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# taz.de -- Manifest gegen Mainstream-Feminismus: Harmlos und fickbar
> Die US-Autorin Jessa Crispin haut dem Mainstream-Feminismus seine
> Widersprüche um die Ohren. Sie sagt, er sei zur Lifestyle-Ideologie
> verkommen.
Bild: Gehört das Stricken von pinken „Pussyhat“-Mützen schon zum Lifestyl…
Für den Feminismus läuft es glänzend: Die ganze Welt redet über
Internet-Hashtags wie [1][„#MeToo“] oder „#WhyIDidn’tReport“, in denen
Frauen ihre Erfahrungen mit sexistischer Anmache, Belästigung und sexueller
Gewalt öffentlich machen. Überall gehen Frauen für feministische Anliegen
auf die Straße. In den USA mit pinken Pussyhats gegen einen sexistischen
Präsidenten, in Irland, Chile und Argentinien gegen rigide
Abtreibungsverbote, in Indien gegen Vergewaltigung und in Saudi-Arabien
gegen das patriarchale Vormundschaftssystem.
All diese Kämpfe werden dazu noch glamourös unterstützt: Von Beyoncé bis zu
Ivanka Trump, vom Modelabel Dior bis zu H&M – Feminismus, vor Jahren noch
Kampfbegriff oder Schimpfwort, ist inzwischen weithin geadelt als etwas,
das Frauen (und sogar Männern) gut zu Gesicht steht.
Für Jessa Crispin ist dieser vermeintliche Siegeszug eine Katastrophe. In
einem Manifest wettert die US-amerikanische Autorin gegen eine in ihren
Augen mainstreamtauglich verflachte Lifestyle-Ideologie, in der
Bekenntnisse Inhalte ersetzen und ein Wohlfühl-Imperativ kritische Gedanken
im Keim erstickt. „Warum ich keine Feministin bin“ heißt der schmale Band,
der als Anklage wider den feministischen Zeitgeist daherkommt.
Wenn Feminismus sich in Narzissmus, Denkfaulheit und Gönn-dir-Mentalität
erschöpfe, wenn er Frauen erlaube, gleichberechtigt an der Unterdrückung
der Machtlosen und Armen mitzuwirken, wenn er nicht bereit sei, den Status
quo zu erschüttern und signalisiere: „Ich bin harmlos, beiße nicht und
lasse mich gerne ficken“ – dann sei sie keine Feministin, stellt die
Autorin fest. Ihre Idee von Feminismus ist ein „reinigendes Feuer“, das
unser gesellschaftliches System demontiert.
Nun sind Reinigungsfantasien immer schwierig, und sensible Leserinnen
dürften bei der Lektüre dieses mit Kraftausdrücken gespickten Werks hin und
wieder gequält aufseufzen. Doch Crispins Suada hat nicht nur verbalen
Schmackes, sondern auch intellektuellen Charme. Es macht Spaß, ihr dabei zu
folgen, wie sie vermeintliche Gewissheiten des Dritte-Welle-Feminismus
zerlegt. Etwa die Annahme, dass Feminismus eine für alle anschlussfähige
Bewegung sein könnte, ohne sich bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern.
Was ist gewonnen, fragt sich Crispin, wenn Frauen, die sich laut und stolz
zum Feminismus bekennen, in der Freizeit Pole-Dancing-Kurse besuchen,
misogynen Rap hören oder Republikaner wählen – während eine künstlerisch
eigenständige Musikerin wie Björk dafür angefeindet wird, dass sie sich
nicht als Feministin bezeichnen mag?
Crispin kritisiert den Bekenntniskult unter jungen Feministinnen. „Es
sollte uns nicht um Bekehrung gehen, sondern darum, auf die Wünsche und
Bedürfnisse von Frauen zu hören, die sich möglicherweise von unseren
unterscheiden“, etwa muslimischen Frauen, von denen verlangt werde, zu
übernehmen, was westliche Feministinnen als wertvoll empfinden:
„Unabhängigkeit, Erfolg und Sexualität“. Darüber, ob der Feminismus einer
überwiegend weißen, bürgerlichen Mittelschicht überhaupt glücklich macht,
werde nicht geredet, beklagt sie. Auch nicht darüber, was die Bewegung in
ihrer jetzigen Form Frauen zu bieten habe.
## Vergiftetes Geschenk
Die Einladung zur „Selbstermächtigung“ – für die Autorin nur ein
neoliberaler Zwang, sich selbst zu optimieren. Und das Angebot, sich
vorzukämpfen in die Komfortzone der patriarchalen Annehmlichkeiten, Macht,
Geld und Erfolg? Ein vergiftetes Geschenk, findet Crispin. Nicht jeder
persönliche Sieg einer Frau sei auch ein politischer. „Nur weil Frauen
Zugang zur Macht bekommen, werden wir keine egalitärere Welt erleben,
sondern dieselbe, nur mit mehr Frauen.“
Die Autorin ruft ihren Schwestern zu: Hört auf, euch dem Kapitalismus und
dem Patriarchat anzudienen! Zeigt euch solidarisch mit der schwarzen
Bürgerrechtsbewegung, mit Frauen, die einen geringeren Bildungsstand und
ein geringeres Einkommen haben als ihr. Und hört auf, so weinerlich und
selbstgerecht zu sein!
Mit dem akademischen Milieu, in dem ein Professor schon für einen
unpassenden Witz gefeuert wird, geht sie besonders hart ins Gericht. Ebenso
mit der Tendenz zur Mob-Justiz in sozialen Netzwerken, wo Feministinnen zur
Jagd auf „toxische Männlichkeit“ blasen. Für Crispin Ausdruck eines
Rachebedürfnisses, das Verlierer produziert, um Sieger sein zu dürfen – um
den Preis der Menschlichkeit.
Frauen, betont Crispin, seien mitnichten die besseren Menschen. Deshalb
führe auch das Feindbild Mann nirgendwohin. Statt sich im Opferstatus
einzurichten, solle man den Zorn lieber wieder gegen ein traditionelles
Ziel richten: das Patriarchat.
Wie das gehen soll mit der Überwindung patriarchaler Strukturen, und
welcher Feminismus, welche Gesellschaft aus dem imaginierten „reinigenden
Feuer“ hervorsteigen soll, diese Antwort bleibt die Autorin schuldig. Aber
das ist schon in Ordnung. Von einem Arschtritt erwartet ja auch keiner eine
Lösung, sondern nur einen kräftigen Anstoß. Der ist Jessa Crispin allemal
gelungen.
8 Oct 2018
## LINKS
[1] /!s=%2523metoo/
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Feminismus
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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