da, wo Demokratie drauf steht, auch wirklich Demokratie drin ist. Sie | |
reagieren daher besonders sensibel auf die Einflussnahmen von Konzernen auf | |
die Politik. | |
Und diese Einflussnahme wird schon lange als allgegenwärtig wahrgenommen: | |
Konzerne beeinflussen Parteien mit Hilfe von Lobbyisten, machen sie durch | |
Parteienfinanzierung abhängig, belohnen Politiker später mit lukrativen | |
Posten für ihre Einflussnahme. Das alles wird im Osten nicht nur als | |
unschöne Nebenerscheinung der Demokratie wahrgenommen, sondern als | |
undemokratisch, bisweilen sogar diktatorisch. Als eine Diktatur der | |
Konzerne. | |
Das Gebaren von RWE wird diese Demokratieverdrossenheit oder sogar die | |
Demokratiefeindlichkeit weiter befeuern. Wenn man den Einfluss der AfD in | |
Ostdeutschland eindämmen möchte, reicht es eben nicht aus, das | |
Gewaltmonopol des Staates gegen rechtsextreme Auswüchse einzusetzen und die | |
AfD zu bekämpfen. Der Zustand der Demokratie selbst muss endlich zu einem | |
öffentlichen Thema werden. Der über die Jahrzehnte schleichend gewachsene | |
Einfluss der Konzerne auf die Politik muss effektiv zurückgedrängt werden, | |
die Arbeit von Lobbyisten eingeschränkt werden. Die Demokratie muss ihre | |
Wehrhaftigkeit gegenüber den Einmischungen der Konzerne beweisen und | |
wirklich demokratische Konsenslösungen herbeiführen. | |
Das würde der AfD als einer diffusen Protestpartei längerfristig die | |
Grundlagen entziehen. Noch ist es dafür nicht zu spät. | |
2 Oct 2018 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Olaf Georg Klein | |
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