# taz.de -- Wer über Tierversuche entscheidet: Vom Versuchslabor direkt ins Amt | |
> Anträge auf Tierversuche werden teils von Behörden-Mitarbeitern geprüft, | |
> die vorher selbst solche gemacht haben. Tierschützer halten sie für | |
> befangen. | |
Bild: Der Weg zwischen Genehmigungsbehörde und Versuchslabor ist manchmal nich… | |
BERLIN taz | Wichtige Aufsichtsbehörden lassen Anträge für Tierversuche oft | |
von Mitarbeitern genehmigen, die selbst jahrelang solche Experimente | |
durchgeführt haben. Teilweise wechselten die Wissenschaftler ohne Wartezeit | |
in die Behörde. Das zeigen taz-Recherchen bei mehreren Aufsichtsämtern, die | |
vergleichsweise viele Anträge bearbeiten. Tierrechtler halten solche | |
Mitarbeiter für befangen. | |
Die Behörden dürfen [1][laut Tierschutzgesetz] die Versuche nur dann | |
genehmigen, wenn sich die wissenschaftliche Fragestellung ausschließlich | |
mit Tierexperimenten beantworten lässt. Das Leid und die Zahl der Tiere | |
müssen so gering wie möglich sein. Das sind Ermessensfragen, die je nach | |
Einstellung und Engagement der Prüfer unterschiedlich beantwortet werden | |
können. | |
Dennoch hat das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) | |
gerade drei Wissenschaftler als Prüfer eingestellt, die selbst „viele | |
Jahre“ etwa als Versuchsleiter gearbeitet haben, wie aus einer internen | |
E-Mail an Mitarbeiter der Behörde hervorgeht. Demnach sind zwei der neuen | |
Angestellten Fachtierärztinnen für Versuchstierkunde. Eine habe mit | |
Schafen, die andere mit „verschiedenen Tiermodellen“ an der Berliner | |
Universitätsklinik Charité gearbeitet, heißt es in dem Schreiben, das der | |
taz vorliegt. | |
Auch der dritte neue Lageso-Prüfer verfüge über „langjährige | |
tierexperimentelle Erfahrung an der Charité“ und anderen | |
Forschungseinrichtungen. Jetzt müssen sie Anträge auf Tierversuche, etwa | |
von Universitäten, begutachten und entscheiden. | |
## Keine Karenzzeit | |
In einem Fall gab es keine Karenzzeit. „Eine*r unserer neuen | |
Mitarbeiter*innen war direkt vor dem Wechsel zum LAGeSo an | |
Tierversuchsvorhaben beteiligt, bei den anderen lagen jeweils 3 Jahre | |
zwischen dem Ende der Beteiligung an Versuchen und der Einstellung beim | |
LAGeSo“, teilte die Pressestelle des Amts der taz mit. Insgesamt habe die | |
Behörde 5,5 Vollzeitstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter im Bereich | |
Tierversuche. | |
Ähnlich ist die Lage in anderen Bundesländern mit vergleichsweise hohen | |
Tierversuchszahlen. Das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz | |
und Lebensmittelsicherheit schrieb der taz, dass „ein Teil“ der vier für | |
Tierversuchsangelegenheiten zuständigen wissenschaftlichen Mitarbeiter | |
mehrere Jahre selbst an solchen Experimenten beteiligt gewesen sei. | |
Zwischen dieser Tätigkeit und der Beschäftigung im Amt „gab es keine | |
Karenzzeit“. | |
Bei der für Nordbayern zuständigen Regierung von Unterfranken haben sogar | |
alle drei Tierversuchsprüfer einschlägige Erfahrungen. Einer hat 20 Jahre | |
lang Tierversuche durchgeführt, einer sechs Jahre und der dritte ein Jahr | |
lang, erklärte die Behörde. Auch hier wurden mitunter direkt und ohne | |
Wartezeit die Seiten gewechselt. Sie betrug „0 bis 13 Jahre“. | |
Auch die Regierung von Oberbayern beschäftigt nach eigenen Angaben | |
Tierversuchsprüfer, die selbst bis zu sieben Jahre solche Experimente | |
durchgeführt haben. Hier lag „mindestens ein Jahr“ zwischen den Versuchen | |
und der Einstellung im Amt. | |
## Geringe Quote von Ablehnungen | |
In allen Behörden ist die Quote der abgelehnten Tierversuchs-anträge | |
