# taz.de -- 10 Jahre Lehman-Pleite und Finanzkrise: The Boys’ Club | |
> Auch nach der Finanzkrise bleibt die Börsenwelt männlich. Warum Banker | |
> nur Banker befördern und Frauen nicht ernst nehmen. | |
Bild: Ein seltenes Bild: Eine Brokerin an der New Yorker Wall Street | |
Berlin taz | An dem Tag, an dem die Lehman Brothers Konkurs anmelden, ist | |
Susan Thomson Santoli Chefin der PR-Abteilung der Citigroup. Sie ist ein | |
Profi in der Finanzbranche, hat für die Finanzinstitute PaineWebber und | |
Merrill Lynch gearbeitet. Santoli ist im Dauereinsatz, die Krisenfeuerwehr. | |
Schließlich löst die Lehman-Pleite ein Erdbeben in der Branche aus. Die | |
Citigroup überlebt die Krise dank eines Rettungspakets. | |
Der neue Vorstand hat etliche Insider um sich gescharrt, die seit | |
Jahrzehnten zusammen arbeiten. Santoli spricht von einem „soften | |
Ausschluss“. „Sie sagen nicht direkt, dass du nicht zur Konferenz kommen | |
darfst. Aber du wirst auch nicht eingeladen.“ Frauen sind in den Chefetagen | |
der Banken kaum zu finden. Spitzenpositionen besetzen Männer. Die wenigen | |
Frauen sind absolute Expertinnen in ihrem Fachgebiet, hart in der Sache, | |
wiegeln jegliche emotionale Reibung ab – oder werden zum Vorzeigepüppchen | |
der Firma in schwierigen Fällen. Santoli hat beides erlebt. | |
Als acht Börsenmaklerinnen Merrill Lynch verklagten, weil sie sich aufgrund | |
ihres Geschlechtes von der Firmenleitung diskriminiert fühlten, wird | |
Santoli damals von der Chefetage in die Öffentlichkeit geschoben – und | |
quasi zum Gesicht der Firma in diesem Fall. „Das blonde weiße Mädchen mit | |
den blauen Augen sollte diesen Job übernehmen – diese Entscheidung fiel | |
sehr schnell“, sagt sie. | |
Wie Frauen an der Wall Street behandelt werden, war immer wieder Thema. | |
„Boom-Boom Room“ – unter diesem Namen kam ein besonders brisanter Fall in | |
den 1990er in die Schlagzeilen. Im Keller eines Standorts von Smith Barney, | |
einem Unternehmen der Citigroup, hatten etliche Männer ihren Kolleginnen | |
offenbar anzügliche Angebote gemacht. Im Verfahren willigte Smith Barney | |
ein, den betroffenen Frauen rund 150 Millionen US-Dollar zu zahlen und mehr | |
Geld in die Frauenförderung zu stecken. | |
## Äußerungen über Aussehen sind Standard | |
Anne Connelly arbeitet seit rund 30 Jahren im Finanzsektor. Sie ist | |
Topmanagerin der Investmentfonds-Branche, hat Karriere gemacht in den | |
USA, in Europa, in Deutschland. Heute will sie Frauen vernetzen, die in dem | |
Sektor arbeiten. „Frauen werden oft unterschätzt“, sagt Connelly. „Und i… | |
bin auch noch blond.“ Sie sagt diesen Satz unvermittelt, mit einem lauten, | |
bitteren Lachen. | |
Connelly arbeitete für Pioneer Investments, – heute Amundi – später war s… | |
Geschäftsführerin bei Morningstar und dort eine der wenigen weiblichen | |
Führungskräfte. „Sie bekommen Avancen gemacht, Äußerungen über Kleidung … | |
Aussehen waren Standard“, sagt Connelly. Und: Es habe mit der Optik zu tun, | |
dass Frauen in der Branche nicht ernst genommen werden. | |
Sowohl in den USA als auch in Deutschland ist die Debatte um mehr | |
Geschlechtergerechtigkeit in der Finanzwirtschaft angekommen. Aber: „An den | |
Frauen wird immer zuerst gespart“, sagt Connelly. Förderprogramme werden | |
gestrichen, Schulungen und Veranstaltungen gekappt, die sich mit der | |
Karriere weiblicher Führungskräfte beschäftigen. Dass als Folge der | |
Finanzkrise besonders viele Frauen ihren Job verloren, erstaunt Connelly | |
nicht. „Viele hatten Jobs, die einfach nicht essentiell für das Business | |
waren. Die wurden natürlich zuerst gekürzt.“ | |
Anders liegt der Fall bei Sallie Krawcheck. Sie zählte zu den | |
Topbankerinnen in den USA vor der [1][Lehman-Pleite], wurde vom Forbes | |
Magazine zu einer der zehn mächtigsten Frauen der Welt gekürt. 2008 wurde | |
sie geschasst, weil sie Kunden, die Geld bei hochriskanten Investments | |
verloren hatten, entschädigen wollte. Eine Idee, die der Chefetage nicht | |
gefiel. Heute leitet sie Ellevest, eine digitale Finanzplattform für | |
Frauen. | |
## Hätten Frauen die Finanzkrise verhindert? | |
Krawcheck ist überzeugt, dass mehr weibliche Führungskräfte die Finanzkrise | |
verhindert oder mindestens entschleunigt hätten. „Frauen arbeiten | |
kundenorientierter und sind risikobewusster“, sagt Krawcheck. Mit dieser | |
Haltung ist sie nicht allein. Christine Lagarde, Chefin des IWF, prägte den | |
Begriff der „Lehman Sisters“. Hätte es sie gegeben und nicht die „Lehman | |
