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# taz.de -- Die Bands bei #wirsindmehr in Chemnitz: Hier ist keiner allein
> Die Musiker in Chemnitz wissen genau, worum es geht. In ihrer Jugend
> haben sie sich mit Neonazis geprügelt – und jetzt mit Zehntausenden ein
> Zeichen gesetzt.
Bild: Felix Brummer von Kraftklub: Chemnitz ist sein Zuhause
Chemnitz taz | Es ist an diesem Montagabend vor der Bühne in Chemnitz so
voll, dass die meisten Leute die große Bühne kaum noch sehen können. Es ist
so voll, dass die Musik in den hinteren Reihen kaum noch zu hören ist, und
man die Texte nur dank der vielen mitsingenden Menschen verstehen kann.
„Wir sind mehr“ lautet das Motto dieses Konzert, das allein deswegen
stattfindet, [1][weil ein wütender rechter Mob vor eine Woche in Chemnitz
Migranten gejagt und den Tod eines Chemnitzers instrumentalisiert hat]. Nun
will dieses Konzert ein Zeichen setzen. Ein Zeichen gegen diesen Mob, gegen
Rechtsradikalismus und Faschismus. Künstler und Publikum wollen die Straße
nicht den Neonazis zu überlassen – und nicht die Bilder in den
internationalen Medien, die auch an diesem Montag wieder anwesend sind.
[2][Von 50.000 spricht die Stadt schon am frühen Abend, als immer noch
Menschen in die Innenstadt strömen.] Mit Antifa- und Regenbogenfahnen, mit
Refugees-Welcome-Transparenten oder Plakaten mit Sprüchen wie „Die Mauer
muss weg“. Und ja, an diesem Abend sind sie mehr.
Das ist leider an vielen anderen Tagen nicht der Fall. Das wissen auch
„Kraftklub“, die vor drei Monaten und vor drei Jahren schon auf Demos hier
gespielt haben – ohne die Weltpresse. Oder „Feine Sahne Fischfilet“, die
auf ihrer „Noch nicht komplett im Arsch“-Tour durch die Dörfer von
Mecklenburg-Vorpommern gezogen sind, um die Leute zu unterstützen, die sich
dort noch gegen Neonazis einsetzen.
## Und alle machen mit
Auch in Chemnitz gibt es viele Leute, die sich gegen Faschismus engagieren,
betont Rola Saleh, die sich seit Jahren gegen Rechtsradikalismus in
Chemnitz engagiert, und die hier mit vielen anderen des Bündnisses
„Chemnitz Nazifrei“ auf der Bühne steht, um sich für antifaschistisches
Engagement aussprechen, bevor die gefeierten Bands auftreten.
Aber auch in den Bands wissen viele genau, worum es hier geht. Sie kommen
aus der ehemaligen DDR, haben die Nachwendezeit erlebt und sich in ihrer
Jugend mit Neonazis geprügelt. „Ich hab täglich auf die Fresse bekommen“,
sagt Marteria, der Rostocker, der sich daran erinnert, wie er 1992 mit
Mutter und Schwester weinend im Wohnzimmer in Lichtenhagen saß, wo ein
wütender Mob die Leute anfeuerte, die die Ausländer aus dem
Sonnenblumenhaus rausprügeln wollten. „Wenn ich erzählt habe, dass ich aus
Rostock komme, haben viel – auch im Ausland – gesagt: ‚Ach, die
Nazistadt?‘“
Der Sänger Trettmann ist in Karl-Marx-Stadt geboren, hat hier seine Jugend
verbracht. Ihn haben die Ereignisse der letzten Wochen erschüttert, wie er
sagt. „Das Problem des Rechtsradikalismus verfolgt und belastet mich schon
immer.“ Auch für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass er hier
auftritt. „Ich hatte schon überlegt, was man machen kann, als Felix mich
anrief.“ Nun brüllt er von der Bühne: „Ich sag': Wir sind. Ihr sagt: mehr…
Und alle machen mit.
Felix Brummer, Sänger der Band „Kraftklub“, die hier lebt und das Konzert
initiiert hat, zeigt sich sehr dankbar, dass so viele Bands gekommen sind.
„Innerhalb von 24 Stunden haben alle zugesagt.“ Ihm sei natürlich klar,
dass ein Konzert nicht die Welt retten wird. „Aber es ist notwendig, zu
zeigen, dass man nicht allein ist.“ Allein ist er nicht. Menschen aus
Chemnitz und aus der ganzen Republik sind gekommen. Viele junge, aber auch
ältere und Familien mit Kindern. Punks, Hippies und Büroangestellte.
## „Wir sind 70.000“
Und so steht Felix Brummer vor ihnen und sagt „Herzlich Willkommen in
Chemnitz“, während Zehntausende jubeln. Und kurz bevor die Toten Hosen als
letzte die Bühne betreten, rollen immer noch Autos auf die gesperrten
Straßen rund ums überfüllte, auf einem Parkplatz kurzfristig aufgebaute
Konzertgelände zu. In einem verbeulten Golf sitzen drei Österreicher. „Wir
haben ein bisschen länger gebraucht“, sagen sie.
Nachdem die Toten Hosen ihre alten linken Songs wie „Das ist auch mein
Land“ gespielt haben, holt Campino überraschend Rod von „Die Ärzte“ auf…
Bühne, um zusammen deren größten Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“ zu
singen. Und selbst die letzten Reihen, die ihn kaum noch hören können,
singen auswendig mit, bevor Campino die anderen Künstler auf die Bühne ruft
und als Abschiedssong „You’ll never walk alone“ anstimmt. „Wir sind
70.000“, schreit Campino. Und alle: „Wir sind mehr.“
Und so hat Marteria wohl Recht, wenn er sagt, dass dieses Konzert auch ein
Teil der Erinnerung werden wird, die viele Leute haben, wenn sie an
Chemnitz denken. Nicht nur die Nazistadt. Sondern, sagt der Rapper, „ein
Teil Musikgeschichte“.
3 Sep 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Juliane Streich
## TAGS
Marteria
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