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# taz.de -- Socialmedia und Frankfurter Buchmesse: Verknöcherungen abtrainieren
> Twitter-Aphorismen und Online-Biobuchläden: Soziale Medien präsentieren
> auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse hybride Angebote.
Bild: Läuft schon, aber eher für weiße Männer. Darüber regen sich sogar Tw…
Die präraffaelitischen Girls haben die Nase voll. Von [1][toxischer
Männlichkeit], von den [2][Rechten im Netz] und auf der Straße – und vor
allem davon, dass manchmal alles zusammenkommt. Ihre Wut twittern sie sich
bissig bis boshaft von der Seele, etwa so: „Entwicklungsroman-Spoiler:
Junge weiße Männer, die sich immer nur kritisch an alten weißen Männern
abarbeiteten, statt Vielfalt wahrnehmen zu lernen, würden eines Morgens aus
unruhigen Träumen erwachen und sich in ihrem Job und Leben zu einem alten
weißen Mann verwandelt finden.“
Diese Girls, wie der vorangestellte kunsthistorische Hinweis schon
andeutet, sind keine echten Personen. Sie sind Avatare, ein Konstrukt der
Verlegerin und Autorin Christiane Frohmann, die den [3][Twitter-Account
@pgexplaining] („Pre-Raphaelite Girls Explaining“) betreibt.
Darin kontrastiert sie Frauenporträts aus dem Präraffaelismus – jener
Epoche englischer Malerei im 19. Jahrhundert, die hauptsächlich
wunderschöne und zugleich sphärisch entrückte viktorianische Schönheiten
zeigt – mit kurzen Gedanken zur Jetztzeit. Das ist, durch die Absurdität
der zusammengemixten Formen, meistens lustig, oft anprangernd, immer
schlagfertig. Diese Art von Texten findet man auf Twitter häufig; früher
füllten sie als Aphorismensammlung ganze Bände.
Am Donnerstag trug Christiane Frohmann eine eigens für das
Buchmessenpublikum erstellte Auswahl der Minitexte vor, mit Beamer, auf den
die zugehörigen Präraffaeliten-Porträts geworfen wurden. Begleitend zum
Bildnis einer resigniert in die Ferne blickenden Rothaarigen („Veronica
Veronese“, 1872 von Dante Gabriel Rossetti gemalt) hieß es etwa: „Wenn sie
ab heute nur noch Autorinnen lesen würde, wären es bis zum Ende ihres
Lebens immer noch mehr Autoren gewesen, das war schon eine
niederschmetternde Erkenntnis.“
## „Twitteratur“ schon wieder für tot erklärt
Darüber wurde gelacht, wenn auch verhalten, denn das Publikum bestand vor
allem aus jungen Frauen. Und als eine solche ist der Spaziergang über die
Buchmesse auch in diesem Jahr nicht sehr erquicklich, zeigen die
riesengroßen Pappaufsteller und Werbescreens für Starautoren doch eben:
Autoren, seltener Autorinnen, von den Altherrengesellschaften an vielen
Messeständen ganz zu schweigen.
Dass es Literatur in 280-Zeichen-Form im Netz gibt, ist nicht neu, im
Gegenteil: Der Begriff der „Twitteratur“ wurde sogar von New Yorker und
Merkur schon wieder für tot erklärt. Natürlich hat auch die Frankfurter
Buchmesse ihren eigenen Hasthag, dieses Jahr lautet er #fbm18, unter dem
Messeberichterstattung genauso verschlagwortet wird wie lustige
Beobachtungen oder Bitten um Veranstaltungstipps. Soziale Medien sind auch
ein Ort der Literatur und Literaturvermittlung – innovativ ist das nicht
mehr.
Interessant ist dafür, wie locker Literatur mittlerweile zwischen digitaler
und analoger Sphäre hin und her wechselt. Christiane Frohmann hat ihr
Twitter-Projekt als Buch veröffentlicht: „Präraffaelitische Girls erklären
das Internet“. Aus flüchtigen Gedanken bei Twitter entstand ein gebundener
Band mit Farbdruck – eine denkbar konventionelle Ausspielform.
## „Biobuchladen“ im Netz
Letztlich zeigt das Projekt, wie künstlerische und literarische Formen
nicht nur ins Netz wandern, sondern auch wieder hinaus. Frohmann spricht
von „postdigitalem Denken“ – wohlgemerkt nicht als Rückschritt, sondern …
hybride Weiterentwicklung literarischen Schreibens und seiner Vermarktung.
Als Autorin könne man davon in puncto Sprachempfinden profitieren: „Ich
habe mir mit diesem Schreiben im Netz meine literaturwissenschaftliche
Verknöcherung abtrainiert“.
Als Hybrid zeigt sich auch eine neue Plattform, die sich auf der Buchmesse
in diesem Jahr erstmals vorstellt. „mojoreads“ will Buchhandel,
Rezensionsmedium und soziales Netzwerk in einem sein. Während Messebesucher
am Stand freudig Werbepostkarten vom Stapel zupfen, erklärt Marcus von
Jordan das Prinzip: Man kann nicht nur Bücher kaufen, sondern sie auch auf
seiner Timeline empfehlen, und bekommt dann, wenn andere sie deshalb
ebenfalls kaufen, digitales Guthaben für weitere Bücherkäufe – ob als
E-Book oder auf Papier.
Kommerzielle Algorithmen soll es nicht geben. Von Jordan nennt es einen
„Biobuchladen“. Nur eben im Netz. Ob zur nächsten Buchmesse dann wohl
Aphorismen-Sammelbände der neue Trend sind?
12 Oct 2018
## LINKS
[1] /Toxische-Maennlichkeit/!5526920
[2] /Fake-News-Kampagnen-von-Rechts/!5533521
[3] https://twitter.com/pgexplaining?lang=de
## AUTOREN
Johanna Roth
## TAGS
Social Media
Toxische Männlichkeit
Netzkultur
Literatur
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Insolvenz
Martin Sonneborn
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