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# taz.de -- Aus dem Hambacher Forst in den Knast: Wie geht es Aktivistin „Win…
> Die Rede einer anonymen Aktivistin aus dem Hambacher Forst wurde
> millionenfach angeschaut. Jetzt sitzt sie in Untersuchungshaft. Ein
> Besuch.
Bild: Die Aktivistin „Winter“ bei ihrer Verhaftung im Hambacher Forst
Köln taz | Die junge Frau, die sie in der JVA Köln-Ossendorf nur UP22
nennen, sitzt im Besuchsraum des Gefängnisses. Es ist ein grauer,
trostloser Ort: neun abgewetzte Holztische, daran neun Häftlinge mit
Besuch. Das bedeutet Dauerlärm, mal hört man ein paar Wortfetzen aus dem
Klangbrei, auch Stimmen von Kindern, die ihren inhaftierten Papa besuchen.
Dreißig Minuten Zeit. Zwei ihrer Freundinnen hatten die taz mitgenommen zum
Besuchstermin in der Untersuchungshaft.
Es ist, außer einem Anwaltsbesuch, nach mehr als einer Woche der erste
Kontakt von draußen. Winter hat Tränen in den Augen, als wir an ihren Tisch
kommen und will gar nicht mehr aufhören, die beiden Freundinnen zu drücken.
„Wie schön, dass ihr da seid. So schön.“ Winter ist eine sehr zarte Perso…
sie wirkt fast zerbrechlich.
Außerhalb des Gefängnisses im Kölner Norden ist UP22 bekannt geworden als
„Winter“. So nannte sie sich als Aktivistin, die im [1][Hambacher Forst]
gegen die Abholzung des Waldes kämpfte. Winter lebte in der
Baumhaussiedlung Norden zusammen mit ihrer Mitstreiterin „Jazzy“. Gemeinsam
hatten sie sich angekettet und waren am 15. September, dem dritten Tag der
Räumung, heruntergeholt und festgenommen worden. Als die beiden am Waldrand
auf den Abtransport warteten, musste Jazzy pinkeln. Winter blieb zwischen
zwei Polizeibeamten stehen, in abgewetzten schwarzen Klamotten, noch Stroh
in den Haaren, mit verschlammten Fingern.
Eine Journalistin filmte mit dem Smartphone. Winters Monolog wurde zu drei
bewegenden Minuten im Kampf zwischen AktivistInnen, Staatsbehörden und RWE.
Sie spricht mit brüchiger, von Heiserkeit leiser Stimme, unterbrochen von
Tränen, dann wieder ganz klar. „Sie werden nie verstehen, wie es ist, mit
Menschen zusammenzuleben, denen es scheißegal ist, wie du heißt, wie alt du
bist oder was für einen Schulabschluss du hast. Was ich hier gelernt habe,
hätte ich draußen in der Gesellschaft nie gelernt…“
## Hier saßen schon Meinhof und Günter Guillaume
[2][3,3 Millionen Aufrufe hatte Winters Video bislang allein bei Facebook];
Twitter und Youtube kommen dazu. Die beiden Wachpolizisten, laut Armbinden
aus Baden-Württemberg, guckten unter ihren Kampfhelmen woanders hin. Einer
drehte sich dann immer wieder zu ihr hin. Man meinte zu ahnen, dass auch
ihn das berührt. Winter sprach weiter: „Die denken wahrscheinlich, sie
haben gewonnen. Die können nicht gewinnen, weil sie diesen Wald genauso
brauchen. Die haben nicht verstanden, dass wir nicht für uns kämpfen
sondern für uns alle. Ich weiß, dass ich das Richtige mache.“
Der Gefängnisbau in Ossendorf ist ein einschüchternd hässliches Stück Welt
– dreckiger Waschbeton, äußerlich vergammelt, Videokameras überall,
Natodrahtrollen auf den Mauern. Die JVA wurde 1969 gebaut, es waren, kann
man nachlesen, sogar Architekten beteiligt. Hier saßen auch mal
Kanzleramtsspion Günter Guillaume ein, der Kindermörder Jürgen Bartsch und
Ulrike Meinhof. Vor dem Besuch: Kontrollen, Warteräume, Kontrollen. Pausen.
Warten auf Aufruf. Endlos.
Einen Tag nach der Festnahme hatte die Haftrichterin in Düren für beide
Frauen Untersuchungshaft angeordnet. Wegen gemeinschaftlich begangenem
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte im besonders schweren Fall – das
erlaubt §113 Abs. 2 StGB. Wären beide einzeln im Baum gewesen, wären sie
wahrscheinlich auf freiem Fuß geblieben. Nächste Woche wird ihr Anwalt bei
einem Haftprüfungstermin versuchen, die Freilassung zu erwirken.
Winter trägt jetzt eine braune Brille und nicht mehr die Kapuze wie im
Video. Die Arme sind mit frischen blumigen Tattoos geschmückt. Ihre Augen
strahlen mit einer Mischung aus Wärme, etwas Traurigkeit, einer Prise
Trotz. Sie dürfte um die 20 sein, genaues will sie nicht sagen. Niemand
kennt ihren Namen, den hat sie verweigert. Justizoffiziell heißt sie UP22.
UP steht für Unbekannte Person.
Es ist ihre erste Gefängniserfahrung. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich
hier allein bin, aber es ist so.“ Sie meint: keine anderen aus dem Wald.
