# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Spatzen und Styropor vor Gericht | |
> Die Geschichte einer Dämmung: Erst werden Vögel ausgesperrt, dann landet | |
> auch noch ein Vogelschützer vor Gericht. | |
Bild: Ein Spatz, ganz unten am Boden | |
Vor einem Jahr, am 2. September 2017, berichtete die taz über eine Gruppe | |
von Vogelschützern in Hellersdorf. An einem großen Plattenbaublock dort | |
wurden die Fassaden mit Styroporplatten energetisch verdämmt. In den Fugen | |
nisteten jedoch viele Spatzen, Stare und Mauersegler. Da die Arbeiter auf | |
Anordnung der Baufirma immer wieder deren Nester mit Styroporplatten | |
überdeckten, wobei einige der gerade geschlüpften Jungen starben, liefen | |
die Vogelschützer zu ihrer Hochform auf und setzten alle Hebel, | |
Naturschutzbehörden und -organisationen in Bewegung, um die Tiere zu | |
retten – mit geringem Erfolg. | |
Einer der Mieter dort, Mike, beteiligte sich an den Rettungsversuchen, | |
indem er täglich alles mit seiner Kamera dokumentierte. Einmal erreichten | |
die Vogelschützer über das Veterinäramt einen Baustopp. Kurz darauf sah | |
Mike, dass man sich bei den Verdämmungsarbeiten einem Spatzennest näherte. | |
Er wandte sich erneut an das Veterinäramt: Wenn das Nest zugemauert werde, | |
solle er sich an die Polizei wenden, wurde ihm geraten. | |
Mike informierte zunächst die Gruppe der Vogelschützer. Die kamen und | |
sahen, wie ein Spatzenpärchen ein- und ausflog. Als man das Nest dann | |
tatsächlich mit Styroporplatten abdeckte, riefen sie die Polizei, und die | |
holte die Feuerwehr. Die Polizei wies sie an, die Platten zu entfernen. | |
Kurz darauf flog das Spatzenmännchen zum Nest zurück, das Weibchen kam | |
nicht mehr. Im Nest lagen noch keine Eier. | |
Die Wohnungsgenossenschaft Grüne Mitte verklagte daraufhin den Mieter Mike | |
auf Schadenersatz: Er solle für die drei zerstörten Styroporplatten 360 | |
Euro zahlen. Mike nahm sich eine Anwältin. Die war zuversichtlich, dass sie | |
die Klage abschmettern könne. | |
## Zeugen sollten zu Hause bleiben | |
Anfang April fand im Amtsgericht Lichtenberg die Verhandlung statt. Mike | |
sollte Beweisvideos und Fotos mitbringen. Seine Zeugen, die drei | |
Vogelschützerinnen, sollten aber zu Hause bleiben. Die Amtstierärztin, die | |
ihm geraten hatte, die Polizei zu rufen, konnte sich nicht mehr erinnern. | |
Im Gerichtssaal saßen Mikes Vogelschützerinnen zwar zahlreich, aber nur als | |
Zuhörer. | |
Die Klägerin, seine Gegenpartei, hatte einen Zeugen aufgeboten – einen | |
Mitarbeiter der Baufirma, die die Fassadenarbeiten durchführte. Der sollte | |
bestätigen, dass der Preis, 360 Euro, gerechtfertigt sei. Die Richterin | |
wollte von ihm wissen, wie groß der Styroporschaden sei: drei bis vier | |
Quadratmeter, meinte er. Mikes Anwältin konterte mit Fotos, die zeigten, | |
dass es sich bei dem von der Polizei angeordneten „Schaden“ nur um 1,5 | |
Quadratmeter handelte. Zudem übergab sie dem Gericht noch Mikes | |
Beweisvideos, die zeigten, dass dort ein Brutgeschehen stattfand. Nachdem | |
das Gericht einen weiteren Verhandlungstermin angesetzt hatte, war Mikes | |
Anwältin noch zuversichtlich. | |
Der Geschäftsführer der Wohnungsgenossenschaft hatte beim Gericht | |
beantragt, dass er die 360 Euro als Schulden in Mikes Mietkonto aufnehmen | |
dürfe. „Dann hätte er mich wohl als Mietschuldner rausschmeißen können“, | |
meint Mike, und „dass das sein Hauptziel war“. Eine der Vogelschützerinnen | |
sagte zu ihm: „Gerecht wäre, wenn die Grüne Mitte zur Verantwortung gezogen | |
würde für den Vogelmord und für die üble Nachrede – dass du Drohnen | |
rumfliegen lassen würdest und andere Mieter belästigen …“ | |
Das Gegenteil geschah jedoch: Mike verlor den Prozess. Er wollte in | |
Revision gehen. Seine Anwältin mailte ihm jedoch: „Ich kann leider für Sie | |
nicht weiter tätig werden.“ | |
Mike war sich unsicher, ob er selbst ein Berufungsverfahren oder ein | |
Wiederaufnahmeverfahren anstreben solle. Einen Anwalt konnte er sich nicht | |
nehmen, weil seine Prozesskostenhilfe an die Anwältin gebunden war. | |
Schließlich zahlte er. | |
2 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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