# taz.de -- Die Wahrheit: Tröstende Antifa | |
> Eine kleine Erinnerung an bewegte Zeiten, in denen Nazis eine ganze Stadt | |
> in Atem hielten und nur wenige Gegner sich ihnen entgegenstellten. | |
Als ich 1987 zum Studium ins niedersächsische Hildesheim zog, stellte ich | |
fest, dass es dort eine fidele Nazi-Skin-Gemeinde gab. Für die Jüngeren: | |
Damals stand die Mauer noch, in Dresden marschierten noch keine Pegidisten, | |
Chemnitz hieß Karl-Marx-Stadt und im Westfernsehen sprach nur Gert Fröbe | |
sächsisch. | |
Die Hildesheimer Nazis waren maximal zwanzig an der Zahl, aber das reichte | |
problemlos, um tausend politisch mäßig interessierte, weil mit | |
französischen Laberfilmen von Éric Rohmer beschäftigte | |
Kulturwissenschaftsstudenten in Angst und Schrecken zu versetzen. | |
Die Skinheads pflegten modisch einen klassischen Stil: Springerstiefel, | |
Bomberjacke, Glatze. Allerdings konzentrierte man sich bei Begegnungen mit | |
diesen besorgten Jugendlichen nicht allzu sehr auf Fashion-Fragen. Eher | |
versuchte man, nicht zu Brei geschlagen zu werden. Eine ihrer liebsten | |
Beschäftigungen war es, abends in die örtliche Alternativ-Kneipe | |
einzufallen und allen dort die Fresse zu polieren. Und da sie kein Klischee | |
scheuten, brachten sie auch Baseballschläger mit. | |
Rief man die Polizei, kam diese nach einer Dreiviertelstunde. Wenn die | |
Skins wieder verschwunden waren. Und das, obwohl man vom Polizeirevier zur | |
Kneipe auch ohne Beine, auf dem Bauch robbend höchstens zehn Minuten | |
brauchte. Die Staatsmacht stellte sich doof: Woher wollen sie wissen, dass | |
das Nazis waren? Hat es schon öfter Streit zwischen männlichen Gästen | |
gegeben? Ging es dabei um Frauen? | |
Weder Lokalpresse noch -politik interessierte sich für die Rechtsradikalen. | |
Kurzum, sie konnten machen, was sie wollten. Wäre da nicht diese andere | |
Gruppe gewesen. Auch diese zählte fünfzehn, zwanzig Personen. Der Begriff | |
„Antifa“ war damals jenseits der großen Uni-Städte nahezu unbekannt, auch | |
die Jugendlichen als „autonom“ zu bezeichnen, erschiene mir unangemessen. | |
Außerdem gab es im katholischen Hildesheim nur einen gewaltaffinen | |
schwarzen Block – der hieß CDU, war größtenteils miteinander verschwistert | |
und verschwägert, hatte die Mehrheit im Stadtrat und beste Beziehungen zum | |
Bischof. | |
Die jungen, irgendwie linken nichtstudentischen Ureinwohner prügelten sich | |
nie mit Polizisten. Oder mit sonst wem. Nur mit Nazis legten sie sich an. | |
Wenn sie ahnten, dass die irgendwo auftauchen würden, waren sie da. Und | |
hatten auch Knüppel dabei. Sie machten klar, dass Spaß nicht umsonst zu | |
haben war. Wenn die Skins in der Fußgängerzone Menschen anpöbelten, | |
stellten sie sich ihnen entgegen. Als einzige. | |
Eine Lösung war das nicht. Auch nicht für die Antifaschisten selbst. Die | |
bekamen nämlich oft genug selbst gefährlich auf die Glocke, wenn die Skins | |
sie alleine irgendwo erwischten. Einige mussten deswegen sogar schließlich | |
die Stadt verlassen. Aber angesichts der Tatsache, dass ansonsten niemand | |
etwas unternahm, hatte ihre Existenz zumindest eine Zeit lang etwas traurig | |
Tröstendes. Keine Pointe. | |
26 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Hartmut El Kurdi | |
## TAGS | |
Nazis | |
Schwerpunkt Antifa | |
Hildesheim | |
Musikrezeption | |
Boris Palmer | |
Margot Käßmann | |
Sachsen | |
Reisen | |
Gendergerechte Sprache | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Eine Küchenradio-Epiphanie | |
Ich könnte behaupten, eine Art Hippness-Avantgarde gewesen zu sein, | |
meistens war ich jedoch nur anachronistisch, hinterher und uncool. | |
Die Wahrheit: Boris Palmer, der OB-Rentner | |
Dieser auffällig gewordene Verwaltungsmann ist nicht schwäbischer Punkrock. | |
Er ist ein an der Uni Tübingen entwickelter Polit-Rentner-Hybrid. | |
Die Wahrheit: Beschneidungsfreie Konversion | |
Ein kleines, gleichsam privatreligöses Ritual führt in Hannover von Frau | |
Käßmanns Wirkungsstätte zum Beinahewiedereintritt in die Kirche. | |
Die Wahrheit: Rechts ist da, wo der Nazi links blinkt | |
In Sachsen ist man keinesfalls rechts, auch wenn man rechts ist. Eigentlich | |
wäre man gerne links, ist aber eben zugleich auch rechts. Noch Fragen? | |
Die Wahrheit: Lob des Mikrotourismus | |
Warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah: Statt Städte- | |
oder Fernreisen werden Zimmerreisen bald der neueste heiße Scheiß sein. | |
Die Wahrheit: Kampf den Gendergendarmen | |
Im Kampf gegen den Genderwahn bieten Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen | |
Argumentationshilfen an – auch der Dichter Reiner Kunze. |