# taz.de -- Tanztheater an der Berliner Volksbühne: Man will Teil einer Bewegu… | |
> Anne Teresa De Keersmaeker aus Brüssel hat erstmals eine Uraufführung in | |
> Berlin herausgebracht: „Die sechs Brandenburgischen Konzerte“. | |
Bild: Musiker und Tänzer bilden einen geschützten Raum auf der Bühne. „Die… | |
Smart. Lässig. Machtvoll. Sexy? Ja, sexy auch. So kommen sie auf uns zu in | |
ihren dunklen Anzügen aus der Tiefe der Bühne, synchron die Schritte, auch | |
dort, wo sie kurz zögern, stoppen knapp an der Rampe, drehen ein wenig | |
vornüber geneigt, als würde die einmal in Kraft gesetzte Dynamik die Körper | |
noch über die Rampe ziehen wollen, gehen zurück und kommen wieder. Man | |
möchte Teil dieser Bewegung sein, sich mitnehmen lassen von dieser Gruppe, | |
auf und ab, auf und ab. | |
So beginnen die Rosas, die Company von Anne Teresa De Keersmaeker, den | |
Auftritt zum ersten der „Sechs Brandenburgischen Konzerte“ von Johann | |
Sebastian Bach in der Berliner Volksbühne. Es sind 16 TänzerInnen, 4 | |
Frauen, 12 Männer, aber gefühlt ist die Gruppe größer. | |
Einen Moment denkt man womöglich an die werbenden Walks der Modells bei | |
großen Modenschauen. Ja, es geht durchaus auch um Begehren bei diesem Tanz. | |
Begehren nach Zugehörigkeit, nach Aufgenommen-werden in den Flow, nach | |
Gesehenwerden, nach Zuneigung. Und dann, je weiter der Abend von Konzert zu | |
Konzert fortschreitet, nach den Möglichkeiten, sich individuell auszuformen | |
in dem geschützten Raum, den die Ensembles der Musiker im Orchestergraben | |
und der Tänzer auf der Bühne bilden. | |
Das B’Rock Orchestra im Graben baut sich um zwischen den verschiedenen | |
instrumentierten Konzerten, stimmt sich ein, derweil kann man den | |
Silhouetten von zwei, drei Tänzern zuschauen, die sich noch wie in einem | |
Nachhall des gerade Bewegten zu befinden scheinen. Die Bewegungen in diesem | |
Stück, in den großen strukturierten Gruppen und in den leicht darin | |
verstreuten Gesten und Posen Einzelner, haben etwas von einem Atem, einer | |
Durchlässigkeit, als ob sie immer nur der sichtbare Ausschnitt aus einem | |
länger währenden Prozess wären, dessen Davor und Danach jenseits der Bühne | |
spielt. | |
Tänzer und Musiker beobachten sich, sie führen einen Dialog. Dass die Musik | |
live gespielt wird, gehört in vielen Choreografien von De Keersmaeker zum | |
Konzept. Die Violinistin Amandine Beyer leitet das Orchester – in „Partita | |
2“, einem anderen Stück mit Musik von Bach, spielt sie das Violinsolo | |
einmal in völliger Dunkelheit und allein, bevor Musik und Bewegung | |
zusammenkommen. Dass die Musiker die „Brandenburgischen Konzerte“ nicht | |
immer perfekt spielen, mancher Ton schief klingt, überrascht. Es ändert | |
nichts daran, dass die „Brandenburgischen Konzerte“ vertraut klingen, oft | |
zu hören in vielen Klassikprogrammen. | |
## Das Ungeordnete im Harmonischen | |
Musik, die strahlt und leuchtet, heiter und harmonisch. Das verändert die | |
Interpretation durch den Tanz nicht. Aber dass dies auch ein Raum der | |
Gegenwart sein kann, dass im Menschsein das Potenzial liegt, sich so | |
einvernehmlich als soziales Wesen zu entfalten, ist die Behauptung des | |
Stücks. Fast schon eine Utopie. | |
Es gibt Ausdifferenzierung, aber keine Konflikte und keine Gewalt in den | |
Bildern, die diese Choreografie aufruft. Das ist für ein zeitgenössisches | |
Tanzstück auffallend, ja ungewöhnlich. Was auf der Bühne organisiert wird, | |
gleicht der Erstellung einer Karte, auf der immer mehr Wege eingetragen | |
werden. Erst entstehen die parallelen Linien von der synchronen Bewegung | |
aller, dann lösen sie sich auf in Gruppen, die sich umkreisen, anstoßen, | |
mitziehen, überholen, kreuzen, durchdringen. | |
Wie das Ausscheren Einzelner wieder in die große kreisende Bewegung mit | |
hineingenommen wird, wie das ganze Gefüge informiert wird von den Vorstößen | |
und Regelbrüchen Einzelner, wie das Ungeordnete zum Teil des Harmonischen | |
werden kann, das führen die Tänze vor. | |
Einzelne Bewegungen mag man von der Choreografin kennen, das Spiralisieren | |
um die eigene Achse, das leichtfüßige Hüpfen und Springen, das mit | |
Zickzackbewegungen aus der Hüfte die Abweichung von der klassischen Linie | |
zur Regel macht. Das neue Stück ist ein Echo und eine Fortführung anderer | |
Stücke in ihrem Werk, nicht nur zu Kompositionen von Johann Sebastian Bach. | |
Das Ensemble erreicht eine große Virtuosität in diesem Vokabular, das nie | |
mit großer Geste, sondern wie beiläufig aus dem Gelenk geschüttelt | |
eingesetzt wird. Sie tanzen eben, nichts wird symbolisch aufgeladen oder | |
mit einer anderen Bedeutung belegt. | |
Es war das erste Mal, dass De Keersmaeker, die mit ihrem Ensemble Rosas in | |
Brüssel zu Hause ist, eine Uraufführung in Berlin herausgebracht hat, dank | |
einer Kooperation der Volksbühne, vereinbart unter Chris Dercon und der | |
Programmdirektorin Marietta Piekenbrock. Den langen Applaus am | |
Premierenabend wird Chris Dercon, der nun nicht mehr Intendant ist, aber | |
unter den Zuschauern saß, sicher genossen haben. | |
13 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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