# taz.de -- 20 Punkte für den Wirtschaftsverkehr: Endlich mal an die Regeln ha… | |
> Dem Versuch von Fahrradaktivisten, die Berliner IHK für ihre Positionen | |
> zum Wirtschaftsverkehr zu kapern, dürfte eher wenig Erfolg beschieden | |
> sein. | |
Bild: Lieferwagen, wohin man blickt – hier braucht es dringend neue Regeln | |
Lastwagen, die sich durch die Straßen quälen und beim Abbiegen | |
FahrradfahrerInnen gefährden, Transporter, die mit größter | |
Selbstverständlichkeit in zweiter Reihe parken – das Thema | |
Wirtschaftsverkehr schreit nach neuen Regeln. Die könnte es in absehbarer | |
Zeit auch geben: Im noch unvollständigen Berliner Mobilitätsgesetz gibt es | |
einen entsprechenden Platzhalter. Voraussichtlich im kommenden Jahr soll | |
das bereits bestehende „Integrierte Wirtschaftsverkehrskonzept“ des Senats | |
in das Gesetz hineinverhandelt werden. | |
Schon weil dieses Konzept aus dem Jahr 2005 stammt, als niemand das heutige | |
Ausmaß des Onlinehandels mit seinem Lieferaufkommen erahnte, gibt es viel | |
Gesprächsbedarf. Und weil es „die Wirtschaft“ ist, die den | |
Wirtschaftsverkehr hervorbringt, versuchen zwei Protagonisten des | |
Volksentscheids Fahrrad, ihre Positionen in der Industrie- und | |
Handelskammer (IHK) mehrheitsfähig zu machen. Frank Masurat vom Berliner | |
ADFC und Heinrich Strößenreuther von der „Agentur für clevere Städte“ s… | |
ehrenamtliche Mitglieder der IHK-Ausschüsse für Verkehr bzw. Infrastruktur | |
und haben ein 20-Punkte-Papier unter dem Motto „Freie und sichere Fahrt für | |
faire Wirtschaft“ vorgelegt. | |
Am Montagabend sollte diese Vorlage im IHK-Verkehrsausschuss behandelt | |
werden. Würde sie tatsächlich zur offiziellen Position der Kammer, könnten | |
die Nichtmotorisierten der Stadt befreit aufatmen: Gefordert werden darin | |
unter anderem die Umwandlung von Parkplätzen zu Ladezonen oder | |
Fahrradstellplätzen, mehr Kurzzeitparkplätze und höhere Bußgelder für | |
Falschparker, aber auch die Prüfung der Sicherheitsorganisation in | |
Fuhrunternehmen, bei denen es zu folgenschweren Unfällen kommt, und der | |
Einsatz für verpflichtende Abbiegeassistenten. | |
Einen besonderen Stellenwert nimmt die Selbstverpflichtung ein, die | |
Straßenverkehrsordnung (StVO) zu respektieren und „illegalen | |
Geschäftsmodellen“ eine Absage zu erteilen. Was damit gemeint ist? | |
„Fuhrunternehmen erstellen ihre Dienstpläne auf der Grundlage der | |
durchschnittlichen Fahrtgeschwindigkeit und der Parkplatzsuche“, erklärt | |
Strößenreuther. „Wer wie DHL und Konsorten die StVO vorsätzlich missachtet, | |
indem er systematisch parkt, wo es verboten ist, erschließt sich einen | |
Wettbewerbsvorteil – und jeder ehrliche Unternehmer schmeißt sich selbst | |
aus dem Markt.“ | |
## Polizeilich tolerierter Regelverstoß | |
Tatsächlich wird das illegale Zweite-Reihe-Parken, das Hauptverkehrsstraßen | |
de facto einspurig macht und RadfahrerInnen gefährdet, von der Berliner | |
Polizei toleriert. Für Strößenreuther ist es absolut folgerichtig, dass | |
sich die IHK hier an die Spitze der Gegenbewegung setzt: „Da schneidet doch | |
ein Wirtschaftszweig dem anderen ins Fleisch. Denn der stationäre | |
Einzelhandel leidet unter diesen steigenden Verkehren.“ | |
Zurück auf den harten Boden der Realität: Die Wahrscheinlichkeit, dass die | |
IHK sich diese Forderungen in absehbarer Zeit zu eigen macht, ist | |
überschaubar – das muss selbst Heinrich Strößenreuther zugeben. Das Papier | |
sei von der Tagesordnung genommen worden, die IHK-Hauptamtlichen hätten | |
einfach eigene Punkte formuliert. „Dass wir da nicht mit offenen Armen | |
empfangen werden, war klar“, so der Verkehrsaktivist, „aber solche | |
Taschenspielertricks hätte ich nicht erwartet.“ | |
Am Ende reagierte die IHK sogar noch verschnupfter als erwartet: Die Kammer | |
habe ihren Justiziar prüfen lassen, ob gegen Masurat und ihn wegen ihres | |
unabgesprochenen Vorstoßes rechtlich vorgegangen werden könne, berichtet | |
Heinrich Strößenreuther. Dazu wird es aber offenbar nicht kommen. Überhaupt | |
bleibt Strößenreuther optimistisch: „Wir haben Kloppe bekommen, und die | |
haben wir gerne eingesteckt. Denn ohne unsere kleine Kampagne wären viele | |
wichtige Punkte nicht besprochen worden.“ | |
„Schockiert“ war der Aktivist allerdings angesichts der Tatsache, dass | |
trotz der schweren Unfälle am selben Tag – ein Radfahrer starb, als er von | |
einem Lkw überrollt wurde, eine Radfahrerin wurde schwer verletzt – das | |
Thema „Sicherheitsorganisation“ von den anderen Mitgliedern des | |
IHK-Verkehrsausschusses gar nicht angesprochen worden sei. „Als ob einen | |
dieses Thema überhaupt nichts angeht.“ | |
18 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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