# taz.de -- #wirsindmehr-Konzert gegen Rassismus: Alles anders in Chemnitz | |
> Mehr als 50.000 Menschen sind am Montagabend für das Konzert von | |
> Kraftklub & Co in Chemnitz. Gegenüber rechten Hetzern sind sie definitiv | |
> in der Mehrheit. | |
Bild: Der Parkplatz vor der Johanniskirche in Chemnitz ist voll | |
Chemnitz taz | An diesem Montagabend ist alles anders in Chemnitz. Es ist | |
nicht nur der Bass, der durchs Stadtzentrum wummern. Es ist nicht nur der | |
Platz an der Johanniskirche, der voller Menschen ist, soweit das Auge | |
reicht und mittendrin eine riesige Bühne. Die ganze Innenstadt ist mit | |
Menschen gefüllt, die über die breiten Straßen schlendern, auf denen längst | |
kein Auto, kein Bus und keine Straßenbahn mehr fährt. | |
Mehr als 50.000, schätzt die Chemnitzer Versammlungsbehörde zunächst, | |
nehmen an dem Konzert gegen Rechts teil, bei dem unter anderem [1][„Die | |
Toten Hosen“, „Feine Sahne Fischfilet“ und die Chemnitzer Band „Kraftkl… | |
spielen]. Auch jenseits des Veranstaltungsortes strömen Besucher durch die | |
Stadt – und auch zwei Stunden nach Beginn des Konzerts kommen immer noch | |
Menschen an. Am Ende schätzt die Stadt die Besucherzahl auf 65.000. | |
Schon Stunden vor Beginn war eine Veränderung im Chemnitzer Stadtbild zu | |
spüren: Es wurde plötzlich deutlich jünger. Viele derjenigen, die an diesem | |
Tag nach Chemnitz gekommen sind, sind eher unter 20 als unter 30. | |
Clara Weber und Willi Tretter zum Beispiel. Sie ist 20, er 19. Er wohnt in | |
Limbach-Oberfrohna, zwölf Kilometer von Chemnitz entfernt, sie im sieben | |
Kilometer entfernten Vorort Reichenbrand. Von den Bands, die heute Abend | |
hier spielen, finden sie „Feine Sahne Fischfilet“ am Besten, aber sie sind | |
nicht wegen der Musik da, das ist ihnen wichtig: „Es geht darum ein Zeichen | |
zu setzen, es geht um Politik, die Musik ist nur der Beigeschmack“, sagt | |
Weber und wirft die langen blonden Haare zurück. | |
## „Wir sind keine Partytouristen“ | |
In ihrer Schulklasse, erzählt sie, habe es auch immer welche gegeben, die | |
„so Ausländer-raus-mäßig drauf waren“. Mit denen sei sie öfter mal | |
aneinander geraten, das habe dazu gehört. Tretter sagt, erst vor ein paar | |
Wochen seien Freunde von ihm an einer Shell-Tankstelle von Neonazis | |
zusammengeschlagen worden. „Meine Freunde waren zu fünft, die anderen 25.“ | |
Mit ihren Altersgenossen gehen die jungen Menschen zum Teil hart ins | |
Gericht. Vielen ist wichtig zu betonen, dass nicht zu den „Partytouristen“ | |
gehören. | |
Dort, wo ein Kreis aus Blumen und Kerzen den Ort markiert, wo am vorletzten | |
Wochenende Daniel H. erstochen wurde, etwa 200 Meter von der Konzertfläche | |
entfernt, stehen Annika, Vanessa und Max. Sie sind aus Nürnberg angereist, | |
alle um die 25 Jahre alt. Sie sagen, sie würden heute Abend lieber hier | |
bleiben, als rüber zum Konzert zu gehen. “Wir finden es wichtig, hier | |
Präsenz zu zeigen“, sagt Max. | |
[2][In den vergangenen Tagen] war dieses spontan entstandene Mahnmal ein | |
seltsamer Ort: Tag und Nacht hatten sich dort Menschen versammelt, die | |
gegen Ausländer hetzten und gleichzeitig vorbeigehende Menschen | |
anschnauzten, wenn sie ihrer Meinung nach nicht trauernd genug aussahen. | |
Auch am Montag ist das Grüppchen Rechtsextremer wieder da, doch sie geben | |
nicht mehr den Ton an. Jemand hat an einem Baum ein Refugees-Welcome-Banner | |
aufgehängt, in den letzten Tagen undenkbar. Jetzt bleibt es hängen. Immer | |
wieder kommt es zu Diskussionen zwischen den Rechten, darunter viele ältere | |
Männer, und den überwiegend jungen Linken, die hier herumstehen. Auch die | |
Polizei ist mit einigen Beamten vor Ort, es bleibt aber bei energisch | |
ausgetragenen Wortgefechten. | |
## Demonstrationen der Rechtspopulisten nicht genehmigt | |
Pro Chemnitz sowie das islamfeindliche Bündnis Thügida hatten versucht, | |
Gegenveranstaltungen in unmittelbarer Nähe des Konzertortes anzumelden, | |
diese waren von der Stadt jedoch nicht genehmigt worden. Martin Kohlmann, | |