Jazzy ist in einem anderen Trakt untergebracht, sie haben keinen Kontakt.
Zuerst habe sie sich sogar fast gefreut: „Es ist warm hier, ich habe ein
Bett, Wasser.“ Die letzten Wochen im Forst seien „sehr stressig“ gewesen,
„auch untereinander. Gar nicht mehr zu genießen. Die Vögel haben weiter
gesungen, aber da war immer die Angst vor der Räumung und was da passiert.“
## 20 Tüten Zwiebelringe aus dem Automaten
Im Video hatte sie von dem Leben im Wald erzählt: „Sie werden nie
verstehen, wie es ist auf einem Baumhaus zu sitzen und zu fühlen, dass man
auf einem lebenden Wesen wohnt.“ In der Einzelzelle ist wenig Lebendiges:
„Jetzt frage ich mich, wie können Tage so viele Stunden haben.“ Erst gab es
nicht mal einen Stift. „Habe schon gut gelernt, Dinge auswendig zu lernen.“
Radio darf sie auf Zelle hören, sagt sie. Und fragt nach dem Stand der
Dinge im Wald, aus der Sicht der Waldbewohner. Ja, die Räumung habe wieder
begonnen.
Statt im Baumhaus sitzt Winter jetzt in Köln-Ossendorf: Linoleum,
schmucklose Räume, betagte Decken und Wände überall, vielfach notdürftig
geflickt. Gegen die Personenkontrollen mit dem eisgesichtigen Wachpersonal
wirken Flughafen-Checks wie begleitete Spaziergänge. Nicht mal ein
vollgerotztes Papiertaschentuch darf mit rein, kein Zettel, kein Stift.
Wohl aber gibt es eine metallene Besuchermarke, auf deren Rückseite groß
ein Hakenkreuz eingeritzt ist.
Wer aus dem letzten Warteraum aufs Klo geht, muss danach noch einmal durch
die „Feinkontrolle“, wie das hier heißt. Zu essen darf man nur mitbringen,
was man hier aus dem Automaten zieht. Was mag hier vegan sein, hatten die
beiden Freundinnen beratschlagt. Zwiebelringe, ein Versuch. Glück gehabt.
Ebenso eine bestimmte Chips-Sorte.
Winter bekommt von uns 20 Tüten Zwiebelringe und Chips. Vegan zu leben, ist
eines ihrer Prinzipien, wie bei allen WaldbewohnerInnen. Die Versuche der
Gefängnisküche, vegan zu kochen, endeten scheußlich, erzählt sie.
## Sekundenkleber auf den Fingerkuppen
Bei aller äußerlichen Verletzlichkeit wirkt Winter ungebrochen. Dazu gehört
auch, dass sie ihren Namen nicht preisgibt: In ihrem ersten Brief aus dem
Gefängnis, Montagabend veröffentlicht auf der Website des ABC (Anarchistic
Black Cross), steht: „Wenn ich euch meine Identität sage, komme ich hier
raus. Also werden viele von euch denken, ich bin selbst schuld, dass ich
hier sitze. Meine Identität ist nicht das, was auf einem Stück Papier
steht. Meine Identität ist das, was mich als Menschen ausmacht, mein Wesen,
meine Seele, alles was ich in diesem Wald gelernt habe, alles was mir die
Menschen dort gezeigt haben. Ich will das ungerechte und ungerechtfertigte
Privileg eines deutschen Passes nicht nutzen. Ich bin ein Mensch und ich
kämpfe für den Erhalt dieser Erde. Alles andere ist unwichtig.“
Das Incognito zu wahren ist schwer. Bei der erkennungsdienstlichen
Behandlung hatte sie Sekundenkleber auf den Fingerkuppen. Vier Beamte
hätten in der JVA gemeinsam versucht, das abzuknibbeln, wohl auch sehr
gewaltsam. Erfolglos. Keine Abdrücke.
Das Video, sagt Winter, habe sie nie gesehen, aber sie wisse noch ziemlich
genau, was sie gesagt habe. „Im ersten Moment wollte ich da gar nichts
sagen. Ich war ja so heiser vom Schreien bei der Räumung.“ Über ihren
Anwalt hat sie mitbekommen, wie die Klickzahlen durch die Decke gegangen
sind. Eine Mitgefangene habe sie auf das Video angesprochen: „Sind Sie das
nicht?“; auch zwei Wärter hätten eine Bemerkung fallen gelassen, ach, das
sei ja die aus dem Film. „Ich freue mich so über jeden Besuch, von mir aus
können auch RWE-Leute kommen zum Diskutieren.“ Oder mit den beiden
Polizisten aus dem Video?
Da hatte sie gesagt: „Ich bin superstolz auf all die Menschen, die die
Baumhäuser mit ihren Händen bauen. Wir haben das nur mit uns selbst
geschafft. Diese Menschen hier“ – dabei zeigte sie auf die Polizisten –
„kommen mit riesigen Maschinen.“ Um zu schließen: „Es war die beste Zeit
meines Lebens.“
Hier im Gefängnis sagt sie zum Abschied: „Auch wenn ich eingesperrt bin,
ein Teil von mir bleibt draußen.“
29 Sep 2018
## LINKS
[1] /!t5013292/
[2] https://www.facebook.com/solifuerhambi/videos/2067682313542298/
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
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