Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Orte-Finder gegen Gentrifizierung
> Location Scouts sind immer auf der Suche nach Klischee-Orten. Sie helfen
> damit – ob sie wollen oder nicht – die letzten maroden Straßen zu
> bewahren.
Bild: Dit is Berlin: Oberbaumbrücke zwischen Kreuzberg und Friedrichshain
Beim Wort Location Scout dachte ich zuerst, das wäre eine neue Bezeichnung
für Lokalreporter: eingedenk des um 1900 entstandenen Reporterberufs und
seiner Methode des „Nosing Around“, weswegen man ihn auch, zusammen mit den
damals ebenfalls neuen Privatdetektiven, als „Schnüffler“ bezeichnete.
Auch fiel mir ein, dass die gewieftesten Westberliner „Bauherren“ schon
kurz nach der Wende zwei Offiziere der Staatssicherheit angestellt hatten.
Sie sollten, ausgerüstet mit einem Mercedes und den ersten, noch
koffergroßen Handys lukrative Objekte im Osten an Land ziehen. Man nannte
die beiden „Immobilien-Scouts“. Jetzt heißt eine
Internet-Dienstleister-GmbH so, die mit dem Slogan „Kaufen Mieten
Inserieren“ wirbt. Auf so was kam ich, als ich mir den Amerikanismus mit
„Standort-Pfadfinder“ übersetzte.
Dann erfuhr ich jedoch aus einer Pressemeldung, dass ein Location Scout
etwas ganz anderes ist und sogar eher das Gegenteil: Er sorgt mit seinem
geschulten Auge in gewisser Weise dafür, dass bestimmte Gebäudeensemble
nicht wegsaniert oder -gentrifiziert werden. Dafür muss er sie erst einmal
alle kennen. Wenn dann ein Regisseur kommt und, sagen wir, „urbane
Atmosphäre“ braucht für sein „Projekt“, dann ist er gut beraten, einen
Location Scout zu fragen. Und der sagt ihm dann zum Beispiel: „Als
Schlussszene würde ich unbedingt den Görlitzer Bahnhof bei Nacht mit einer
hell erleuchteten U-Bahn oben nehmen.“
Bisher hat noch jeder Berlinfilmemacher sich an diesen Rat gehalten.
In der Pressemeldung erfuhr ich, wie es weiter geht mit den
Standort-Findern: „Location Scouts gehören zu den Medienschaffenden, die
viel zu selten vorkommen. Umso besser, dass es jetzt nach erfolgreicher
Selbstorganisation erste Ansätze zu einer geregelten Ausbildung gibt.“ Und
weiter: „Location Scouts werden oft für ihren Job bewundert. Unterwegs auf
der Suche nach Drehorten, das klingt aufregend. Aber wie wird man
eigentlich Location Scout? Jetzt gibt es zum ersten Mal eine Fortbildung
zum Location Scout.“ Diese Rundmail hat der Bundesverband Location Scouts
verschickt. Die Ortskunde ist also im „Medienzeitalter“ zu einem Beruf
geworden, womöglich mit Diplom.
Der postmoderne Location Scout muss aber noch mehr als interessante Orte
kennen, die den Filmemachern ins Konzept passen. Er muss auch die Preise
für eine Drehgenehmigung kennen. Ich erinnere mich, dass Andreas Goldstein
für eine Szene seines Films „Detektive“ einen DDR-Sitzungssaal brauchte –
für fünf Stunden etwa. In der Gedenkstätte Normannenstraße verlangten sie
dafür 2.000 Euro. Er nahm dann einen billigeren DDR-Raum im Standesamt
Mitte für 500 Euro.
In New York, so sagte man mir, würden die Behörden auch für das Filmen auf
einer Straße Nutzungshonorar verlangen. Hier reicht es noch, wenn man die
Anwohner drum herum vorab informiert. Aber was weiß ich darüber? Diese
Branche ist mir suspekt.
## Unter Dreh-Denkmalschutz
Bei einer 1.-Mai-Randale in Kreuzberg sah ich einen Fotografen, der zwei
Jungs 20 Euro gab: Sie sollten so tun, als würden sie sich mit Steinen
eindecken. Bei einer anderen 1. Mai-Randale sah ich am Kottbuser Tor, wie
Autonome einen Müllcontainer anzündeten. Ein Trupp Polizisten stand keine
zehn Meter entfernt, machte aber gerade Pause – danach rief einer einen
Kollegen an, der mit einem Feuerlöscher kam und den Brand löschte.
Spät nachts sah ich das Foto davon in Internet: Es sah aus wie eine
Bürgerkriegsszene aus Beirut. Der Fotograf hatte den Vorder- und den
Hintergrund unscharf gestellt und vielleicht noch ein bisschen mehr Farbe
draufgegeben.
Aber dafür kann der Location Scout natürlich nichts. Er sorgt bloß dafür,
dass die letzten maroden Straßenzüge und Ecken so begehrt bei Filmern
werden, dass man sie (wie in Wittenberge) quasi unter Dreh-Denkmalschutz
stellt. Und damit wirbt.
7 Oct 2018
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Kolumne Wirtschaftsweisen
Klischee
Filmdreh
Kreuzberg
Kolumne Wirtschaftsweisen
Gentrifizierung
Kolumne Wirtschaftsweisen
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Kolumne Wirtschaftsweisen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Wirtschaftsweisen: Angst einjagen
In Berlin darf jetzt wieder gejagt werden. Zum Beispiel Rehe. Über die Jagd
aus Sicht von Ernährung und – tatsächlich! – Lustgewinn.
Gentrifizierung in Berlin: Pop-up-Erotik statt Bioladen
Verdränger werden inzwischen selbst verdrängt. Das ist aktuell in der Nähe
des Rosenthaler Platzes in Berlin zu beobachten.
Kolumne Wirtschaftsweisen: Spatzen und Styropor vor Gericht
Die Geschichte einer Dämmung: Erst werden Vögel ausgesperrt, dann landet
auch noch ein Vogelschützer vor Gericht.
Kolumne „Wirtschaftsweisen“: Randgruppen in der Mitte
In Berlin geht man noch nicht ganz so widerlich mit Bettlern und
Obdachlosen um wie in Salzburg. Aber vor allem die Letzteren werden immer
mehr.
Kolumne Wirtschaftsweisen: Mit Leoparden im Hinterhof
Es darf in den deutschen Städten ruhig mehr „Indien“ als nur auf
Speisekarten sein. Indische Gemeinschaft lernen zum Beispiel. Auch mit
wilden Tieren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.