Brothers“, sähe die Welt heute wohl ganz anders aus. Da die Branche nach | |
wie vor männlich dominiert ist, sei die [2][Gefahr neuer Finanzkrisen] noch | |
lange nicht gebannt. | |
Die MeToo-Bewegung hat die Geschlechterungerechtigkeit auch in den | |
Unternehmen in den Fokus gerückt. Es gab etliche Gerichtsverfahren in den | |
vergangenen Jahren in den USA, an deren Ende Firmen wegen Diskriminierung | |
viel Geld an die Betroffenen zahlen mussten. In Deutschland gibt es eine | |
gesetzliche Quote, die Frauen den Weg zu Führungspositionen erleichtern | |
soll. | |
„Die Lehmschicht kriegen sie damit aber nicht los. Der Wandel in den | |
Köpfen, dort wo eine unbewusste Diskriminierung stattfindet, geht nur sehr | |
langsam voran“, sagt Connelly. Sie kennt unzählige Beispiele: Wie sehr der | |
Wandel stockt, zeigt sich daran, wenn Auszeichnungen vergeben werden. Sie | |
selbst hat erlebt, wie die einzige Frau, die eine Ehrung erhielt, für ihre | |
intelligenten Aussagen in der Laudatio gelobt wurde. Bei Männern geht die | |
Öffentlichkeit offenbar davon aus, das schlaue Antworten Standard sind. | |
Nach wie vor sind Frauen die Ausnahme in hohen Positionen, in denen sie für | |
viel Geld und Personal verantwortlich sind. „Mehr Männer sitzen bereits in | |
Führungspositionen unter dem Vorstand. Die kommen natürlich schneller an | |
die Spitze“, sagt Elke Holst, Forschungsdirektorin und Genderexpertin am | |
[3][Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung]. Warum dieser Zustand | |
bestehen bleibt, erklärt sich durch den Lebensalltag vieler Frauen, der | |
sich von jenem der Männer in der Regel deutlich unterscheidet. | |
## Der Fortschritt ist eine Schnecke | |
Etliche weibliche Fachkräfte reduzieren ihre Arbeitszeit, wenn sie Kinder | |
haben. Diese Entscheidung rächt sich in der beruflichen Karriere. Geändert | |
hätte sich an diesem Umstand in den vergangenen zehn Jahren nichts. „Der | |
Fortschritt ist eine Schnecke“, sagt Holst. Veränderungen brauche es auf | |
allen Ebenen. „Wir müssen dafür sorgen, dass auch späte Karrieren möglich | |
sind. Der Aufstieg wird derzeit zwischen 27 und 38 Jahren eingeleitet. Wer | |
nicht dabei ist, kann später kaum aufholen.“ | |
Zwar werden heute mehr weibliche Fachkräfte nachgefragt. Aber die Chance, | |
tatsächlich verantwortungsvolle Posten zu übernehmen, bekommen nur wenige. | |
Hinzu kommt, dass viele junge Frauen – wie auch Männer – andere Priorität… | |
setzen. Eine 80-Stunden-Woche wollen nur noch wenige. Stattdessen werden | |
Freunde, Freizeit und Familie wichtiger. | |
Monika Schulz-Strelow beobachtet ohnehin eine Art „roll-back“. Sie ist | |
Präsidentin von [4][Fidar – kurz für „Frauen in die Aufsichtsräte“.] D… | |
Initiative setzt sich für mehr weibliche Fachkräfte in der Chefetage ein. | |
„Weniger Frauen sind im Bundestag, trotz gesetzlicher Vorgaben sind immer | |
noch zu wenig Frauen in verantwortungsvolle Positionen in Unternehmen.“ Die | |
Gründe, warum dies so ist, sind die selben wie vor der Finanzkrise. | |
„Männer befördern Männer. Frauen wird nicht zugetraut, dass sie mit hohen | |
Budgets und finanzieller Verantwortung umgehen können“, sagt | |
Schulz-Strelow. Das zeigt sich nicht nur an der Wall Street in New York, an | |
den Börsen in Frankfurt, London oder Tokio. Diese Entwicklung setzt sich | |
auch in jungen Unternehmen fort. „Die meisten Start-ups werden von Männern | |
gegründet und geführt“, sagt Schulz-Strelow. „Es gibt nach wie vor den we… | |
verbreiteten Irrglauben, Frauen schaffen das nicht.“ | |
## Männer dominieren die Börsenwelt | |
Susan Thomson Santoli hat die Wall Street längst verlassen. Ihre neue | |
Chefin ist die einst geschasste Spitzenbankerin und Ellevest-Gründerin | |
Sallie Krawcheck. Die männerdominierte Börsenwelt schlägt sich auch in | |
privaten Investmententscheidungen von Frauen nieder, sagt sie. „Männer | |
managen die Partnerschaft finanziell. Frauen sind nur Kontoinhaberinnen, | |
aber sie treffen keine Entscheidung über Geldanlagen.“ Es wird wohl noch | |
lange brauchen, bis diese Schere aus den Köpfen von Männern – wie Frauen – | |
verschwindet. | |
17 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Zehn-Jahre-nach-der-Lehman-Pleite/!5533479 | |
[2] /Zehn-Jahre-nach-der-Finanzkrise/!5533579 | |
[3] https://www.diw.de/de/diw_01.c.562048.de | |
[4] https://www.fidar.de/ | |
## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
Daniella Cheslow | |
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