Kopf von Pro Chemnitz, hatte daraufhin auf Facebook zur “kritischen | |
Teilnahme an der musikalischen Propaganda-Veranstaltung“ aufgerufen, | |
zumindest bis 19:30 Uhr sah es aber nicht so aus, als seien Menschen in | |
nennenswerter Anzahl diesem Aufruf gefolgt. | |
Bei „Wir sind mehr“, so das Motto der Konzert-Veranstaltung, nehmen neben | |
den jungen Menschen auch einige Ältere sowie Familien mit Kindern teil. | |
Auch Daher Aita, vor zwei Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen, ist | |
mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern aus dem 30 Kilometer entfernten | |
Marienberg angereist, um gemeinsam mit Freunden, die in Chemnitz wohnen, | |
das Konzert zu besuchen. Lachend deutet sie auf die Menschenmenge: „Meine | |
Kinder sind irgendwo da drin verschwunden.“ Als sie die Nachrichten aus | |
Chemnitz hörte, habe sie Angst bekommen, sagt Aita, und habe nicht hierhin | |
fahren wollen. „Aber meine Kinder und mein Mann haben gesagt, das ist | |
wichtig, also sind wir gekommen.“ | |
Dass es geklappt hat mit dem Mehrwerden, das ist zumindest für diesen Abend | |
klar entschieden. Ob es alle Teilnehmer in dieser Nacht noch nach Hause | |
schaffen werden, noch nicht. Angesichts der vielen Menschen warnt die | |
Bundespolizei Mitteldeutschland auf Twitter: „Rückreise bitte rechtzeitig | |
beginnen, nicht auf den letzten Zug setzen, egal in welche Richtung.“ Die | |
Menschen vor der Konzertbühne und in den Straßen ringsum sehen allerdings | |
ganz und gar nicht danach aus, als würden sie bald aufbrechen wollen. | |
Mehrere tazlerInnen sind vor Ort [3][und twittern von der Veranstaltung.] | |
3 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /wirsindmehr-Konzert-gegen-Rassismus/!5532967 | |
[2] /AfD-und-Pegida-marschieren-in-Chemnitz/!5529822 | |
[3] https://twitter.com/tazgezwitscher/lists/tazlerinnen-in-chemnitz | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Flucht | |
Konzert | |
Rechtstextreme | |
Chemnitz | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Twitter / X | |
Chemnitz | |
Chemnitz | |
Marteria | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Polizei Sachsen | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Konstantin Wecker über Soli-Konzerte: „Das Patriarchat hat ausgeschissen!“ | |
Der linke Liedermacher Konstantin Wecker glaubt, dass Poesie als Widerstand | |
funktioniert und dass Musik helfen kann, das Patriarchat zu Fall zu | |
bringen. | |
Twitter zu angeblichem Hitlergruß: Die Absurdität von Fake-News | |
Ein gefakter Hitlergruß von Feine-Sahne-Fischfilet-Sänger „Monchi“ löst | |
eine Twitterdiskussion aus. Die „Bild“ teilt Gerüchte und ruft zur | |
Recherche auf. | |
„Fensterdemo“-Reaktion auf Chemnitz: „Demokratie zurück auf die Straße�… | |
Nach den Vorfällen in Chemnitz soll der demokratische Protest nachhaltig | |
sein. Aktivist Bastian Buchs Idee: Deutschlandweite Transparente in den | |
Fenstern. | |
CDU zu Feine Sahne Fischfilet in Chemnitz: Auch Annegret liebte Punk | |
2016 feierte CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer noch ein Festival mit | |
Feine Sahne Fischfilet. Jetzt sieht sie Werbung für deren Auftritt | |
„kritisch“. | |
Die Bands bei #wirsindmehr in Chemnitz: Hier ist keiner allein | |
Die Musiker in Chemnitz wissen genau, worum es geht. In ihrer Jugend haben | |
sie sich mit Neonazis geprügelt – und jetzt mit Zehntausenden ein Zeichen | |
gesetzt. | |
Kommentar Antirassismus in Chemnitz: Wie werden wir mehr? | |
„Das nützt doch nur der AfD“ – Das ist heutzutage oft zu hören. Aber was | |
stärkt die Rechten derzeit nicht? Es hilft nur eine klare eigene Haltung. | |
Sondersitzung im sächsischen Landtag: Polizeieinsatz in Chemnitz gelobt | |
Sachsens Innenminister Wöller hat den Polizeieinsatz in Chemnitz | |
verteidigt. Nach einer Sondersitzung gibt es keine Rücktrittsforderungen | |
mehr. | |
Vor dem Konzert gegen Rassismus: Ein Graben geht durch Chemnitz | |
Der Soundcheck für das Open-Air-Konzert schallt schon durch die Chemnitzer | |
Innenstadt. Die Reaktionen der Chemnitzer sind sehr unterschiedlich. |