äußerst gering. In Niedersachsen wurden 2017 laut Landesamt nur rund 3 | |
Prozent der 338 Anträge entweder zurückgezogen oder abgelehnt. Allerdings | |
erklärt die Behörde: „In den wenigsten Fällen werden Tierversuchsanträge … | |
der Form genehmigt, in der sie bei der Behörde eingegangen sind.“ Meist | |
müssten die Antragsteller offene Fragen beantworten, häufig würden die | |
Anträge lediglich mit Auflagen genehmigt. Berlin ließ nur knapp 4 Prozent | |
der 208 Anträge durchfallen. Oberbayern lehnte 2016 lediglich 2 von 218 | |
Anträgen ab. | |
Dennoch bestreiten sämtliche betroffenen Behörden, dass ihre Prüfer | |
Interessenkonflikte hätten. Typisch ist die Begründung des Berliner Lageso: | |
„Tierversuchsanträge aus den Instituten, in denen die Mitarbeiter*innen | |
zuvor tätig waren, werden für einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren nach | |
dem Wechsel durch andere Mitarbeiter*innen des LAGeSo begutachtet und | |
bearbeitet.“ Wer über „Praxiserfahrung“ verfüge, könne die Versuche | |
„realistischer“ beurteilen. | |
Doch Tierschützer überzeugt das nicht. „Die Entscheider sind | |
Tierversuchsleute und keine Leute, die Tierversuchen kritisch | |
gegenüberstehen“, sagt Edmund Haferbeck, der die Rechts- und | |
Wissenschaftsabteilung der Tierrechtsorganisation Peta Deutschland leitet. | |
„Diese Leute sind befangen, weil sie natürlich weiter die Genehmigungen | |
erteilen wollen, wie sie es ja die ganze Zeit für sich selbst reklamiert | |
haben von den Behörden.“ | |
Könnten Wissenschaftler nicht bei den Experimenten eine kritische Haltung | |
entwickelt haben? „Das kann man vielleicht hoffen“, antwortet Haferbeck. | |
„Aber wenn ich höre, dass die zum Beispiel von der Charité kommen, dann ist | |
das mit Sicherheit nicht so.“ Die Charité habe gerade ein riesiges neues | |
Tierversuchslabor in Buch gebaut. „Da wird nichts Kritisches kommen.“ | |
Ähnlich sei das Kräfteverhältnis in den Expertenkommissionen, die die | |
Behördenmitarbeiter bei ihren Entscheidungen beraten. „Die | |
Tierschutzgruppierungen sind dort immer in der Minderheit“, klagt | |
Haferbeck. Tatsächlich besteht etwa die [2][Berliner | |
Tierversuchskommission] aus vier Wissenschaftlern, einem Ethiker und nur | |
zwei Tierschützern. | |
Viele Tierversuchsgegner kritisieren, die Ergebnisse der Experimente seien | |
[3][nicht auf Menschen übertragbar]. Zahlreiche Medikamente würden | |
Tierversuche bestehen, aber in klinischen Versuchen mit Menschen | |
durchfallen. Tierrechtsorganisationen wie Peta gehen zudem grundsätzlich | |
davon aus, dass Tiere ebenso wie Menschen ein Recht auf körperliche | |
Unversehrtheit haben und es ungerecht ist, dass Menschen ihnen zu ihrem | |
eigenen Vorteil Leid zufügen. | |
Die Befürworter argumentieren, dass die Wissenschaft [4][ohne Tierversuche | |
wichtige Fortschritte nicht erreicht] hätte. „Nur mit ihrer Hilfe konnten | |
in der Vergangenheit Lebensvorgänge bei Tieren und Menschen näher | |
aufgeklärt werden“, schreibt die Deutsche Forschungsgemeinschaft. „Dazu | |
zählt die Funktion der Sinnesorgane, des Nerven-, Hormon- und Immunsystems | |
oder auch einzelner Gene.“ | |
17 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html#BJNR01277097… | |
[2] https://www.linksfraktion.berlin/abgeordnete/detail/news/wie-arbeitet-die-t… | |
[3] https://www.peta.de/hintergrundwissen-tierversuche | |
[4] http://www.dfg.de/sites/flipbook/tierversuche_forschung/ | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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